Israel, ein Unrechtsstaat und auf dem Weg in eine Theokratie?

von Siegfried Ullmann


Liebe Friedensfreunde, Nahost-Interessierte und Israel-Unterstützer,


was würde geschehen, wenn ein israelischer radikal-zionistischer Fundamentalist nach dem Vorbild des norwegischen christlichen Fundamentalisten z. B. in der palästinensischen Stadt Ramallah eine Autobombe zünden und auch noch mit einer Maschinenpistole zahlreiche palästinensische Jugendliche umbringen würde? Würden dann anschließend wie nach dem Massaker des radikal-zionistischen Dr. med Goldstein, der in einer Moschee in Hebron ein Massaker an betenden Palästinensern verübte, in gleicher Weise die Bewohner von Ramallah mit einer Ausgangssperre bestraft? Würde dann dem Attentäter ebenfalls ein Denkmal errichtet, zu dem dann auf Staatskosten Schulklassen pilgern? Und wie würde die hiesige Öffentlichkeit auf ein derartiges Doppelattentat reagieren? Wahrscheinlich würde es in unserer Tagespresse höchstens auf Seite 4 eine kurze Notiz geben. Die von der israelischen Armee bei ihrem Großangriff auf den Gazastreifen getöteten 1400 Palästinenser haben hier auch kein besonderes Mitgefühl ausgelöst.


Wie die Presse berichtete, wurde der Attentäter von Oslo von Henryk M. Broder, Geert Wilders und anderen radikalen Islamkritikern inspiriert. Insofern kann man durchaus von den Komplizen des Attentäters sprechen. Alle, die vor den angeblichen oder realen Gefahren des Islam warnen, fragen aber nicht nach den Motiven der radikalen Islamisten. Es sind die Kriege gegen den Irak und Afghanistan und insbesondere die Unterstützung Israels und damit der brutalen israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik gegenüber einer moslemisch-arabischen  Bevölkerung. Man muss sich auch einmal vorstellen, welche Reaktionen hervorgerufen würden, wenn ein islamischer Führer äußern würde: "Die Ungläubigen wurden von Gott nur geschaffen, um den Moslems zu dienen.", so wie das geistliche Oberhaupt der an der israelischen Regierung beteiligten radikal-zionistischen Shas-Partei, Rabbiner Ovadia Yosef es verkündete: "Die Goyim wurden nur geschaffen, um den Juden zu dienen."

 

Es gäbe keinen Nahost-Konflikt und keinen israelischen Paria-Staat, wenn Israel sich gegenüber den Palästinensern genauso verhalten würde, wie Deutschland gegenüber den Juden: Entschuldigung für begangenes Unrecht, Rückgabe beschlagnahmten Eigentums, , Entschädigung für Eigentum, das nicht mehr zurückgegeben werden kann, finanzielle Hilfen für erlittenes Leid. Aber so lange Israel nicht wie ein Rechtsstaat handelt, sondern alle ethischen und internationalen rechtlichen Normen missachtet, kann es meines Erachtens kein geachtetes Mitglied einer zivilisierten  Völkergemeinschaft sein.

 

Am 13. August wurde dem Bau der Berliner Mauer im Jahre 1961 gedacht. Unser Bundespräsident Wulff sprach dabei vom "Menschenrecht der Freiheit", dass sich die Menschen damals selbst erkämpft hätten, denn "Am Ende ist die Freiheit unbesiegbar." Das sind natürlich nur billige Sprüche, denn für die Palästinenser sollen sie selbstverständlich nicht gelten. Es bleibt aber zu hoffen, dass sie trotzdem eines Tages für die Palästinenser wahr werden. So, wie die Berliner Mauer gefallen ist, muss eines Tages auch die acht Meter hohe Mauer fallen, die auf palästinensischem Land errichtet wurde und durch die palästinensischen Städte, wie Bethlehem und Kalkilya, weitgehend eingemauert und stranguliert werden. Wer kann da nicht der Bundeskanzlerin zustimmen, die am diesjährigen 13. August sagte „Das Unrecht des Mauerbaus mahnt uns bis heute, bei uns zu Hause und weltweit für Freiheit, Demokratie und Bürgerrechte einzutreten.“

