Die ethnische Säuberung Palästinas und Waffenlieferungen an Israel

von Siegfried Ullmann

Liebe Friedensfreunde, Nahost-Interessierte und Israel-Unterstützer,

 

am 1. Juni 2011, dem Jahrestag der Besetzung des palästinensischen Teils Jerusalems im Jahre 1967 zogen Tausende junger jüdischer Israelis mit israelischen Fahnen durch den palästinensischen Stadtteil und brüllten "Möge Euer Dorf brennen", "Schlachtet die Araber", „Tod den Linken“ und „Mohammed ist tot".  Und was geschah danach? Allem Anschein nach gar nichts. Die rassistischen Ausschreitungen und die Ankündigung eines Pogroms an den dortigen Palästinensern wurden auch von unseren Medien vollkommen ignoriert. Man muss sich einmal vorstellen, wenn deutsche Rechtsextremisten durch Berlin-Kreuzberg gezogen wären, deutsche Fahnen geschwenkt und die gleichen Slogans gebrüllt hätten. Das hätte doch für weltweite Empörung und für eine ausführliche Berichterstattung in allen Medien gesorgt.


Aber solche Bedrohungen und Beleidigungen der Palästinenser sind kein Einzelfall, wie eine Dokumentation von den schriftlichen Hinterlassenschaften israelischer Soldaten im Gazastreifen oder von Siedlern und anderen Araberhassern in Israel und in den besetzten Gebieten zeigt. Hier eine kleine Auswahl der übersetzten Aussagen:


ARABER INS KREMATORIUM - TOD DEN ARABERN - VERTREIBT DEN ARABISCHEN FEIND - KEINE ARABER - KEIN TERROR - VERGAST DIE ARABER - PASS AUF FATIMA-WIR WERDEN ALLE ARABISCHEN FRAUEN VERGEWALTIGEN - ARABER IN DIE GASKAMMERN - ROTTET DIE MUSLIME AUS.


Die Fotos dieser Mordaufrufe etc. sind als Anlage beigefügt. Sie können auch unter www.steinbergrecherche.com oder www.pflp-info.de/palaestina/vergast-araber-rassismus-israel eingesehen werden. Die Dokumentation wäre sicherlich eine gute Ergänzung der Nakba-Ausstellung. Oder ist es ein antisemitisches Verbrechen, diese rassistischen Parolen und Mordaufrufe publik zu machen?

 

Wenn derartige Aufrufe von israelischen Soldaten und Siedlern in die Tat umgesetzt werden, hat das in der Regel keine strafrechtlichen Konsequenzen. Da ist es nicht verwunderlich, wenn von jüdischen Israel-Kritikern von israelischem Faschismus gesprochen wird und Vergleiche mit der Judenverfolgung im Dritten Reich gezogen werden. Man muss sich einmal in die Lage der Palästinenser versetzten, die unter solchen Bedingungen in Israel und in den besetzten Gebieten einschließlich des Gazastreifens leben müssen. Aber unserer Regierung und der Mehrzahl unserer Politiker ist das vollkommen gleichgültig. Da wird dann gemeinsam mit den USA gegen die Anerkennung eines Palästinenser-Staates gestimmt und von einer Wertegemeinschaft mit Israel geredet.

 

Die führenden israelischen Politiker hatten von Anfang an das Ziel, die Palästinenser zu vertreiben und ihren Besitz entschädigungslos zu beschlagnahmen, also die ethnische Säuberung Palästinas.  Schon im Jahre 1937 sagte der spätere israelische Ministerpräsident  Ben Gurion "Wir müssen die Araber vertreiben und ihren Platz einnehmen." Diesem Zweck dienten im Jahre 1948 terroristische Anschläge und zahlreiche Massaker mit der Vergewaltigung von Frauen und der Ermordung ganzer Dorfbevölkerungen einschließlich der Kinder. Bekanntestes Beispiel ist das Massaker von Deir Jassin im April 1948, also vor den kriegerischen Auseinandersetzungen mit angrenzenden arabischen Staaten. In Haifa wurde die arabische Bevölkerung an und ins Meer gejagt und musste mit Schiffen die Stadt verlassen. Viele palästinensische Dörfer wurden dann mit Bulldozern eingeebnet, damit die Bewohner nicht zurückkehren konnten und die Namen der Dörfer wurden in den Landkarten getilgt. Die Hauptverantwortlichen waren Ben Gurion, Menachim Begin und Ariel Sharon. Sie wurden dafür nicht zur Rechenschaft gezogen, sondern konnten sogar  Ministerpräsidenten werden. Der israelische Historiker Ilan Pappe hat in seinem Buch "Die ethnische Säuberung Palästinas" diese Tatsachen detailliert beschrieben. Dieses Buch muss man gelesen haben, um die Ursachen des Konfliktes verstehen zu können.

 

In der Folgezeit hat Israel die Politik der ethnischen Säuberung mit anderen Mitteln weitergeführt. Die Methode bestand vor allem darin, den verbliebenen Palästinensern das Leben so unangenehm wie möglich zu machen, damit sie das Land verlassen. Ihr Grundbesitz wurde weitgehend beschlagnahmt, so dass sie von einer überwiegend autarken Agrarbevölkerung zu einem fast besitzlosen Proletariat wurden, das sich für geringe Löhne bei jüdischen Israelis verdingen mußte. Bis zum Jahre 1956 hatten sie keine Bürgerrechte und standen unter Militärverwaltung. Auch danach ging die Diskriminierung weiter, z.B. durch geringere Bildungsmöglichkeiten, Verweigerung von Arbeitsplätzen in vielen Bereichen und beschränkte medizinische Versorgung. Insbesondere wurde den meist kinderreichen palästinensischen Familien die Genehmigung zur Vergrößerung ihrer Häuser oder den Bau neuer Häuser verweigert. Ohne Genehmigung errichtete Anbauten oder neue Häuser müssen abgerissen werden oder werden kostenpflichtig mit Bulldozern zerstört und eingeebnet. Die aus England eingewanderte Israelin Susan Nathan, die sich in einem israelisch-palästinensischem Dorf niederließ, hat die brutale Diskriminierung der Palästinenser in ihrem Buch "Man schenkte mir Dornen" beschrieben.

