Palästina-Israel - Info & Gedanken Nr. 35
von Siegfried Ullmann
Liebe Friedensfreunde, Nahost-Interessierte und Israel-Unterstützer,
ein Israel-Palästina Besucher erlebte vor einigen Jahren Folgendes: In einem palästinensischen Flüchtlingslager sah er verzweifelte, weinende Frauen und Kinder auf den Trümmern eines Hauses sitzend. Eine Nachfrage ergab, dass der Hauseigentümer einen entfernt wohnenden Neffen für eine Nacht aufgenommen hatte, nicht wissend, dass sein Neffe wegen einer Straftat gesucht wurde. Die Israelis sprengten daraufhin das Haus mit allem, was sich darin befand und machte die Familie obdachlos. Eine derartige Sippenhaft gab es zuvor nur im sogenannten Dritten Reich und im Irak des Saddam Hussein. Natürlich werden bei gleichen Delikten nur Palästinenser durch Hauszerstörungen "bestraft", aber niemals jüdische Israelis.
Im Spiegel 15/2011 wurde von der Friedensinitiative, die der frühere Mossad-Chef Dani Jatom gemeinsam mit etwa 40 Generälen, Ex-Geheimdienstlern und Akademikern entwickelt hat, berichtet. Dieses soll das Friedensangebot der arabischen Staaten ergänzen. Aber die israelische Regierung ist allem Anschein nach nicht darauf eingegangen. Unsere Bundesregierung hat diesen Vorschlag ebenfalls ignoriert – immer in Israels Fahrwasser segelnd.
In Libyen haben Gaddafis Truppen Streubomben aus spanischer Produktion eingesetzt, was mit Recht verurteilt wird. Auch wegen anderer Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung soll Gaddafi zur Rechenschaft gezogen werden. Aber als Israel im Jahre 2006 noch in den letzten Tagen des Libanonkrieges Tausende Streubomben abwarf, wurde nicht verlangt, den israelischen Ministerpräsidenten Olmert, der für diesen Krieg verantwortlich war, vor dem Internationalen Gerichtshof anzuklagen. Im Gazastreifen hat Israel sogar weißen Phosphor gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt und schießt weiterhin auf Männer, Frauen und Kinder mit Granaten, die mit Stahlpfeilen gespickt sind (siehe AI-Bericht). Trotzdem hat das keinerlei Konsequenzen für die dafür verantwortlichen israelischen Politiker. Halten Sie das für richtig?
Kürzlich wurde in Jenin im Westjordanland der israelische Friedensaktivist und Gründer des Freedom Theaters Juliano Mer Khamis von vermummten Gestalten erschossen. Zwei Wochen später geschah dann im Gazastreifen die Entführung und Ermordung des italienischen Friedensaktivisten Vittorio Arrigoni, angeblich durch militante Islamisten. Arrigoni war Augenzeuge des israelischen Großangriffs "Gegossenes Blei" auf den Gazastreifen und hatte das Vorgehen der israelischen Armee in seinem Buch "Mensch bleiben" eindrucksvoll beschrieben. Er setzte sich auch weiterhin sehr intensiv für die Palästinenser ein. Deshalb muss man sich fragen: Waren die Attentäter wirklich islamische Fundamentalisten? Oder wurden da gezielt falsche Spuren gelegt? Hatte nicht nur Israel ein Interesse an der Ausschaltung dieser zwei mutigen Männer, weil deren Aktivitäten der israelischen Politik zuwiderliefen? Waren die vermummten Mörder im Westjordanland vielleicht Mitglieder eines der israelischen "Kill-Teams", die schon des öfteren als Araber verkleidet Palästinenser umgebracht haben? Oder waren es palästinensische Kollaborateure oder Kriminelle, die gegen entsprechende Bezahlung einen Auftragsmord durchführten? Ob das jemals aufgeklärt werden wird? Es sieht wirklich so aus, als sollten diese beiden Morde alle Menschenrechtsaktivisten abschrecken, weiterhin im Gazastreifen Palästinenser vor den Übergriffen der Israelischen Armee und im Westjordanland vor der Brutalität der Siedler zu schützen und die Weltöffentlichkeit zu informieren.
Von israelischer Seite wurde verkündet, dass eine neue Spezialeinheit gegründet wurde, die sogar im Ausland Organisationen und Personen ausschalten soll, wenn diese Israel "delegitimieren" würden.