 

Der frühere DDR-Dissident und heutige Stasi-Unterlagen-Beauftragte Roland Jahn sagte in einem Interview: "Die DDR war ein Unrechtsstaat, weil dieses Unrecht von Staats wegen organisiert  und gewollt war." Nach dieser Definition ist Israel ebenfalls und eindeutig ein Unrechtsstaat, denn es ist doch alles, was den Palästinensern angetan wurde  und weiterhin angetan wird, himmelschreiendes Unrecht. Evelyn Hecht Galinski hat dieses Unrecht in ihrem Kommentar "Beispiele jüdischen Terrors" wieder einmal beim Namen genannt.


Roland Jahn zitiert einen Stasi-Vernehmer, der ihm sagte: „Es kommt nicht darauf an, wer Recht hat, sondern wer die Macht hat. Und die haben wir!" Genau nach dieser Maxime handelt Israel.


Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery beschreibt in seinem Beitrag vom 13. 8. 2011 (siehe Anlage 1) den rassistischen Gesetzentwurf des früheren Chefs der Geheimpolizei Shin Bet, Avi Dichter. Es lohnt sich, den beigefügten Bericht vollständig zu lesen, denn man muss ihn gelesen haben, um es zu glauben. Nach diesem Gesetzentwurf sollen die religiösen jüdischen Gesetze des Talmud und der Halacha den Vorrang vor den israelischen demokratischen Gesetzen haben. Avnery schreibt: "Die Halacha und die islamische Scharia haben viel gemeinsam. Sie verbieten Schweinefleisch, praktizieren die Beschneidung, halten Frauen in Knechtschaft, verurteilen Homosexuelle und Ehebrecher zum Tode und verweigern Ungläubigen die Gleichheit. ... Die arabische Sprache wird ihren Status als zweite offizielle Sprache verlieren. ... Nach Inkraftsetzung dieses Gesetzes wird Israel viel näher am Iran sein als an den USA." (siehe "Religiöse Fanatiker auf beiden Seiten") bei.


Sie haben sicherlich die Bilder von den Massendemonstrationen in Tel Aviv gesehen. Avnery befürchtet, dass Netanjahu und seine Regierung zwecks Ablenkung der unzufriedenen Bevölkerung einen neuen Konflikt mit den Palästinensern provozieren und einen „kleinen Krieg“ beginnen könnten. Diesem Zweck dient sicherlich die Genehmigung weiterer Bauprogramme für Ultra-Orthodoxe Juden im arabischen Ostjerusalem.

 

Zu den besonders mutigen Menschen gehören die Beobachter des "Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel". Einer von Ihnen ist Ulrich Kadelbach, der seine Beobachtungen, Erlebnisse und Eindrücke am Grenzübergang zwischen Bethlehem und Jerusalem sowie in und um Bethlehem in einem Buch veröffentlicht hat. Es hat den Titel "Bethlehem - Zwischen Weihrauch und Tränengas".


Es mangelt nicht an authentischen Berichten und Informationen über die Lage in Israel und Palästina. Diese Informationen werden aber bewusst ignoriert oder unterdrückt, insbesondere von der Mehrzahl unserer Medien und Politiker. Deshalb ist es wichtig, diejenigen zu informieren, die der Wahrheit über die israelische "Herrenmenschenrepublik" noch ablehnend gegenüberstehen.

 

Die Aufteilung Palästinas durch einen sogenannten Friedensprozess erinnert an die Fabel von der Teilung der Beute zwischen Löwe und Wolf unter Mitwirkung des Fuchses, wie von Wilhelm Busch beschrieben (siehe Anlage 2). Für die Rolle des Fuchses könnte auch der Name Merkel oder Westerwelle stehen.

 

Anlage 1

Dichters Gesetz

von Uri Avnery, 13.8.11

„DAS VOLK verlangt soziale Gerechtigkeit!“ riefen 250 000 Demonstranten am Samstag unisono in Tel Aviv. Aber was sie brauchen, ist „mehr arbeitslose Politiker“ – um einen amerikanischen Künstler zu zitieren.