 

Nach der Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlandes wurde die Strategie der ethnischen Säuberung durch die Entrechtung und brutale Unterdrückung der Palästinenser weiter verfolgt. Jedes Aufbegehren, wie bei der 1. und 2. Intifada, wurde blutig niedergeschlagen. Der Entzug der Lebensgrundlagen erfolgte durch die Beschlagnahme von Agrarland einschließlich der Obstgärten und Olivenbäume sowie durch die Zerstörung der gewerblichen Wirtschaft, insbesondere durch die Isolierung der Teilgebiete und die zahlreichen Kontrollpunkte.

 

Auch die Blockade des Gazastreifens und die Kriege gegen die Zivilbevölkerung nach dem Abzug der israelischen Siedler und der Armee dienen nicht Israels Sicherheit, sondern der Vertreibung oder Dezimierung der dortigen Bevölkerung. Die Zerstörung der Wohngebiete und Infrastruktur einschließlich der Kläranlagen, die Verhinderung des Wiederaufbaus, die Beschränkung der Nahrungsmittelimporte, das Verbot, die Agrarflächen entlang der Grenze zu Israel auch nur zu betreten, die Verseuchung des Grundwassers und der Küstengewässer, die weitgehende Verhinderung des Fischfangs und die totale Blockade zu Lande, zu Wasser und in der Luft haben alle nur ein Ziel: den Menschen das Leben so schwer wie möglich zu machen, sie zu dezimieren oder sie zur Abwanderung zu zwingen. Da die bisherigen Maßnahmen noch nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben, wurde schon von einflussreichen Rabbinern und anderen Persönlichkeiten zur Ausrottung der Palästinenser entweder durch massenhaftes Töten oder durch die Einrichtung von Vernichtungslagern aufgerufen. Entsprechende Äußerungen, die teilweise den Eindruck erwecken, als wären sie bei Himmler abgeschrieben worden, finden Sie in den von mir zusammengestellten Zitaten. Der holocaustüberlebende Erich Fried hatte schon frühzeitig die Parallelen von nationalsozialistischen Vorgehensweisen gegen die europäischen Juden und diejenigen der radikalen Zionisten gegen die Palästinenser aufgezeigt, wie dieses Beispiel in seinem Gedicht "Höre Israel" zeigt: "Ihr habt eure Henker / beobachtet und von ihnen / den Blitzkrieg gelernt / und die wirksamen Grausamkeiten".

 

Die israelischen Behörden lassen niemanden einreisen, der angibt, auch in die Palästinensergebiete zu wollen. Es mussten also immer falsche Angaben gemacht werden, um ins Westjordanland reisen zu können. Sie haben sicherlich auch von den Versuchen internationaler Friedensaktivisten gelesen, bei der Einreise die Absicht zu bekunden, die Palästinensergebiete zu besuchen. Etlichen wurde schon vorher, u. a. durch die Lufthansa, der gebuchte Flug storniert. Andere kamen bis auf den Flughafen von Tel Aviv. Welchen menschenverachtenden Schikanen sie dort ausgesetzt wurden, zeigt der beigefügte Bericht eines deutschen Teilnehmers dieser Aktion "Willkommen in Palästina" in der Anlage 1. Aus welchem Grunde will Israel niemanden in die besetzten Gebiete reisen lassen? Gibt es dafür irgendwelche Begründungen? Will Israel keine Zeugen seiner brutalen Besatzungspolitik? Auf jeden Fall verdienen alle außerordentlich mutigen Teilnehmer dieser Aktion, die diese perfiden Demütigungen und Strapazen auf sich genommen haben, unsere Solidarität und Hochachtung. Ihr Engagement ist vergleichbar mit dem der weißen Amerikaner, die die schwarze amerikanische Bürgerrechtsbewegung, z.B. in Alabama, unterstützten.

 

In den Reiseprospekten fast aller Veranstalter, die Nahostreisen anbieten, wird nur Israel und nicht ebenfalls Palästina benannt, auch wenn es nach Bethlehem und zu anderen palästinensischen Orten geht. In den dargestellt Karten schließt die israelische Staatsgrenze meistens den Gazastreifen und das Westjordanland ein. Hiergegen sollte von einer möglichst großen Anzahl gegenüber den Reiseveranstaltern vehement protestiert werden. Meine bisherigen Hinweise haben noch nichts bewirkt. Allem Anschein nach darf hier auch nicht als Zielgebiet „Palästina“ angegeben werden.

 

Nach Angaben von Wissenschaftlern der Universität Jerusalem gab es im Jahre 2009 weltweit über 1100 tätliche Übergriffe auf Juden. Im Jahre 2010 sank die Anzahl auf 614, also um rd. 46 %. Die hohe Anzahl im Jahre 2009 sei durch den israelischen Angriff auf die Zivilbevölkerung des Gazastreifens verursacht worden. (Quelle: Jüdische Zeitung Mai 2011) Diese Zahlen beweisen, dass die israelische Vorgehensweise gegen die Palästinenser den Antisemitismus fördert, aber dass generell antisemitische Angriffe auf Juden rückläufig sind. Auf den Zusammenhang von israelischer Politik und Antisemitismus hatte der israelische Friedensaktivist Uri Avnery schon in seinem Buch "Ein Leben für den Frieden" hingewiesen.

 

Der israelische Justizminister Yaacov Ne'eman verurteilte Mischehen von Juden, die außerhalb Israels leben, auf das schärfste. Das Problem sei nicht Konversion, sondern Assimilation. Dabei verstieg er sich zu der absurden Behauptung: "Was Hitler nicht gelang, geht heute weiter in der Diaspora."  Ne'eman  meinte damit, dass durch Mischehen das Judentum ausgelöscht werden würde. Und so ein Mensch ist in Israel Justizminister!! Rechtsextremer geht es wohl nicht. Man stelle sich einmal vor, ein deutscher Minister würde in ähnlicher Weise Heiraten zwischen Christen und Nichtchristen oder zwischen Deutschen und Nichtdeutschen verurteilen. In Israel sind Heiraten zwischen Juden und Nichtjuden nicht möglich. Juden können nur vor einem orthodoxen Rabbiner heiraten, weil es keine Zivilehen durch ein Standesamt gibt. Offensichtlich soll auf diese Weise die "rassische Reinheit" gewahrt werden. Das erinnert in der Tat an nationalsozialistische Rassegesetze. (Quelle der Ne'eman- Aussage: Adam Keller von Gush Shalom am 28. 6. 2011)

 

Der inzwischen verstorbene Verleger Axel Springer hatte sich stets sehr intensiv für Israel eingesetzt. Hintergrund war vielleicht seine Scheidung von seiner ersten Frau Martha Else Meyer, einer Halbjüdin, im Jahre 1938. Ohne die Scheidung hätte ihm womöglich Berufsverbot gedroht. "Bin 1938 auf Befehl Joseph Goebbels im Amtsgericht Altona geschieden worden. Ein Schriftleiter darf nicht mit einer Halbarierin verheiratet sein", schrieb seine frühere Frau, die sich später Dicky Funke nannte, im Jahre 2005. Es ist gut vorstellbar, dass Axel Springer diesen Makel durch seinen besonderen Einsatz für Israel ausgleichen wollte. Alle Journalisten des Springerkonzerns mußten eine Art Treueeid für Israel unterschreiben. Das Ergebnis liest man in der Springerpresse, die allem Anschein nach zu einem Bestandteil der Israel-Lobby geworden ist.