Die Fernsehsender ARTE und Phoenix zeigten die Dokumentation "Aghet - Ein Völkermord" über die grausame Ausrottung der Armenier durch die Türken in den Jahren 1915 bis 1918. Aghet ist der armenische Begriff für Katastrophe. In diesem Film tragen Schauspieler in der Rolle der damaligen Autoren die Berichte von den unvorstellbaren Massakern vor, die zum Teil durch Bilddokumente veranschaulicht werden. Die Verantwortlichen fanden später in Deutschland eine Zuflucht. Und die Türkei weigert sich bis heute, die geschichtlichen Tatsachen anzuerkennen und stellt sogar die Erwähnung unter Strafe. Die Politikern und Generäle, die den unmenschlichen Völkermord befahlen, werden weiterhin durch Denkmäler und die Benennung von Straßen und Plätzen geehrt. Aus geostrategischer Rücksichtnahme wurde in westlichen Ländern die offizielle Anerkennung dieses Völkermords verhindert, obwohl er durchaus mit der Vernichtung der europäischen Juden vergleichbar ist. Wenn man diese Filmdokumentation gesehen hat, kommt man zu der Überzeugung, dass von der Einmaligkeit und Unvergleichbarkeit der jüdischen Shoa zudem nicht die Rede sein kann. Außerdem wird deutlich, dass die Palästinenser heute von vielen Israelis in gleicher Weise verteufelt und zu Feinden erklärt werden, wie damals die Armenier durch die Türken,
Ich bewundere immer wieder die mutigen Freiwilligen, die versuchen, die Willkür der israelischen Siedler und des Militärs zu hemmen. Hierzu gehören auch die Freiwilligen des Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel. In der Anlage 1 finden Sie den eindrucksvollen Bericht "Einsatz in Yanoum - Zerstörung im Jordantal" aus der Zeitschrift "Im Lande der Bibel", herausgegeben vom Berliner Missionswerk und vom Jerusalemverein. Mit besonderer Unmenschlichkeit geht Israel gegen beduinische Bewohner des Jordantals vor, wie Adam Keller unter der Überschrift "Aqaba: Nur zu existieren ist schon ein Verbrechen" berichtet (siehe Anlage 2).
Eine positive Nachricht ist die unter ägyptischer Vermittlung zustande gekommene Vereinbarung von Fatah und Hamas zur Bildung einer gemeinsamen Regierung. Leider hat sich unser Außenminister Westerwelle gleich wieder als Sprachrohr der rechtsextremen israelischen Regierung betätigt und Verhandlungen unter Beteiligung der Hamas von den üblichen israelischen Bedingungen abhängig gemacht. Westerwelle hat aber keine Probleme, mit dem israelischen Außenminister Avigdor Lieberman geradezu freundschaftlichen Umgang zu pflegen, obwohl Lieberman den Palästinensern ein Existenzrecht in einem eigenen Staat verweigert und sogar die palästinensischen Israelis "transferieren", also aus dem Land vertreiben will, sobald sich hierfür ein Vorwand finden lässt.
Abschließend möchte ich noch auf den Amnesty-Bericht über die israelische "Operation Gegossenes Blei", also über den mörderischen israelischen Angriff auf den Gazastreifen im Dezember 2008 und Januar 2009 hinweisen. Dessen deutsche Übersetzung kann als Broschüre (110 Seiten, DIN A 4) mit eindrucksvollen Fotos zum Selbstkostenpreis von 5,-- Euro von Friedhelm Kuhl unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder Claudia Bergmann unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! angefordert werden.
Anlage 1 - Das verwüstete Dorf Awarta
Mazin Qumsiye, April 2011 http://qumsiyeh.org
….Schließlich fuhren wir in das Dorf Awarta und waren fassungslos über das, was wir dort sahen und hörten.
Unterwegs hielten wir bei dem winzigen Dorf Izbet al-Tabib, einem Dorf mit 350 Einwohnern. Es hatte gerade eine neue Order vom israelischen Militär erhalten, dass es einen großen Anteil seines Landes enteignen würde. Die Mauer, die dort gebaut und das Land dahinter isolieren wird, soll die illegale Schnellstraße 55 schützen, eine israelische Straße, die schon auf palästinensischem Land gebaut wurde. Sie ist für die Siedlungen bestimmt, die auf dem westlichen Wasseraquifer der palästinensischen Westbank gebaut wurden.
Doch statt die Mauer auf der kolonialen Straße 55 zu bauen, wird sie in großer Entfernung von dieser im Norden ganz nah am Dorf gebaut, um das reiche landwirtschaftlich genützte Land dazwischen auch zu bekommen. Die Dorfbewohner wissen nicht, was sie tun sollen, außer zu den voreingenommenen israelischen Gerichten zu gehen, die von israelischen Richtern geleitet werden, die ganz eindeutig israelisch koloniale Interessen begünstigen. Die Arbeit an der Mauer soll am Sonntag beginnen, und die Dorfbewohner baten uns, ob wir dann nicht kommen könnten.