Glücklicherweise ist die Knesset für drei Monate in verlängerte Ferien gegangen. Denn wie Mark Twain witzelte: „Niemandes Leben und Besitz ist sicher, solange die Legislatur tagt.“

Als wollte er dies belegen, hat Knessetmitglied Avi Dichter noch am letzten Sitzungstag einen so haarsträubenden Gesetzesvorschlag eingereicht, dass dieser leicht die vielen anderen rassistischen Gesetze, die in letzter Zeit von dieser Knesset angenommen wurden, übertrumpft.

„DICHTER IST (wie uns Deutschen bekannt ist) ein deutscher Name, und seine Bedeutung ist uns natürlich bekannt. Aber er ist kein Dichter. Er ist der frühere Chef der Nachrichtendienste, die hier unter „Geheimpolizei“ (Shin Bet oder Shabak) läuft.

Stolz verkündete er, dass er anderthalb Jahre gebraucht habe, um dieses besondere Projekt zu „feilen“ und dies zu einem juristischen Meisterwerk zu machen.

Und es ist ein Meisterstück. Kein Kollege im damaligen Deutschland und im gegenwärtigen Iran hätte ein glanzvolleres Stück produziert. Die anderen Knessetmitglieder schienen genau so zu empfinden - nicht weniger als 20 der 28 Kadima-Fraktion wie auch alle anderen durch und durch rassistischen Mitglieder dieser illustren Körperschaft haben ihren Namen unter diese Gesetzesvorlage als Koautoren gesetzt.

Der eigentliche Name –„Das Grundgesetz: Israel der Nationalstaat des jüdischen Volkes“ – zeigt, dass dieser Dichter weder ein Poet noch ein Intellektueller ist. Unter Geheimpolizeichefs ist das ja sehr selten.

Den Begriffen „Nation“ und „Volk“ liegen zwei verschiedene Vorstellungen zu Grunde. Es wird gewöhnlich akzeptiert, dass ein Volk eine ethnische Entität ist, eine Nation eine politische Gemeinschaft. Sie existieren auf zwei verschiedenen Ebenen. Aber das ist hier egal.

Es ist der Inhalt der Gesetzvorlage, der zählt.

WAS DICHTER vorschlägt, ist, der offiziellen Definition von Israel als „einem jüdischen und demokratischen Staat“ ein Ende zu setzen.

Stattdessen schlägt er vor, klare Prioritäten zu setzen: Israel ist vor allem der Nationalstaat des jüdischen Volkes und erst danach ein demokratischer Staat. Wo auch immer die Demokratie mit der Jüdischkeit des Staates kollidiert, siegt die Jüdischkeit und verliert die Demokratie.

Dies macht ihn übrigens zum ersten rechten Zionist (außer Meir Kahane), der offen zugibt, dass es einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen einem „jüdischen“ Staat und einem „demokratischen“ Staat gibt. Seit 1948 ist dies von allen zionistischen Fraktionen, ihrer Phalanx von Intellektuellen und dem Obersten Gericht, entrüstet geleugnet worden.

Die neue Definition bedeutet, dass der Staat Israel allen Juden in der Welt gehört – einschließlich den Senatoren in Washington, den Drogenhändlern in Mexiko, den Oligarchen in Moskau und den Casinobesitzern in Macao, aber nicht den arabischen Bürgern Israels, die seit mindestens 1300 Jahren hier gewesen sind, als die Muslime Jerusalem betraten. Die christlichen Araber verfolgen ihre Herkunft zurück bis zur Kreuzigung Jesu vor 1980 Jahren, die Samaritaner waren seit 2500 Jahren hier und viele Dorfbewohner sind wahrscheinlich Nachkommen der Kanaaniter, die schon vor 5000 Jahren hier lebten.