Der SPIEGEL veröffentlichte in seiner Ausgabe 29/2011, dass die Bundesregierung den Verkauf eines weiteren U-Bootes an Israel mit 135 Millionen Euro unserer Steuergelder und damit auch den Nahost-Konflikt subventioniert.  Dies sei ein "Beitrag zur Beschaffung von Verteidigungssystemen für Israel" heißt es im Entwurf des Bundeshaushalts 2012.  Diese U-Boote können auch nuklear bewaffnete Marschflugkörper, also Atomwaffen, abschießen. Wer bedroht denn die Atommacht Israel? Gegen wen will sich Israel mit Hilfe der U-Boote verteidigen? Warum hinterfragt das niemand? Die Bundesrepublik hat schon mehrere U-Boote dieser Art an Israel geliefert - die ersten beiden sogar vollkommen geschenkt, obwohl Rüstungsexporte in Krisengebiete nicht zulässig sind. Außerdem werden die israelischen Merkatpanzer, die immer wieder gegen die wehrlose palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen und im Westjordanland eingesetzt werden, von Motoren der am Bodensee ansässigen Firma MTU angetrieben.

 

In Israel wurde jetzt ein Gesetz verabschiedet, das es verbietet, die völkerrechtswidrigen Siedlungen zu boykottieren oder zum Boykott aufzurufen. Damit wurde das demokratische Recht auf Meinungsfreiheit für diesen Tatbestand aufgehoben. Alles darf in Israel boykottiert werden, nur nicht die Siedler und die Siedlungen auf geraubtem palästinensischen Boden. Wie der israelische Friedensaktivist Uri Avnery schreibt, kann nach diesem Gesetz jeder Siedler, der sich von einem Boykott geschädigt fühlt, eine unbegrenzte Kompensation von jeder Person oder Organisation verlangen, die zum Boykott aufruft - ohne daß er den tatsächlichen Schaden beweisen muss. Andere Israelis sprechen sogar offen von Faschismus. (siehe Bericht des Ran HaCohen in der Anlage 2)

 

Die Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE will jetzt einen Treueschwur auf Israel ablegen und das Bekenntnis zu Israels Existenzrecht in ihr Programm aufnehmen. Dies wäre sogar zu begrüßen, wenn es "Israels Existenzrecht in den Grenzen von 1967" heißen und gleichzeitig das Existenzrecht der Palästinenser in einem souveränen Staat anerkannt und unterstützt würde.

„Lieber einmal richtig gestritten, als irgend etwas unter den Tisch gekehrt.“ sagte unsere Bundeskanzlerin beim Treffen mit dem russischen Ministerpräsidenten. Aber wenn es um die israelischen Menschenrechtsverletzungen geht, wird feiges Schweigen zur Staatsräson. Da wird alles unter den Tisch gekehrt. Deshalb muß die Zivilgesellschaft die Mauer des Schweigens durchbrechen.

 

Ist man ein Antisemit, also Judenhasser, wenn man sich - gemeinsam mit jüdischen Menschen gleicher Überzeugungen - für Recht und Gerechtigkeit, die Achtung der Menschenrechte und des Völkerrechts sowie für den Frieden einsetzt? Wenn Antisemit jetzt diese Bedeutung hat, dann sollte es möglichst viele derartiger "Antisemiten" geben.

Anlage 1:

Bericht des Prof. Dr. Heiner Schmitz von seiner Teilnahme an der Aktion „Willkommen in Palästina“, wobei es ihm  als einem der wenigen gelungen ist, nach vielen Schikanen bis nach Palästina zu kommen.


Achter Juli 2011

Vor 18 Stunden noch in Beer Sheva.
Schon zu Beginn der Reise was einiges anders als sonst. Der Flug am vergangenen Freitag nach Frankfurt war noch normal, aber die Abfertigung von Frankfurt nach Tel Aviv fand schon in einer separaten Halle statt. Es war eine gewisse Nervosität zu spüren. Die Handgepäckkontrolle war sehr detailliert und gründlich. Eine meiner Kameras, ein Buch und eine Landkarte von Israel wurden neben meinen Schuhen einer besonderen Kontrolle unterzogen.

Der Start der Maschine war dann auch alles andere als normal. Kurz bevor die Maschine abheben wollte, gab es eine Vollbremsung und kurze Zeit später waren wir von Feuerwehrwagen umgeben, die die heiß gelaufenen Bremsen mit Wasser kühlten. Die Informationen über diesen Vorfall waren mehr als dürftig. Was danach passierte, kann man sich eigentlich nicht vorstellen. Der Frankfurter Flughafen hat völlig versagt und es entwickelte sich eine fast neunstündige Verspätung. Davon waren wir über zwei Stunden in der Maschine, ohne zu wissen, was los war.

Inzwischen haben einige jüdische Passagiere die Maschine verlassen, weil sie ansonsten mit dem Sabbat in Konflikt gekommen wären. Dann kam die Nachricht, dass der Flughafen Ben Gurion für drei Stunden geschlossen wird. Angeblich gab es Unruhen und Handgreiflichkeiten  mit Reisenden, die ähnlich wie einige in unserer Maschine dem Aufruf "Welcome to Palestine" gefolgt sind. Sie wurden angeblich von radikalen jüdischen Passanten am Flughafen bespuckt, beschimpft und geschubst. Kurze Ausschnitte gab es auch in den Nachrichten des Fernsehens.

Das Catering während der langen Wartezeit im Flugzeug und später im Flughafen war eine Katastrophe. Die Leute waren absolut überfordert und das Essen ging aus und es gab Bananen und Wasser. Die Nervosität stieg langsam, nur eine Gruppe junger Belgier sang ausgelassen und schien recht unberührt.

