Internet-Rundbrief 21 von Siegfried Ullmann

Liebe Friedensfreunde,

 

Wie Rupert Neudeck in seinem Buch "Ich will nicht mehr Schweigen" schreibt, steht auf Dr. Goldsteins Grabstein in der Siedlung Kirjat Arba "Hier ruht der heilige Dr. Baruch Kappel Goldstein, gesegnet sei das Andenken dieses aufrichtigen und heiligen Mannes, möge der Herr sein Blut rächen, der seine Seele den Juden, der  jüdischen Religion und dem jüdischen Land geweiht hat. Seine Hände sind unschuldig und sein Herz ist rein. Er wurde als Märtyrer Gottes am 14. Adar, Purim, im Jahre 5754 (1994) getötet." - Und zu diesem Grabdenkmal für den Massenmörder Goldstein pilgern Schulklassen auf Kosten der Regierung, um dort zu beten, wie Neudeck berichtete.

 

Zur Erinnerung: Dr. med. Baruch Goldstein war ein religiöser Fanatiker und Radikaler, ein aus den USA eingewanderte Siedler, der von vielen Israelis als Nationalheld betrachtet wird und dem ein Denkmal errichtet wurde. Er hat am 25. Februar 1994, 29 betende Palästinenser in der Ibrahim-Moschee in Hebron mit einer Kalaschnikow ermordet. Siedler werden ja mit Maschinenpistolen ausgestattet und dürfen damit überall herumlaufen.

 

In der vom Zentralrat der Juden in Deutschland herausgegebenen Jüdischen Allgemeinen Nr. 25/2010 wurde Minister Dirk Nebel wegen seiner einmaligen Kritik an Israel als Wichtigtuer, Möchtegern-Weltpolitiker und politischer Nebendarsteller bezeichnet, der Israel in Selbstüberschätzung in den Rücken gefallen sei. Und dem deutschen Bundestag sei "angesichts der Enthüllungen über die Mordlust des islamischen Lynchmobs auf dem vermeintlichen "Hilfsschiff" Mavi Marmara" nichts anderes eingefallen als fraktionsübergreifend zur Aufhebung der Blockade Gazas aufzufordern. Dieser polemische und verlogene Kommentar zeigt erneut, dass sich der Zentralrat nicht in erster Linie mit Deutschland identifiziert, sondern vor allem die israelische völkerrechtswidrige Politik vertritt. Der Autor des Kommentars ist Richard Herzinger, Politischer Korrespondent der "Welt" und der "Welt am Sonntag". Dies wirft ein Licht auf die Desinformation, die auch diese Publikationen gegenüber ihren Lesern betreiben. Herzingers Aussagen über die "Mordlust des islamistischen Lynchmobs auf dem vermeintlichen "Hilfsschiff Mavi Marmara" sind m. E. ein krasser Verstoß gegen den Deutschen Pressekodex, der Journalisten zu sorgfältiger Recherche und wahrheitsgemäßer Unterrichtung der Öffentlichkeit verpflichtet, denn es waren israelische Soldaten, die in internationalen Gewässern 9 Schiffspassagiere töteten und nicht umgekehrt. Diesen Angriff kann man auch als Raubüberfall bezeichnen, denn den Passagieren wurden von den Soldaten ihre persönlichen Sachen einschließlich ihrer Kreditkarten geraubt.

 

In der gleichen Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen heißt es aber auch "Es tobt ein Kulturkrieg in Israel". In dem Bericht unter "Religiöser Eifer" wird der zunehmende Einfluß der Ultraorthodoxen aufgezeigt, die den säkularen Staat Israel nicht anerkennen, keine Steuern zahlen und keinen Wehrdienst leisten. Wegen deren hoher Geburtenrate können die westlich orientierten Israelis bald zur Minderheit werden. Ein weltlicher Rechtsstaat wird kategorisch abgelehnt. "Nur Gott ist unser König" ist ihre Devise. (Es ist also nicht nur die Hamas, die den Staat Israel nicht anerkennt.) An einer aschkenasischen ultraorthodoxen Schule wurde Kindern orientalischer Juden die Aufnahme verweigert, weil sie nicht religiös genug seien. "Ein Kodex verpflichtete die Eltern, den Fernseh- und Internetanschluß daheim zu kappen und Mädchen das Radfahren zu verbieten, um ihre "Unschuld" zu bewahren. Gleichzeitig zwang er ihnen aschkenasische Gebetsformeln auf, denen die Kinder auch daheim folgen sollten." - Radikale jüdische Fundamentalisten haben doch große Ähnlichkeit mit radikalen islamischen Fundamentalisten, werden aber nicht als solche bezeichnet und in gleicher Weise bewertet.

