Internet-Rundbrief 22 von Siegfried Ullmann
Liebe Friedensfreunde,
in der Ausgabe August 2010 der Jüdischen Zeitung wird unter Berufung auf verschiedene Quellen berichtet, dass Deutschland und Israel in der Rüstungstechnik eng zusammenarbeiten - trotz der restriktiven europäischen Regeln, die Waffenexporte in Spannungsgebiete zu untersagen. So werden die Getriebe für den israelischen Panzer Merkava MK 4 von der Augsburger Renk AG geliefert, die Motoren seien von MTU in Friedrichshafen entwickelt, bei einem US-Unternehmen in Lizenz zusammengebaut und nach Israel verschickt worden. Auch die Kanonenrohre
stammten vom Düsseldorfer Rüstungsfabrikanten Rheinmetall und würden möglicherweise mit Lizenz in den USA für Israel produziert. Außerdem sei der Panzer durch ein zusätzliches Waffensystem für die asymmetrische Kriegsführung in den besetzten Gebieten ausgerüstet worden. Man konnte den Panzer beim Einsatz im Gazastreifen auf den Fernseh-Bildschirmen sehen.
Trotz weltweiter Konjunkturflaute würden die "Rüstungsausgaben weltweit auf neue Rekordausgaben " steigen. Neben dem Merkava-Panzer und anderem Kriegsgerät bietet Israel auf der Waffenmesse "Eurosatory" auch "Kommando- und Kontrollgeräte, wie sie in einem Terrain mit besetzten Regionen benötigt werden", an. - Ein polnischer Verteidigungsminister hatte die militärische Zusammenarbeit mit Israel damit begründet, dass die israelischen Waffen ständig unter realen Bedingungen getestet würden. Dies hat sich immer wieder bei den Libanonkriegen und bei dem letzten Gazakrieg gezeigt.
Das deutsche Netzwerk der ehemaligen Freiwilligen des Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel (EAPPI) gibt ein Magazin heraus, in dem von der Arbeit der Begleiter/innen in den besetzten Gebiete zum Schutz der palästinensischen Bevölkerung vor der Willkür der Siedler und des israelischen Militärs eindrucksvoll berichtet wird. (Die Hefte können unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! kostenlos bestellt werden.) Ein derartiger Einsatz ist nicht ungefährlich. So wurde der Engländer Thomas Hurndall, der im Rahmen des "International Solidarity Movement" im Gazastreifen palästinensische Kinder zur Schule begleitete, von einem israelischen Scharfschützen am 20. Juli 2003 durch einen Kopfschuss ermordet. Der Täter wurde lediglich zu einer Haftstrafe von acht Jahren verurteilt und jetzt, 18 Monate vor dem Ablauf der Haftzeit, entlassen. (Quelle: Jüdische Zeitung Nr. 54, 2010)
Der Fernsehsender Arte brachte die Dokumentation aus dem Jahre 2004 mit dem Titel "The Fog of War: Eleven Lessons from The Life of Robert S. McNamara". Dabei geht es vor allem um die Kubakrise, bei der es fast zur Auslöschung einer Nation durch den Einsatz von Atombomben gekommen wäre, die Atombombenabwürfe auf japanische Städte und den Krieg der Amerikaner in Vietnam, der von 1964 bis 1973 tobte. Auslöser des Krieges gegen Nord-Vietnam war ein angeblicher Torpedo-Angriff auf ein amerikanisches Kriegsschiff, der aber nie stattgefunden hatte. Dieser Krieg zeigt viele Parallelen zum Afghanistan-Krieg. Trotz des Einsatzes von über 500 000 amerikanischen Soldaten konnten diese keinen Sieg erzielen. Das Ende war ein überstürzter Abzug, mindestens 3,4 Millionen getötete Vietnamesen (ohne die während der französischen Kolonialzeit Getöteten), ein verwüstetes und zum großen Teil vergiftetes Land und 58 000 getötete, aber eine noch größere Anzahl verstümmelter und traumatisierter amerikanischer Soldaten. Nach Kriegsende begingen weitere 60 000 ehemalige Soldaten traumatisch bedingte Selbstmorde. Über 40 000 Soldaten wurden während ihrer Dienstzeit heroinsüchtig. Rund 330 000 Soldaten wurden nach ihrer Entlassung arbeitslos und 1972 waren rund 300 000 Veteranen straffällig geworden, weil es ihnen nicht gelungen war, ins zivile Leben zurück zu finden. (Quelle: Wikipedia)