Der Start war dann statt um 10.15 Uhr endgültig um 18.00 Uhr. Eine Teilnehmerin hatte inzwischen von einer anderen Teilnehmerin, die über Wien nach Tel Aviv geflogen war, schlimmste Dinge gehört. Bei der Landung in Tel Aviv sind einige sofort verhört und arrestiert worden. sie hatte noch kurz die Möglichkeit, diese Nachricht zu geben, bevor man ihr das Handy abnahm. Wir waren deshalb sehr gespannt, ob uns das Gleiche blühen wird. Wir hatten inzwischen auch erfahren, dass heftige internationale Proteste in Israel gegen das Vorgehen der israelischen Behörden eingegangen sind. Gegen 10.45 Uhr Ortszeit landeten wir in Tel Aviv. Schon in den Gängen zur Passkontrolle fielen die vielen Sicherheitsbeamten auf. Eine Teilnehmerin, die während des Fluges neben mir saß und eine der beiden anderen deutschen Teilnehmerinnen mit Kopftuch, wurden schon auf dem Weg zur Passkontrolle von einer Beamtin recht rabiat festgehalten. Wir sind natürlich alle stehen geblieben. Ein männlicher Beamter erreichte nach kurzem Streit mit seiner Kollegin, dass sie bis zur Passkontrolle weitergehen konnten. An den Passkontrollschaltern verlief die Prozedur eigentlich recht unaufgeregt. Allerdings kam hier schon die Frage, ob man beabsichtige, die palästinensischen Gebiete zu besuchen. Nach der Bejahung wurden einfach die Pässe einbehalten und Beamte standen plötzlich hinter einem und man wurde in einen separaten Warteraum geführt. Dieser Raum war ca. 25 qm groß, bestuhlt allerdings nur für ca. 20 Personen, so dass nach einer Zeit wenigstens 10 Personen stehen mussten, da vier Sicherheitsbeamte zusätzlich im Raum verteilt waren. Dieser Warteraum war scheinbar extra für unseren Empfang eingerichtet worden. Es gab keinerlei Erklärungen, warum wir festgehalten wurden. Die Stimmung war anfangs noch recht locker, weil bis dahin noch keine unmittelbare Aggressivität zu spüren war. Es gab eine kurze Unterhaltung zwischen meinem Nachbarn mit norwegischer Staatsangehörigkeit und palästinensischer Herkunft und einem der Sicherheitsbeamten, die zu Heiterkeit betrug: "He, man, do you remember me?" "No, who are you?" "I am the person you arrested me last year." Kein weiterer Kommentar. Es wurden die ersten von uns zu Einzelbefragungen aufgerufen und in einen anderen Raum geführt und kamen nicht wieder zurück. Das machte verständlicherweise Unruhe in unserem Warteraum und ließ nichts Gutes ahnen. Kurz vor 24.00 Uhr wurde ich aufgerufen. In dem Raum, in den ich geführt wurde, waren fünf oder sechs Beamte, unter ihnen auch der Chief Officer. Er machte auch die Befragung und wollte natürlich wissen, was ich in Israel vorhätte. Ich habe auch wahrheitsgemäß geantwortet und gesagt, dass ich nicht nur Israel besuchen wolle, sondern auch die palästinensischen Gebiete und dass ich von der Friedensaktion weiß und diese mich auch wegen meiner Tätigkeit als Bildjournalist interessiert. Außerdem wollte ich einige Tage einen guten Freund in Ramallah besuchen. Zu meiner Überraschung sagte er plötzlich: "Welcome to Israel" und fügte noch in einem Nachsatz an: "Don`t visit the Palestinian area" und gab mir meinen Pass. Ich konnte gehen. Ich habe mein Handgepäck aus dem Warteraum geholt und den noch Anwesenden gesagt, dass ich meinen Pass habe und gehen kann.

Die böse Überraschung kam dann am Gepäckband. Mein Koffer war nicht dabei. Ich musste also am Schalter Lost and Found die entsprechenden Formalitäten erledigen und das Ganze zum Schluss vom Zoll abstempeln lassen. Das ganze hat ca. eine halbe Stunde in Anspruch genommen und meine Freude über meinen Pass war wieder sehr gedämpft. Denn als ich schon zum Ausgang wollte, wurden wieder viele Gepäckstücke auf das Band befördert. Man sagte mir, dass das Gepäckstücke einer Air France Maschine seien. Überraschenderweise war mein Koffer dabei. Ich habe nicht weiter nachgefragt, wie das sein kann, sondern war nur glücklich jetzt endlich alles zu haben und den Flughafen verlassen zu können. Es konnte also losgehen.

Wie, war allerdings nicht klar, denn wir hatten schon in Frankfurt erfahren, dass die Israelis verhindert haben, dass die Palästinenser mit Bussen zum Flughafen kommen, um uns abzuholen, um uns nach Bethlehem zu bringen. In der Empfangshalle war neben auffallender Präsenz von Sicherheitsbeamten auch ein Team vom ARD, die seit Stunden auf unsere Ankunft warteten. Ich war der erste der deutschen Teilnehmern, den sie sahen. Es wurde ein kurzer Dreh und ein Interview mit mir gemacht. Irgendwer aus der ARD-Gruppe fragte, was ich denn für einen Stempel in meinen Pass bekommen hätte. Ich hatte in meiner Begeisterung endlich rauszukommen, überhaupt nicht nachgesehen und musste jetzt feststellen, dass man mir keinen Einreisestempel in meinen Pass gemacht hatte. Das hieß ich musste zurück, um mir diesen Stempel geben zu lassen, um nicht bei der Ausreise Schwierigkeiten zu bekommen. Über die Information in der Empfangshalle hatte ich nach langem Reden erreicht, dass mich an der ersten Absperrung jemand abholt und zur Passkontrolle bringen sollte. Der Chief Officer kam persönlich und war extrem freundlich, was ihn mehr als verdächtig machte. Ich hatte tatsächlich geglaubt, dass ich zur Passstelle gebracht würde. Tatsächlich bogen wir plötzlich ab und gingen durch einen längeren düsteren Gang, an dessen Ende eine Gruppe von Soldaten standen. Ich wurde schlicht übergeben und anschließend recht rüde durch eine Tür nach draußen befördert.