All diese werden, sobald die Gesetzesvorlage zum Gesetz wird, Bürger zweiter Klasse werden, nicht nur in der Praxis wie jetzt, sondern auch nach der offiziellen Doktrin. Wenn ihre Rechte mit dem zusammenprallen, was die jüdische Mehrheit für die Erhaltung der  Interessen des „Nationalstaates des jüdischen Volkes“ für notwendig erachtet – was alles einschließt von Landbesitz bis zu den  strafrechtlichen Gesetzen – ihre Rechte werden ignoriert werden.

DIE GESETZESVORLAGE selbst lässt nicht viel Raum für Spekulationen. Sie spricht die Dinge klar und deutlich aus.

Die arabische Sprache wird ihren Status als zweite offizielle Sprache verlieren – einen Status, den sie im Ottomanischen Reich, auch unter britischem Mandat und in Israel bis heute besaß. Die einzige offizielle Sprache im Nationalstaat etc. wird Hebräisch sein.

Nicht weniger typisch ist der Paragraph, der besagt,  dass wann immer es im israelischen Gesetz eine Lücke gibt, das jüdische Gesetz angewandt werde.

„Das jüdische Gesetz“ ist der Talmud und die Halacha, das jüdische Äquivalent zur muslimischen Sharia. Praktisch bedeutet dies, dass rechtliche Normen, die vor 1500 Jahren  oder länger angenommen wurden, über die rechtlichen Normen triumphieren, die sich während der letzten Jahrhunderte in England und anderen europäischen Ländern entwickelten. Ähnliche Klauseln gibt es in den Gesetzen von Pakistan und Ägypten. Die Ähnlichkeit zwischen jüdischem und islamischem Gesetz ist nicht zufällig. Der arabisch sprechende jüdische Weise wie Moses Maimonides („der Rambam“) und ihre zeitgenössischen muslimischen Rechtsexperten beeinflussten einander.

Die Halacha und die Sharia haben viel gemeinsam. Sie verbieten Schweinefleisch, praktizieren die Beschneidung, halten Frauen in Knechtschaft, verurteilen Homosexuelle und Ehebrecher zum Tode und verweigern die den Ungläubigen  die Gleichheit. (Praktisch haben beide Religionen viele ihrer harten Strafen modifiziert. In der jüdischen Religion z.B. bedeutet „Auge um Auge“ heute Kompensation. Sonst würden wir heute alle blind sein, wie Gandhi einmal  treffend sagte.

Nach Inkraftsetzung dieses Gesetzes wird Israel viel näher am Iran sein als an den USA. Die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ wird aufhören, eine Demokratie zu sein, aber in ihrem Wesen sehr nahe an einigen der schlimmsten Regime in dieser Region.  „Schließlich und endlich wird sich Israel selbst in diese Region integrieren,“ spottete ein arabischer Schriftsteller, der auf einen Slogan anspielt, den ich vor 65 Jahren prägte: „Integration in die semitische Region“.

DIE MEISTEN Knessetmitglieder, die diese Gesetzesvorlage unterzeichneten, glauben inbrünstig  an das „ganze Erez Israel“ und meinen damit die offizielle Annexion der Westbank und des Gazastreifens und Ost-Jerusalems.

Sie meinen nicht die „Einstaatenlösung“, von der so viele wohlmeinende Idealisten träumen.
Praktisch ist der einzige „eine Staat“ der machbar wäre, derjenige, der von Dichters Gesetz regiert wird: der „Nationialstaat des jüdischen Volkes“ mit den Arabern, die zu den biblischen „Holzfällern und Wasserträgern“ degradiert werden.

Sicher werden die Araber in diesem Staat die Mehrheit darstellen – aber wen kümmert’s?  Da die Jüdischkeit des Staates die Demokratie außer Kraft setzt, wird ihre Anzahl irrelevant sein. Genau wie die Anzahl der Schwarzen in der Apartheid  Südafrika.

WERFEN WIR einen Blick auf die Partei, zu der dieser „Poet“ des Rassismus gehört: Kadima.