 

Der kritische Israeli Michael Warschawski hat schon vor Jahren vor den verheerenden Auswirkungen der Besatzung auf die israelische Gesellschaft in seinem Buch "Mit Höllentempo - Die Krise der israelischen Gesellschaft" gewarnt.

 

Die These von einem ethnisch einheitlichen jüdischem Volk wird also selbst in Israel widerlegt. Die von europäischen Juden abstammenden Aschkenasim verachten die orientalischen Juden aus den arabischen Ländern, also die Sefardim, und diskriminieren diese. Es gibt offensichtlich auch in Israel einen ausgeprägten Rassismus.

 

Die Vertreter des Zentralrats fordern einerseits die Bekämpfung der Rechtsradikalen in Deutschland, solidarisieren sich aber andererseits mit den jüdischen Rechtsextremen und religiösen Extremisten der israelischen Regierung. (Nur Stephan Kramer hat nur einmal vorsichtige Kritik geäußert.) Netanjahu und Avigdor Lieberman gelten bei liberalen Israelis als rassistische Rechtsextreme. So schrieb Uri Avnery am 7. August 2010 zu Lieberman: "In weniger als anderthalb Jahren gelang es Lieberman, die Legitimität Israels in vielen Ländern zu untergraben. ... Er wird in der ganzen Welt als hemmungsloser Rassist angesehen, wobei Frankreichs Jean-Marie Le-Pen und Österreichs Jörg Haider - verglichen mit ihm - als fromme Demokraten gelten können."

 

Wie Jonathan Cook am 2. 8. 10 in Counterpunch (http://jkcook.net/Articles3/0511.htm#Top) schrieb und aus der anliegenden deutschen Übersetzung hervorgeht, ist der Rabbiner Yitzak Shapira einer der führenden Ideologen des extremsten Flügels der religiösen Siedlerbewegung. Gemeinsam mit einem anderen Rabbiner schreibt  er in einem 230 Seiten umfassenden Buch, daß Juden das Recht haben, in jeder Situation Einheimische zu töten, wenn die Gegenwart eines Nichtjuden jüdisches Leben gefährdet, auch dann, wenn der Einheimische keinerlei Schuld hat an der Situation, die gerade besteht. Auch das Töten von nichtjüdischen Kindern und Babys wird sanktioniert: "Es gibt eine Rechtfertigung für das Töten von Babys, wenn es klar ist, dass sie heranwachsen werden, um uns Leid anzutun. In solch einer Situation können sie absichtlich geschädigt werden, nicht nur während eines Kampfes mit Erwachsenen." (Auch Heinrich Himmlers Rechtfertigte ähnlich, die Ermordung jüdischer Kinder) Und eine israelische Menschenrechtsorganisation fand heraus, dass Shapiras Seminar von der israelischen Regierung mit mindestens 300 000 $ in den letzten Jahren unterstützt wurde. - Aber so etwas bleibt in den deutschen Hauptrichtungsmedien unbeachtet. Würden aber radikale Islamisten unter Berufung auf den Koran in gleicher Weise die Tötung von "Ungläubigen" einschließlich deren Kindern nicht nur rechtfertigen, sondern sogar propagieren, dann stände das sofort auf der ersten Seite, insbesondere, wenn die Autoren auch noch finanzielle staatliche Unterstützung, zum Beispiel aus dem Iran erhalten und der Außenminister des Landes dieser Bewegung nahestehen würde.

 

Ist Unrecht nur das, was Juden geschieht, aber kein Unrecht, wenn Gleiches von Juden Nichtjuden, insbesondere Moslems angetan wird? Aber genauso sehen es diejenigen, die zum Beispiel zwar die berechtigte Rückerstattung oder Entschädigung früheren jüdischen Besitzes fordern (was ja auch richtig ist); sich aber gleichzeitig mit einem Israel solidarisieren, welches die Palästinenser seit 1947 mit brutaler Gewalt vertreibt und enteignet, aber jegliche Entschädigungsansprüche ablehnt. Ich habe keinerlei Verständnis für ein derartiges Rechtsempfinden.