Draußen stand ein grüner Gefängnisbus, dessen Gepäckklappe offen stand. Ich wurde aufgefordert, alle Taschen zu leeren und all meine Habseligkeiten incl. dem Handy ins Handgepäck zu legen und alles im Gepäckraum zu verstauen. Anschließend wurde ich gepackt und in das Fahrzeug befördert. Innen war es sehr düster. Es gab schmale Zellen, aus denen ich deutsche und französische Stimmen hörte. Ich kam in eine Zelle (Breite 75cm, Länge 350cm, Höhe knapp 180cm). Wir waren darin zu sechs, vier Deutsche und zwei Belgier.

Ich glaube, dass es inzwischen etwa 1.00 Uhr nachts war. Die Belgier sind eine sehr große Gruppe mit jungen Teilnehmer und Teilnehmerinnen zwischen 25 und Ende 30 Jahren. Diese Zelle war bisher das Schlimmste, was ich auf all meinen Reisen erlebt habe. Dagegen waren Verhaftungen der Geheimpolizei in Libyen oder Syrien ein Kinderspiel. Die Israelis verstehen es Druck auszuüben.

Ich weiß nicht, wie viel Grad wir in der Zelle hatten. Es war heiß und stickig. Und eng, so dass man die Beine nicht richtig ausstrecken konnte. Gerade mit meinem neuen Knie hatte ich massive Schwierigkeiten. Die Solidarität unter uns war sehr gut und jeder versuchte es dem anderen leichter zu machen, indem man sich etwas bewegen konnte, um die eingepferchte Situation überhaupt ertragen zu können. Der Ruf aus allen Zellen nach Wasser, der immer wieder durch Ohren betäubendes Hämmern gegen die metallenen Zellenwände unterstrichen wurde, wurde erst nach anderthalb Stunden erhört. Uns wurden kleine Wasserflaschen in die Zellen geworfen. Gegen 3.00 Uhr kam eine Beamtin und nahm noch einmal die Personalien auf, weil wir angeblich jetzt weggebracht würden, um schlafen zu können.

Die Zelle wurde immer unerträglicher und man hatte das Gefühl, dass die Hitze zunimmt. Immer wieder wurde in Sprechchören nach einem Kontakt mit den verschiedenen Botschaften und Anwälten gerufen, natürlich ohne jede Resonanz.

Ich weiß nicht, wann dieser Wagen und diese Zellen das letzte Mal gereinigt wurden. Unsere Zelle war völlig versifft und in den anderen wird es nicht anders ausgesehen haben. Die Hände waren inzwischen schwarz von dem schmierigen und klebrigen Dreck, der alles im Raum bedeckte. An einigen Stellen hatten Vorbewohner in den grünlichen Lack "Free Palestine" geritzt. Seit einer Stunde konnte man das Rufen von Frauen hören, dass zwei Personen in der Zelle dringend zur Toilette müssen. Scheinbar dauerte es eine Stunde, bis dieser Wunsch erfüllt wurde. Dann kam irgendwie Unruhe auf und es schien loszugehen. Über Stunden schienen die Soldaten den Erfolg der Arrestierung von uns zu feiern. Es kam jemand, der an die Soldaten rote Rosen verteilte.
Inzwischen war es 4.30 Uhr nachts und der erste Versuch, den Motor des Busses zu starten wurde unternommen. Es folgten noch unzählige Versuche, die aber alle nicht zum Erfolg führten, weil scheinbar die Batterie völlig leer war. Nach einer halben Stunde konnte man ein Warnblinklicht sehen, wohl von einem Werkzeugwagen, der unseren Bus in Bewegung bringen sollte.

Gegen 5.00 Uhr morgens war es endlich geschafft und unser Bus setzte sich in Bewegung und wir hatten die Hoffnung, endlich schlafen zu können. Die Fahrt in der engen Zelle war besonders unangenehm. Der Wagen fuhr mit sehr hoher Geschwindigkeit und durch einen kleinen Schlitz in der äußeren Blechwand konnten wir etwas von der vorbei fliegenden Landschaft sehen. Nach einer dreiviertel Stunde wurde die Landschaft sehr karg und ich hatte das Gefühl, dass wir schon in der nördlichen Negev sind. Das sollte sich dann später auch als richtig herausstellen, denn man brachte uns zu einem riesigen neu richteten Gefängnis bei Beer Sheva. Es war eine lange Fahrt, die am neunten Juli gegen 7.00 Uhr vor dem ersten Tor des Gefängnisses endete. Dann öffnete sich auch das zweite große Tor und kurze Zeit später standen wir vor einem großen Gebäude, in dem sich die Gefangenenaufnahme befand.

Wir wurden ausgeladen und mit 11 jungen Belgiern in einen ca. 15 qm großen Raum gebracht und eingeschlossen.  An unser Gepäck durften wir nicht. In dem Raum gab es eine steinerne Bank, auf der 5 Personen sich setzen konnten. Alle anderen mussten auf dem Boden sitzen. Die jüngeren ließen die Älteren, wie mich, auf der Bank sitzen. Es war eine notdüftig zu schließende Toilette im Raum, die aufgrund der langen Wartezeit verständlicherweise heftigst benutzt wurde. Alle im Raum waren todmüde und die jüngeren unter uns bedeckten nach kurzer Zeit den gesamten Steinfußboden und versuchten etwas zu schlafen. Im Raum stand eine Kiste mit Äpfeln und Pflaumen. Außerdem hatte man uns Wasser in den Raum gestellt. Gegen 8.00 Uhr haben wir geschellt und darum gebeten, dass drei Personen dringend an ihr Gepäck müssten, um notwendige Medikamente einzunehmen.. Dem wurde erst nach über einer Stunde entsprochen, obwohl alle zehn Minuten dieser Wunsch über eine Lautsprecheranlage wiederholt wurde. Auch in diesem Raum wurde es langsam unerträglich, weil es keine Frischluftzufuhr gab. Es war aber nicht so schlimm wie in dem Gefängnisbus. Gegen 10.00 Uhr wurden wir einzeln herausgeholt. Wir sollten in einem recht großen Gepäckraum unsere Gepäckstücke identifizieren und wurden anschließend zu einer weiteren Leibesvisitation geführt. In unserem Beisein wurde das gesamte Gepäck ausgepackt und alle wertvolleren Dinge wie Kameras, Speichergeräte, Speicherkarten, Sprachcomputer, Handies usw. wurden aussortiert und in Plastiktüten gepackt und gelistet. Die Liste mussten wir auf Richtigkeit abzeichnen. Diese Sachen wurden dann in Verwahrung genommen. alles andere kam wieder in die Gepäckstücke.