Als ich in der Armee war, amüsierte ich mich immer über den Befehl : „Die Truppe wird sich nach hinten bewegen – vorwärts marsch!“

Dies mag absurd klingen, aber es ist wirklich logisch. Der erste Teil des Befehls bezieht sich auf die Richtung und der zweite Teil auf die Ausführung.

„Kadima“ bedeutet „vorwärts“, aber seine Richtung ist rückwärts gewandt.

Dichter ist ein prominenter Führer von Kadima. Da sein einziger Anspruch auf einen Rang seine frühere Rolle als Chef der Geheimpolizei war, muss es dies sein, dass er gewählt wurde. Aber es haben sich ihm in diesem rassistischen Projekt mehr als 80% der Kadima-Knesset-Fraktion angeschlossen – der größten im gegenwärtigen Parlament.

Was sagt das über Kadima?

Kadima ist ein trostloser Fehlschlag – praktisch in jeder Hinsicht. Als Oppositionsfraktion im Parlament ist sie tatsächlich ein trauriger Witz. Ich wage zu sagen: als ich eine Ein-Mann-Fraktion in der Knesset war, produzierte ich mehr Oppositionsaktivitäten als dieser 28köpfige Koloss. Sie hat noch keinen bedeutenden Standpunkt über Frieden und die Besatzung formuliert, geschweige denn über soziale Gerechtigkeit.

Ihre Führerin Zipi Livni hat sich auch als totaler Fehlschlag erwiesen. Ihre einzige Leistung bis jetzt ist ihre Fähigkeit gewesen, die Partei zusammenzuhalten -  allerdings keine geringe Meisterleistung, wenn man bedenkt, dass sie aus Flüchtlingen aus anderen Parteien besteht (einige würden Verräter sagen), die ihren Karren an Ariel Sharons  rasende Pferde anhängten, als er den Likud verließ. Die meisten Kadima-Führer verließen den Likud mit ihm, und wie Livni selbst, stecken sie tief in der Likud-Ideologie. Einige andere kamen von der Labor-Partei und folgten Arm in Arm dem politisch Prostituierten Shimon Peres.

Diese zufällige Sammlung frustrierter Politiker hat mehrmals versucht, Benjamin Netanyahus Flanke zu überholen. Ihre Mitglieder haben fast alle rassistischen Gesetzesentwürfe während der letzten Monate unterzeichnet, einschließlich des berüchtigten „Boykott-Gesetzes“. (Als die öffentliche Meinung rebellierte, zogen sie ihre Unterschrift zurück, und einige stimmten sogar dagegen.)

Wie ist diese Partei zur größten in der Knesset geworden – mit einem Sitz mehr als der Likud. Für linke Wähler, die von Ehud Baraks Labor-Partei angeekelt waren und die winzige Meretz ignorierten, schien es die einzige Chance zu sein, Netanyahu und Lieberman zu stoppen. Aber das mag sich bald ändern.

DIE RIESIGE Protest-Demonstration vom letzten Samstag war die größte in Israels Geschichte (einschließlich der legendären 400 000-Demo nach dem Sabra- und Shatila-Massaker, deren wirkliche Zahl wohl etwas weniger war). Es mag der Beginn einer neuen Ära sein.

Es ist unmöglich, die reine Energie, die von dieser Menge ausging, zu beschreiben, die vor allem aus 20 bis30-Jährigen bestand. Wie das Flügelschlagen eines riesigen Adlers über uns konnte man die Geschichte spüren. Es war eine jubelnde Masse, die sich ihrer Macht bewusst war.

Die Demonstranten waren eifrig dabei, „Politik“ zu meiden – was mich an Perikles’ Worte von vor 2500 Jahren erinnerte, dass „gerade weil du kein Interesse an Politik hast, dies nicht bedeutet, dass die Politik kein Interesse an dir hat.“

Die Demonstration war natürlich hoch politisch – direkt gegen Netanyahu, die Regierung und die ganze unsoziale Ordnung gerichtet. Während ich in der dichten Menge ging, schaute ich mich um, um nach Kippa-tragenden Demonstranten zu schauen und fand keinen einzigen. Der ganze religiöse Sektor, der rechte Flügel, der die Gruppe der Siedler und Dichters Gesetz unterstützt, war offenkundig abwesend, während der orientalisch-jüdische Sektor, die traditionelle Basis des Likud, reichlich vertreten war.