Nach McNamara wurden während des amerikanischen Vietnamkrieges rund 3,4 Millionen Vietnamesen getötet, was auf die Gesamtbevölkerung beider Länder bezogen 27 Millionen getöteten Amerikanern entsprochen hätte. McNamara räumte ein, dass der ganze Krieg und seine furchtbaren Folgen vermeidbar gewesen wären, wenn man sich zuvor mit den Motiven der Vietnamesen auseinandergesetzt hätte. Die Vietnamesen hätten die Amerikaner bekämpft, weil sie diese als neue Kolonialherren nach dem Abzug der Franzosen betrachteten und nicht erneut versklavt werden wollten. Ihr Ziel war Freiheit und Unabhängigkeit. (Hier ergeben sich auch Parallelen zu Palästina.) Aber von amerikanischer Seite wurde der Krieg als Teil des Kalten Krieges mit den kommunistischen Staaten, also zur Sicherung geostrategischer Interessen angesehen. Man befürchtete einen Dominoeffekt, wenn Südvietnam vom kommunistischen Nordvietnam erobert würde. McNamara benutzte in seinem Schlusswort den Begriff "The Fog of War" - Den Nebel des Krieges", um Schuldzuweisungen zu relativieren. In jedem Krieg wäre vieles verschwommen und unübersichtlich, was dann zu Fehlentscheidungen und unabsichtlich Getöteten und Verletzten geführt hatte.
Man kann sich gar nicht vorstellen, was den Menschen in Vietnam, Kambodscha und Laos - nicht nur von den Amerikanern - während der rund 30jährigen Kolonialkriege angetan wurde. Allein die USA verfeuerten dabei rund 15 Millionen Tonnen Sprengstoff, mehr als doppelt so viel wie im zweiten Weltkrieg. Und noch heute leiden die Menschen unter der Verseuchung des Landes mit dem Pflanzenvernichtungsmittel Agent Orange der Firma Monsanto, die uns jetzt gentechnisch veränderte Nahrungspflanzen aufzwingen möchte.
Der Krieg in Afghanistan wird wahrscheinlich ähnlich enden wie der Vietnam-Krieg, was schon seit langem vorausgesagt wird. Auch damals wurde verkündet, dass eine Verstärkung der Bodentruppen den baldigen Sieg bringen würde. Die Rüstungsindustrie braucht immer neue Kriege, um ihre todbringenden Erzeugnisse abzusetzen. Und die Militärs bangen um ihren Einfluss und ihre Bedeutung, wenn es keine Kriege mehr gäbe. Es mehren sich die Zeichen, dass der nächste Krieg gegen den Iran gehen wird. Israel wird von den USA weiter aufgerüstet, zum Beispiel mit Tarnkappen-Flugzeugen, die im Rahmen der US-Militärhilfe vom amerikanischen Steuerzahler finanziert werden sollen. Und Deutschland hat schon U-Boote für den Abschuss von Atomraketen geliefert. Wenn es keine Kriegsgründe gibt, dann werden eben welche erfunden. Hitler ließ 1939 einen Anschlag auf einen deutschen Sender fingieren, um in Polen einzumarschieren, was den zweiten Weltkrieg auslöste. Auf die erfundene Begründung für den Vietnam-Krieg hatte ich schon hingewiesen. Die Israelis rechtfertigten ihren "Präventivkrieg" zur Eroberung des Westjordanlandes und der Golanhöhen mit einer angeblich existentiellen Bedrohung durch Ägypten, Jordanien und Syrien. Die Amerikaner ließen vor dem zweiten Golfkrieg im Jahre 1971 von einer PR-Agentur in den USA einen Film produzieren, der angeblich von irakischen Soldaten aus den Brutkästen eines kuwaitischen Krankenhauses geworfene Babys zeigte, um den Einmarsch in Kuwait zu rechtfertigen und das Volk entsprechend in Stimmung zu bringen. Tatsächlich war die gezeigte Krankenschwester aber die Tochter des kuwaitischen Botschafters und der angebliche Kinderarzt ein Zahnarzt. Der Angriff auf den Irak wurde mit dem Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen begründet, die es aber nicht gab und deshalb auch nicht gefunden wurden. Der Krieg gegen die afghanischen Taliban wurde begonnen, obwohl kein Afghane, sondern fast ausschließlich Saudis an den Anschlägen am 11. Sept. 2002 beteiligt waren. Aber die Taliban hatten sich den amerikanischen wirtschaftlichen Interessen, bei der eine Pipeline durch Afghanistan führen sollte, widersetzt. Und jetzt kämpfen Soldaten mehrerer Nationen angeblich für die Rechte der afghanischen Frauen.