Es ging in einen weiteren Warteraum, wo sich alle Männer sammelten. Die Frauen waren scheinbar schon vor uns weggebracht worden. Wir wurden dann über ein freies Gelände an einigen Gefängnisbauten vorbei in das letzte Gebäude Nr.4 auf der linken Seite gebracht. Als wir auf unserem Weg dorthin am Gebäude Nr. 3 auf der rechten Seite vorbei kamen, riefen uns einige der Frauen durch die vergitterten Fenster etwas zu. Es war wie in einem schlechten Film. Das Gebäude war wie ein Hochsicherheitstrakt und wirkte sehr neu und recht modern. Durch längere Gänge erreichten wir eine Halle, in deren Mitte einige fest installierten Tische und Stühle waren. Ringsherum waren die Viermann-Zellen angelegt. Alles wirkte sehr sauber. Wir verteilten uns auf die Zellen, die anschließend nicht abgeschlossen wurden, sodass man jederzeit in die Halle treten konnte, wo auch an einer Seite die Duschräume waren.

Auf jedem Bett lag ein Plastikbeutel mit einem Betttuch, einer Unterhose, einem Unterhemd, einem Stück Seife, einer Zahnbürste und Zahnpasta, einem Trainings -Schlafanzug und einem Plastiktablett für die Mahlzeiten mit einem Löffel. Es war ein sehr eigenartiges Frühstück in der Halle für uns vorbereitet, aber eigentlich wollten wir nur noch schlafen.

Stattdessen gab es wieder Einzelgespräche mit einem Sozialarbeiter, der wissen wollte, wie es einem geht. Es war schon der gewisse Hohn, der in dieser Situation lag. Dann ein Gespräch mit einem Arzt, der auch wissen wollte, wie wir uns gesundheitlich fühlen und ob wir Medikamente benötigen. Die Müdigkeit wurde unerträglich, man taumelte eigentlich nur noch durch die Gegend. Ich war gerade dabei, mein Bett zu beziehen, als wir wieder in die Halle gerufen wurden. Uns wurde mitgeteilt, dass wir wieder in das vordere Gebäude gebracht würden, da zwei Damen des deutschen Konsulats dort auf uns zu Einzelgesprächen warteten.

Meine Gesprächspartnerin hat alles protokolliert, was ich ihr berichtet habe und mir zugesagt, dass meine Frau verständigt wird und ihr auch gesagt wird, dass es mir den Umständen entsprechend gut geht. Das ist dann scheinbar auch geschehen. Sie sagte außerdem, dass die Botschaft davon ausgeht, dass wir alle in den kommenden ein bis zwei Tagen über den Flughafen Ben Gurion abgeschoben würden und außerdem einen Stempel in unseren Pass bekommen, der eine Einreise nach Israel in den nächsten zehn Jahren unmöglich macht. Da das im September zu erwartende Palästina keinen Flughafen mehr hat, da der Flughafen in Raffah im Gazastreifen von den Israelis zerstört wurde, würde das bedeuten, dass Menschen mit einem solchen Pass auch Palästina in Zukunft nicht mehr erreichen können, da Israel sich die Sicherung der Grenze zu Jordanien vorbehält und auch in Zukunft kontrollieren wird.

Da wir nicht gemeinsam wieder zurück gebracht wurden und ich mich in der letzten Gruppe befand, erreichte ich gegen 13.00 Uhr wieder die Halle in unserem Gebäude, wo in der Zwischenzeit das Mittagessen ausgeteilt worden war.

Obwohl ich auch Hunger hatte, war mir der Schlaf viel wichtiger, aber vorher wollte ich erst einmal gründlich duschen. Ich wollte gerade mein Vorhaben auch in die Tat umsetzen, als es plötzlich hieß, es sei eine Delegation vom Immigration Office eingetroffen, um mit uns noch einmal Einzelgespräche zu führen. Es war etwa 13.30 Uhr als ich als Erster aufgefordert wurde, einem Beamten in ein kleineres Büro zu folgen. Diese Befragung fand mit vier Sicherheitsdienstlern statt, wobei der Chief Officer auch wieder dabei war, der im Flughafen so ein übles Spiel mit mir getrieben  hatte. Eigentlich waren es immer die gleichen Fragen. Man war aber recht freundlich und mir wurde ein Papier hingeschoben, das in Hebräisch verfasst war. Ich habe mich natürlich geweigert, dieses Papier zu unterschreiben. Man bot mir die Freilassung an, wenn ich bereit sei, nicht die palästinensischen Gebiete zu bereisen. Wenn ich nicht unterschreiben würde, würde ich in Kürze abgeschoben. Das habe ich kategorisch abgelehnt, weil ich u.a. auch Israel besuchen wollte, einen guten Freund in Ramallah habe und außerdem als Bildjournalist mir nicht nur in Israel, sondern auch in den palästinensischen Gebieten fotografische Aufgaben gestellt hätte. Man bat mich wieder aus dem Büro zu gehen, man wolle ein neues Papier vorbereiten und würde mich wieder reinrufen. Inzwischen wurde versucht, auch andere von uns zu überreden, Papiere zu unterschreiben.

Seit 39 Stunden kein Schlaf haben dazu geführt, dass man überall, wo man etwas zur Ruhe kam, drohte einzunicken und eigentlich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Gegen 15.00 Uhr wurde ich nochmals in das Büro gerufen. Jetzt wurde mir ein Papier hingeschoben, das in hebräisch und englisch verfasst war. Mit einer Unterschrift würde ich versichern, dass ich in keiner Situation israelisches Militär beschimpfe oder sogar gewalttätig attackiere. Da das nie meine Absicht war, habe ich das Papier unterschrieben, aber nicht bevor ich nochmals betont habe, dass ich in jedem Falle auch in die palästinensischen Gebiete fahren werde.

Das wurde dann auch so akzeptiert. Mir wurde dann nur noch gesagt, dass ich meine Sachen packen soll und innerhalb der nächsten ein bis zwei Stunden wieder frei sei und zum Busbahnhof nach Beer Sheva gebracht würde. Die anderen Teilnehmer haben sich unterschiedlich verhalten.