 

Besonders rücksichtslos geht Israel mit den Beduinen um. In einem Bericht eines UN-nahen Informationsnetzes ist zu lesen, wie einem Dorf mit mehr als 100 Familien die Wasserversorgung entzogen wurde: "Eine Wasserquelle, wo die Beduinengemeinde sich vor Jahren genügend mit Wasser versorgen konnte, ist von israelischen Behörden zugeschweißt worden. Auf diese Weise wurde das ganze Bewässerungssystem mit Wasserleitungen für die Palästinenser dieses Gebietes unbrauchbar gemacht. Ohne die Wasservorräte ist die Lebensgrundlage dieser Gemeinde mit Viehherden und Landwirtschaft für den Eigenbedarf bedroht."

 

Das himmelschreiende Unrecht, das den Palästinensern widerfährt und Israels Weigerung, einen lebensfähigen Palästinenserstaat zuzulassen, ist offensichtlich kein Hindernis, Israel immer stärker in die EU einzubinden. Besonders eng ist die Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet. Als kürzlich bei einer Nato-Israel Übung in Rumänien ein Hubschrauber abstürzte und dabei fünf israelische Militärangehörige den Tod fanden, wurde das in der hiesigen Presse nicht näher beleuchtet. Des weiteren möchte ich auf Evelyn-Hecht Galinskis Augustbeitrag für das Palästina Portal "Der Duft des Krieges liegt in der Luft"  verweisen.

 

Die Hintergründe für Israels aggressives Vorgehen gegen nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen einschließlich des Angriffs auf die Marvi Marmara können Sie dem fundierten Beitrag „Die Dritte Bedrohung Israels“ auf Le Monde Diplomatique vom 09. Juli 2010 entnehmen. Sie finden den Text  unter

http://www.monde-diplomatique.de/pm/2010/07/09.mondeText1.artikel,a0043.idx,12 .

Die Autoren lehren an der Bard University in New York und an der Goldsmith University in London.

 

Der beeindruckende Film "Waltz with Bashir", der die seelischen Wunden israelischer Soldaten nach einem Libanonkrieg und das Massaker von Sabra und Shatila bei Beirut beschreibt, ist als DVD (mit deutschen Untertiteln beim Atrium-Verlag, Zürich für 22 Euro erhältlich. Sehr empfehlenswert, wenn man den Film noch nicht im Kino gesehen hat!

 

In der Ausgabe Juli/August der Zeitschrift "Jüdisches Europa" wird unter "Am seidenen Faden - Zerreisst der Zusammenhalt zwischen der Diaspora und Israel?" ausführlich über die zunehmende Kritik an der israelischen Politik berichtet. Das auf Hochglanzpapier gedruckte, 28 Seiten umfassende Heft wird von A. von Loew in Frankfurt herausgegeben. Zielsetzung ist die Unterstützung Israels. So schreibt der Herausgeber von Loew: "Es sind zweierlei Dinge, ob scharfe Kritik in Israel selber geübt wird oder im Ausland. Israel braucht uns und unsere Solidarität. Setzen wir uns ein für mehr Partnerschaft, leisten wir fundierte Informationsarbeit." Mit der "Informationsarbeit", dürfte wohl die Verbreitung von Sichtweisen der israelischen Botschaft gemeint sein. Das Motto ist also: "Die (israelische) Fahne hoch und die Reihen dicht geschlossen". Die Palästinenser, das Völkerrecht und die Menschenrechte kommen bei von Loew nicht vor. Hingegen wurde von Israels OECD-Beitritt berichtet: "Mit dem Beitritt in die internationale Wirtschaftsorganisation wurde Israel noch attraktiver für ausländische Investoren, die nun auch auf das "Gütesiegel“ vertrauen können, das die Einhaltung der Normen fortschrittlicher westlicher Staaten und ihren Standard gewährleistet." - Was für Normen? Das ist doch der blanke Hohn, denn diese Normen werden von Israel als Bedrohung empfunden und vehement bekämpft. Oder wie sehen Sie das??