Die Bundeszentrale für politische Aufklärung (BpB) trägt ebenfalls zur Desinformationen durch Verbreitung von Halbwahrheiten bei, z. B. in der Broschüre "israel kurzgefasst" von Gisela Dachs. Der Grundtenor ist die offizielle israelische Sichtweise. Zum Beginn des Gazakriegs heißt es zum Beispiel: "Iran unterstützt Hamas, und Hamas attackiert Israel, so die Lesart. Daher entschloss sich Israel im Dezember 2008 zum Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen, deren Raketen als existentielle Bedrohung gesehen werden, weil sie letztendlich ganz Israel erreichen können." - Keine Rede von der vorherigen Einstellung der Raketenangriffe durch die Hamas und den vorsätzlichen Bruch des Waffenstillstandes durch Israel, um die Hamas zu neuen Raketenangriffen zu provozieren und einen Vorwand für den Vernichtungskrieg gegen die palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens zu erhalten. (Siehe auch Goldstone-Bericht) Außerdem wird in der Broschüre immer wieder auf die palästinensischen Selbstmordanschläge hingewiesen, ohne zu berichten, dass diese erst nach der Ermordung von 29 betenden Palästinensern in Hebron begannen. Von Israel war nach dem Massaker zugesichert worden, die radikalen Siedler aus Hebron zu entfernen, was dann aber nicht geschah. Statt dessen wurden die palästinensischen Einwohner unter Hausarrest gestellt und somit für das Verbrechen des Siedlers Dr. Baruch Goldstein bestraft. (Siehe auch Interview mit Helga Baumgarten in Der Semit 4/2010) Israels völkerrechtswidrigen Handlungen und die Missachtung der UN-Resolutionen werden von der BpB ebenfalls nicht ausreichend beleuchtet und bewertet.
Doch was können wir tun, damit es zu einer vertretbaren Friedenslösung in Palästina kommt? Unsere Einflussmöglichkeiten sind natürlich gering. Wir sollten aber zumindest unsere Stimme erheben, unsere Meinung in Leserbriefen darlegen, jüdische Friedensaktivisten sowie nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen ideell und finanziell unterstützen, bei Demonstrationen "Flagge zeigen", an Regierungsmitglieder und Abgeordnete schreiben, in unserem Umfeld Informationen verteilen und mit den Menschen darüber diskutieren. Auch beim Einkauf kann man dazu beitragen. Dies gilt vor allem für Agrarprodukte, die auf gewaltsam enteignetem palästinensischem Land mit dem den Palästinensern geraubtem Wasser erzeugt wurden. Es wird aber auch gefordert, im Rahmen der BDS-Bewegung (Boykott, Divestment und Sanktionen) generell israelische Firmen zu boykottieren, zum Beispiel das Pharmaunternehmen Ratiopharm, das von einem israelischen Konzern aufgekauft wurde, da alle israelischen Unternehmungen auch dem israelischen Staat und seiner Politik zugute kommen. Als Vorbild dient nicht das "Kauft nicht bei Juden" des judenfeindlichen Nationalsozialismus, sondern der wirtschaftliche Druck der Weltgemeinschaft auf den damaligen Apartheidsstaat Südafrika. Der Boykott israelischer Produkte wird auch von jüdischen Friedensaktivisten innerhalb und außerhalb Israels gefordert, weil er die einzige Möglichkeit ist, Druck auf Israel zur Beendigung der völkerrechtswidrigen Besatzung und Enteignung der Palästinensergebiete auszuüben.
Der jüdisch-französische Publizist Alfred Grosser schrieb: "Wenn wir Zuhause versuchen, die Grundwerte zu verteidigen, so sollten wir es auch überall dort tun, wo man sich auf die gemeinsamen Werte beruft. Gerade Deutsche sollten das tun, auch Israel gegenüber." - Entspricht das auch Ihrer Meinung und Ihrem Handeln?