Die Belgier haben geschlossen verweigert, etwas zu unterschreiben und ein Teil von ihnen wollte in einen Hungerstreik treten. Ein deutscher Teilnehmer hat ebenfalls unterschrieben und kam mit mir frei. Was aus den anderen geworden ist, weiß ich nicht genau, habe aber gehört, dass alle am Sonntag (10.07.) mit dem besagten Stempel abgeschoben wurden.

Um 16.30 Uhr erfolgte noch eine sehr umständliche und zeitaufwändige Abwicklung der Rückgabe der gelagerten Wertgegenstände. Um 17.30 Uhr ging es dann in einem gepanzerten Fahrzeug endlich nach Beer Sheva und dann mit  Sammeltaxen über Tel Aviv nach Jerusalem, wo ich um 22.00 Uhr eintraf und glücklicherweise auch ein schönes kleines Hotel in der Altstadt fand.

Ich habe bestimmt trotz meiner Ausführlichkeit einiges vergessen. Ich wünsche mir,  Interesse für diese Geschichte geweckt zu haben. Ich werde am 23. Juli wieder im Lande sein.
Herzliche Grüße


Anlage 2:


Dinge, die man sagen kann – Dinge, die man nicht sagen kann
Faschismus an der Spitze

http://original.antiwar.com/hacohen/2011/07/12/things-you-can-say-things-you-cannot

Ran HaCohen, 13. Juli 2011  Antiwar

Das Anti-Boykottgesetz wurde Montagabend verabschiedet. Viel ist gesagt worden, was die amerikanische Regierung – die immer blind für die Realitäten des Nahen Ostens ist -  als „interne Angelegenheit“ bezeichnet. Lassen Sie mich gerade hinzufügen: meine Leser mögen sich daran erinnern, dass es von jetzt an Dinge gibt, die mir nicht zu sagen erlaubt sind. Z. B. drückte ich mehrfach in der Vergangenheit meine Unterstützung für den Boykott der Siedlungsprodukte aus. Ich darf es nicht mehr. Ich sage nicht, dass ich vorher immer sagen konnte, was ich wollte. Für kritische Schreiber, die in Israel leben, war Selbstzensur unvermeidlich. Aber jetzt hat man eine offizielle Bestätigung vom israelischen Parlament bekommen: Israelis dürfen nicht mehr offen ihre Meinung aussprechen. Die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ schließt sich offen den „Demokratien“ rund herum an – wenn auch einige dieser „Demokratien“ versuchen, Demokratien zu werden.. Wir bleiben zurück. Oder besser: wir bewegen uns rückwärts. Sehr schnell.

Das Gesetz könnte vom Obersten Gerichtshof Israels abgelehnt werden, aber dies  wird die faschistische Koalition nur anspornen, das Gericht in Schranken zu halten, wie es das schon seit Jahren tat. Unterdessen entfernte Gush Shalom, das vor Jahren den Boykott der Siedlungswaren initiierte, die Liste mit den Produkten von seiner Website. „Wir können es uns nicht leisten, weiterhin die Liste zu veröffentlichen“, sagen sie.  Die viel vorherrschendere Peace Now-Bewegung andrerseits, die niemals vorher den Boykott unterstützt hat (zu „kontrovers“) erkennt jetzt die  Ausschreitung der Linken und versucht, daraus Kapital zu schlagen.

Wovor fürchtet sich Gush Shalom? Ein enthüllender Aspekt des neuen Gesetzes ist die Art und Weise, wie es verhängt wird. Der Staat Israel wird nicht irgend jemanden anklagen, der zum Boykott aufruft – das würde im Ausland keinen guten Eindruck machen. Stattdessen kann jeder, der sich wegen des Boykottaufrufes betroffen fühlt, jeden, der dazu aufgerufen hat, gerichtlich belangen, und vor Gericht braucht der Kläger den ihm verursachten Schaden nicht beweisen – so ist das Gesetz.

In andern Worten : jeder israelische Erzeuger aus den besetzten Gebieten kann jeden wegen Boykott verklagen. Falls ich zum Boykott aller Siedlungsprodukte aufrufe – ich sage nicht, dass ich es tue, ich sage, „falls“ -  kann mich jede israelische Firma, die in den besetzten Gebieten ist, mich gerichtlich belangen – und es gib dort Hunderte solcher Firmen. Sie operieren also nicht nur auf gestohlenem palästinensischen Land, sie profitieren nicht nur an großzügigen Begünstigungen – dank meiner Steuergelder – weswegen sie vor allem in diese Gebiete zogen, nun können sie mich verklagen und  auch mein Geld nehmen, weil ich zum Boykott aufgerufen habe ( falls ich es tue). Was mit einer Enteignung der Palästinenser begann, wird nun zu einer Enteignung irgendeines Israeli, der es wagt, sich gegen diese Enteignung zu stellen. Was mit Versklavung der Palästinenser begann, kann mit der Versklavung ihrer Unterstützer innerhalb Israels enden.

Dies mag eine Innovation sein, aber indem die Siedler selbst dazu benützt werden, um die Besatzung zu fördern, ist eine alte typisch israelische Strategie. Der Staat delegiert einige seiner peinlicheren Funktionen an die Siedler. Es ist nicht immer der israelische Staat, der palästinensisches Land und Wasser stiehlt. Es sind nicht immer israelische Soldaten, die palästinensische Männer, Frauen und Kinder und Vieh schikanieren, die Steine auf sie werfen, ihre Felder anbrennen, ihre Bäume absägen, ihre Oliven rauben und das Öl verkaufen. Manchmal ist es der Staat mit seinen Soldaten, aber immer öfter sind es die Siedler, die sog. Zivilisten, die verdeckt (oder offen) vom Staat unterstützt werden. Die Siedler machen die schmutzige Arbeit, die der Staat lieber nicht tut. Der Staat gibt ihnen die Mittel -  Geld, Waffen, die Gesetze, sich blind stellen, Straflosigkeit – während die Siedler die Arbeit tun. Es ist die typische Funktion einer Miliz in einem faschistischen Regime, so lange es die Palästinenser terrorisiert hat; nun erhält es eine rechtliche Lizenz, seine israelischen Opponenten zu terrorisieren. Man erinnere sich daran, wenn Shimon Peres über die „Extremisten auf beiden Seiten“ spricht.  Der israelische Extremist hat eine Regierung hinter sich.