Der Massenprotest verändert die Agenda Israels. Ich hoffe, dass die Folge davon das Auftauchen einer neuen Partei sein wird, die die Zusammensetzung der Knesset so verändern wird, dass man sie nicht wiedererkennt. Selbst ein neuer Krieg oder eine andere „Sicherheitsmaßnahme“ kann dies nicht verhindern.

Es wird sicher das Ende von Kadima sein, und wenige werden ihr nachtrauern. Es würde auch bye-bye für Dichter bedeuten, den Geheimpolizei-Poeten.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser ….


Pressemitteilung 11.8.11

Uri Avnery über Jerusalemer Baupläne – Die Regierung heizt die politische Atmosphäre auf, statt sich mit dem sozialen Protest zu befassen.

Nachdem das Bauprogramm im Ramat Shlomo-Stadtteil in Ost-Jerusalem genehmigt wurde, sagt der frühere Knessetabgeordnete Uri Avnery, Gush Shalom-Aktivist:

„Die Regierung heizt die politische Atmosphäre auf, statt sich mit der Welle des sozialen Protestes und den Zeltlagern zu befassen, die überall im Lande auftauchen.
Wirtschaftliche Not brachte die Jugend hinaus auf die Straßen und offenbarte das wahre Gesicht der Netanyahu-Regierung, die nicht ihren Wählern dient, sondern nur den Magnaten.
Wohnungsbau in Ost-Jerusalem wird nur der bevorzugten Ultra-Orthodoxen Gemeinde zugute kommen, in krassem Kontrast zur Forderung universaler sozialer Gerechtigkeit: Einem erschwinglichen Wohnen für alle. Diese Handlungsweise wird nicht nur die Wiederaufnahme des politischen Prozesses schwieriger machen, sie wird auch bei den Palästinensern eine Reaktion provozieren. Im augenblicklichen politischen Klima, wird dies genau das sein, was  sich die Regierung verzweifelt erhofft – die Bürger von ihren wirklichen Sorgen ablenken und  dass sie sich  wieder mit ursprünglichen Ängsten beschäftigen. Netanyahu fährt fort, weiter wirkliche Friedenslösungen zu vermeiden – weder innenpolitisch noch mit den Palästinensern. Seine wirkliche Sorge ist, seinen Sitz zu behalten – auf Kosten von uns allen.

Kontakt Adam Keller …….

 

Anlage 2

von Wilhem Busch

Es hat einmal, so wird gesagt,
Der Löwe mit dem Wolf gejagt,
Da haben sie vereint.erlegt
Ein Wildschwein, stark und gut gepflegt.
Doch als es ans Verteilen ging,
Dünkt das den Wolf ein mißlich Ding,
Der Löwe sprach: Was grübelst du?
Glaubst du, es geht nicht redlich zu?
Dort kommt der Fuchs, er mag entscheiden,
Was jedem zukommt von uns beiden.

Gut, sagt der Wolf, dem solch ein Freund
Als Richter gar nicht übel scheint.

Der Löwe winkt dem Fuchs sogleich:
Herr Doktor, das ist was für Euch.
Hier dieses jüngst erlegte Schwein,
Bedenkt es wohl, ist mein und sein.
Ich faßt' es von vorn, er griff es hinten;
Nun teilt es uns, doch ohne Finten.

Der Fuchs war ein Jurist von Fach.
Sehr einfach, spricht er, liegt die Sach;
Das Vorderteil, ob viel ob wenig,
Erhält mit Fug und Recht der König.

Dir aber, Vetter Isegrimm,
Gebührt das Hinterteil. Da nimm!
Bei diesem Wort trennt er genau
Das Schwänzlein hinten von der Sau.
Indes der Wolf verschmäht die Beute,
Verneigt sich kurz und geht beiseite.

Fuchs, sprach der Löwe, bleibt bei mir.
Von heut an seid Ihr Großvezier.