Internet-Rundbrief 19 von Siegfried Ullmann
Liebe Friedensfreunde,
Besondere Hochachtung verdienen die jüdischen Menschen innerhalb und außerhalb Israels, die sich mutig und oft mit hohen persönlichen Risiken für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen. Interessant ist aber auch, was Heinrich Böll im Jahre 1970 in seiner Ansprache zur Woche der Brüderlichkeit sagte: "Ich zweifle daran, ob wir berechtigt sind, feierlich jener Toten zu gedenken, die Opfer des Völkermords geworden sind, wenn es uns nachweislich nicht gelingt, Völker, die in unserer Gegenwart sterben, über jene Grenze hinaus beizustehen, die unserem caritativen Impuls durch innen- und außenpolitische Rücksicht gesetzt werden." (Quelle: 3 SAT Fernsehbericht vom 10. 7. 2010: Heinrich Böll, ein "anderer Deutscher)". Wäre er heute noch unter uns, würde Böll sich wahrscheinlich noch wesentlich konkreter äußern und insbesondere die überwiegend passive Haltung der Kirchen anprangern.
Besondere Aufmerksamkeit verdient auch die Äußerung eines israelischen Offiziers bei einer über der Stadt Nablus verhängten Ausgangssperre, bei der er vor einer "Hisbollahisierung" der Bevölkerung durch die Auswirkungen der langanhaltenden Ausgangssperre warnte. Ihm war somit klar, dass der israelische Terror gegen die palästinensische Zivilbevölkerung zu einer Unterstützung der Hisbollah führen würde. Es ist ja auch eindeutig so, dass es ohne die israelische Besatzungs- und Unterdrückungspolitik weder die Hamas noch die Hisbollah geben würde. Weil Israel der säkularen und kooperationswilligen PLO keinerlei Zugeständnisse in Richtung eines souveränen Palästinenserstaates machte, gewannen schließlich die radikaleren und religiös motivierten Gruppierungen Zulauf. Der israelische Journalist und Historiker Tom Segev erklärte im Dezember 2008 nach dem Angriff der israelischen Armee: "Hamas ist keine Terrororganisation, die die Bewohner Gazas als Geisel hält, sondern eine national-religiöse Bewegung, und die Mehrheit der Bevölkerung von Gaza glaubt an diesen Weg."
Von der Israel-Lobby, wie zum Beispiel der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, wird immer wieder Solidarität mit Israel gefordert. Aber wie kann ein denkender, menschlich mitfühlender Mensch sich mit diesem Israel solidarisieren, das alle Menschenrechtskonventionen und UN- Beschlüsse missachtet, Kriegsverbrechen begeht und ein anderes Volk beraubt und vertreibt? Sobald der Staat Israel sich so verhält, wie es in seiner Unabhängigkeitserklärung von 1948 steht, nämlich
"Er wird auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden begründet sein, wie es die Propheten vor sich sahen, er wird allen seinen Bewohnern, vollständige Gleichheit hinsichtlich sozialer und politischer Rechte ohne Ansehen von Religion, Rasse oder Geschlecht gewährleisten (...) und er wird sich getreulich nach den Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen halten.",
will ich mich gerne mit ihm solidarisch erklären. Aber Israel hat die Weltöffentlichkeit von Anfang an getäuscht, denn der Staatsgründer Ben Gurion hatte hinsichtlich der arabischen Bevölkerung andere Absichten. Im Jahre 1937, also noch vor dem Zweiten Weltkrieg und 11 Jahre vor der Staatsgründung, schrieb er an seinen Sohn: "Die Araber werden gehen müsse, aber man benötigt dafür eine passende Gelegenheit, wie einen Krieg, um dies geschehen zu lassen." - Die Gelegenheit lieferte der Unabhängigkeitskrieg von 1948 mit der brutalen Vertreibung und entschädigungslosen Enteignung der arabischen Bevölkerung.
Zu den lautstärksten Vertretern der Israel-Lobby gehört der zum Judentum konvertierte Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer. Gehört Kramer durch seine Konvertierung jetzt auch zu Gottes auserwähltem Volk? Nach jüdisch-orthodoxer Lesart ist eigentlich nur derjenige Jude, der von einer jüdischen Mutter geboren wurde. Aber der größte Teil der weltweit lebenden Juden sind Nachfahren von konvertierten Stämmen, die im Jemen, Äthiopien, Nordafrika und im Kaukasus, (Khasaren) lebten, wie u. a. der israelische Historiker Shlomo Sand in seinem Buch " Die Erfindung des jüdischen Volkes" nachgewiesen hat. Und nun gehen diese Nachfahren der Konvertierten nach Palästina, lassen sich dort eine Maschinenpistole aushändigen und sagen der ansässigen palästinensischen Bevölkerung, die wahrscheinlich zum größten Teil aus den Nachfahren der früheren hebräischen Bevölkerung besteht: "Haut ab. Gott hat uns dieses Land gegeben. So steht es in der Bibel. Euer Land, eure Brunnen, euer Haus, eure Olivenbäume, eure Ernte - alles gehört uns. Einen Entschädigungsanspruch habt ihr natürlich nicht, denn ihr seid die illegalen Bewohner des Landes und habt schnellstens zu verschwinden."
In der Bonner Stadtbücherei konnte ich eine DVD mit dem Film "Waltz with Baschir" ausleihen. Der Film schildert auf ungewöhnliche Weise die traumatischen Erlebnisse mehrerer israelischer Soldaten während eines Libanonkrieges und gipfelt in der Beschreibung des Massakers in den Flüchtlingslagern von Sabra und Shatila bei Beirut. - Werden nicht eines Tages nicht auch die Palästinenser sagen können: "Nach allem, was uns angetan wurde, ist uns jetzt alles erlaubt.", so wie von jüdischer Seite nach dem Greuel der Nationalsozialisten argumentiert wurde? Aber der Wahnsinn des Krieges gegen das palästinensische Volk geht weiter. Die Brutalität eines jeden Krieges macht auch viele der Täter zu seelischen Krüppeln. So sind zum Beispiel im Jahre 2009 mehr amerikanische Soldaten durch Selbstmord als durch Kampfhandlungen im Irak umgekommen. (Der Spiegel 28/2010)