Rassismus ganz unten

Die Rückkehr nach Israel aus dem Ausland ist immer ein entscheidender Augenblick. Ich frage mich immer, wie lange es dauert, bevor ich seufze und zu mir selbst sage: „Oh, ich bin in Israel.“ Als ich letztes Jahr den frühen Zug vom Flughafen nahm  - um 5 Uhr, noch verwirrt vom Nachtflug und eine Sekunde zögernd, ob es der richtige Zug war, schrie mich ein junger Mann in Uniform an: „Mach schon, steig ein! Siehst du denn nicht, dass wir schon spät dran sind?!“ Oh ja, ich bin in Israel. Ich hatte gerade zwei Wochen in Äthiopien verbracht und keiner  ob jung oder alt, schwarz oder weiß, wagte mich anzuschreien.

Dieses Mal – vielleicht unbewusst traumatisiert von jener Rückkehr, vielleicht einfach wegen des rückständigen Zugdienstes vom Flughafen spät in der Nacht entschied ich mich, ein Taxi für die Heimfahrt zu nehmen. Ich setzte mich neben einen älteren Fahrer, der höflich genug war, mir beim Gepäck zu helfen. Er fuhr ab und erblickte einen Passanten, der vor dem Flughafen stand. Und plötzlich fing er zu fluchen an, Vulgärausdrücke aller Arten, zu scheußlich, um sie zu wiederholen, äußerst mannigfaltig, wenn man sein schlechtes Hebräisch bedenkt. Ich war schockiert. Ich wandte mich um: der unschuldige Passant war ein Muslim mit Bart und sauber in ein weißes Gewandt gekleidet. Er stand nur gerade da und wartete vielleicht auf ein Taxi.

Der Fahrer bemerkte meinen Schock und begann sich sofort zu entschuldigen. Er legte seine Hand auf mein Knie und schwor, es sei nicht so gemeint gewesen. Er wollte nicht mich beleidigen oder mich verfluchen, nur gerade diesen schmutzigen, lausigen Scheißaraber, der dort stand. Es sollte ihnen gar nicht erlaubt sein, hier zu sein!

Ich dachte schon daran, auszusteigen, aber ich war zu müde. So fragte ich den Fahrer, ob er denn diesen Mann kenne, und was dieser Mann ihm getan hätte. Er sagte, er kenne diesen Araber nicht, aber alle Araber sind gleich – also zur Hölle mit ihnen.

Ich sagte ihm, ich käme gerade aus Antwerpen und kein Taxifahrer würde dort nur davon träumen, in der Art von lokalen Juden zu sprechen, die (da meistens orthodox) auch Bart tragen und verschieden gekleidet sind.

Er erklärte, Araber seien Lügner: an einem anderen Tag fuhr er einen Araber nach Kfar Saba, und als sie dort ankamen, bat ihn der Passagier, ihn weiter nach Qalqilyah zu fahren, nur wenige Minuten  entfernt.

War der Fahrer nicht glücklich noch ein paar Cents mehr zu verdienen? Gar nicht. Er fährt nicht nach Qalqiliyah. Es liegt in der Westbank. Er weigerte sich. Wir fahren nicht in die (besetzten) Gebiete“. Zu gefährlich. Ein paar Geschichten über verrufene palästinensische Autodiebe folgten.
Ich fragte den Fahrer, was er tun würde, wenn ich ihn darum bitten würde mich nach Ariel oder Tapuach zu fahren in illegale jüdische Siedlungen in der Westbank.

„Sehr gerne, mein Freund,“ sagte der Fahrer, „Ich wäre glücklich, sie dort hinzufahren.“
„Es stimmt also nicht, dass du nicht in die Gebiete fährst; du fährst zu den  jüdischen Siedlungen in den Gebieten, aber du fährst nicht an arabische Orte, nicht wahr?“

„Wir fahren auch an arabische Orte“, sagte er. Ich kann sie nach Um-el-Fahm oder Nazareth (innerhalb Israels) fahren – aber nicht in die Gebiete. Und dieser schmutzige Palästinenser hätte mir gleich am Anfang sagen sollen, dass er nach Qalqiliah will.“

„Aber wenn er Ihnen die Wahrheit gesagt hätte, hätten sie sich geweigert, ihn dorthin zu bringen, nicht wahr?“

Der Fahrer gab zu, dass dies wahr wäre.

„Was hätten Sie an seiner Stelle getan? Was würden Sie tun, wenn Ihr Zuhause in Qalqilyah ist. Wohin keine Züge und Busse fahren?“

Der Fahrer gab schließlich zu, dass er keine Lösung für den Palästinenser hat, dessen einzige Sünde ist, dass er sein Zuhause in Qalqilyah hat.

Ich kam noch mal auf den anderen Araber, den Passanten, zurück: Was hat er dem Fahrer angetan? Der Fahrer kam auf das, was ich früher gesagt habe: „Man kann nicht verallgemeinern, jede Person ist anders.“ Und „Verstehen Sie mich, bitte, nicht falsch, Herr; ich bin kein schlechter Mensch.“

Dann erzählte er mir, dass er vor 21 Jahren aus Taschkent, Usbekistan ausgewandert sei, wo 90% der Bevölkerung Muslime sind, fügte ich hinzu. Er fliegt jedes Jahr zurück, um dort alte Freunde zu besuchen.

Ich denke nicht, dass der Taxifahrer ein schlechter Mensch ist. er ist nur ein Symptom. Er hat aus Erfahrung gelernt, dass es im Israel von 2011 legitim ist, eine Person mit einem Packen schmutziger Wörter in die Hölle zu senden, nur weil er Araber ist. Oder besser: dass es legitim ist, mit seinem Passagier einen Packen voll schmutziger Wörter gegen einen unschuldigen Araber auszutauschen, vorausgesetzt der Passagier sieht jüdisch aus. Er wollte mit mir nicht unhöflich sein; im Gegenteil; es war seine Weise freundlich zu sein, indem er unsern gemeinsamen Nenner ansprach: Hass gegen Araber.

Historiker sprechen von Antisemitismus im Vornazi-Deutschland als einem allgemeinen System von Überzeugungen und Äußerungen, die man mit der (nicht-jüdischen) Person als normale, annehmbare, korrekte, ja sogar offenkundige Tatsache des Lebens teilte. Jeder hasst Juden, gerade wir jeder Kakerlaken hasst – was ist daran besonders? Der Taxifahrer reflektiert nur den israelischen Mainstream von heute. Mit solch einer Regierung und solch einer öffentlichen Atmosphäre ist der Taxifahrer die letzte Person, die ich anklagen möchte.

(dt. Ellen Rohlfs)