Dann fuhren wir weiter in Richtung Nablus und Awarta. Nach einem kurzen Mittagessen in Nablus bei unserm Freund Dr. Saed Abuhijleh ging es weiter nach Awarta. Wir fuhren in das reiche Tal von Westen, fuhren an einem israelischen Militärlager vorbei und sahen überall auf den Hügeln ringsherum die jüdischen Siedlungen. Das ursprüngliche Dorf mit 6000 tapferen Seelen liegt am nördlichen Abhang des Tales und die Dorfbewohner sind ständig mit dem Anblick der auf ihrem Land wachsenden Kolonialsiedlungen konfrontiert. Die Hauptsiedlung auf gestohlenem Dorfland wird von den Siedlern Itamar genannt. Über 12000 Dunum Land von Awarta wurden schon von dieser Siedlung geraubt, die von den fanatischsten der jüdischen Sieder bewohnt wird. Zwei Palästinenser aus Awarta wurden getötet, weil sie knapp 500 Meter vor den befestigten Zaun dieser Siedlung geraten waren. Dies ist einer der vielen Gründe, warum wir überzeugt sind, dass die ganze Geschichte über den Mord an einer Siedlerfamilie durch zwei Teenager aus dem Dorf von Awarta eine Lüge ist. Aber der Mord an diesen Siedlern bereitete den Weg für den Überfall der israelischen Armee auf das Dorf: Die Leute wurden geschlagen, es wurde viel zerstört, es wurde gefoltert und vieles mehr – alles als kollektive Strafe. Es ist schwer zu beschreiben, was wir sahen und hörten.
Das Dorf hat in der Vergangenheit schon wiederholt Angriffe von Siedlern erlitten. Erst letztes Jahr haben Siedler und Soldaten (aus nächster Nähe) zwei Jugendliche (18 und 19 Jahre alte Cousins ) erschossen: Salah und Muhamad Qawarig), die auf ihrem Feld arbeiteten. Dorfbewohner fragten uns, warum es da keine Empörung gegeben habe und niemand für diese brutalen Taten verantwortlich gemacht wurde. Wir sind alle 100%ig davon überzeugt, dass die Siedlerfamilie nicht von palästinensischen Teenagern getötet wurde, von denen die israelischen Behörden behaupten, sie seien die Schuldigen. Die Geschichte der kolonialen Armee ist so voller Lücken, dass sie einfach nicht glaubwürdig ist. Es sind Dinge, die keinen Sinn ergeben.
Warum sollten zwei junge Teenager, die nichts mit Politik zu tun haben und von denen einer ein glatter Einser-Student im letzten Gymnasialjahr war und der andere ein westlicher Rapper ist und sich am Leben erfreut - warum sollten die so etwas tun? Kinder zu töten, wird in unserer Kultur unter keinen Umständen geduldet. Wie sollten solch junge Leute es fertig bringen, eines der am schwersten bewachten und abgesicherten Siedlungen in der Westbank betreten . Wie sollten sie durch einen Elektrosicherheitszaun und alle anderen Barrieren in eine Siedlung kommen, die damit prahlt, dass sie die Sicherste aller jüdischen Siedlungen auf der Westbank sei. Wie sollten zwei Fremde es fertig bringen, zwei Stunden in der Siedlung zu bleiben und zu demselben Haus zurückkehren, um ein M 16-Gewehr zu holen, das dort im Schlafzimmer lag (so die Armee)
Warum sollten zwei Leute, die solch ein Verbrechen begangen haben sollen, zurück zum Studium gehen oder sich tagelang ihres Lebens erfreuen, wenn einer von ihnen verhaftet wurde, 10 Stunden lang verhört und dann entlassen wurde? Warum nicht weglaufen?
Es gab Berichte in israelischen Zeitungen, dass ein Thai-Arbeiter, dem Tausende Schekel nicht bezahlt wurden, in die Sache verwickelt sei – aber plötzlich verschwand dies aus den Medien. Warum wohl?
- Was ist mit der Behauptung der Dorfbewohner, dass dieser ganze Vorfall dahin abzielte, weitere 1000 Dunum ihres Landes zu fordern?
- Warum erlaubten die israelischen Behörden den Medien nicht die Untersuchung dessen, was wirklich vorgefallen war?
- Warum erlaubten die israelischen Behörden keine unabhängige Untersuchung oder internationalen Schutz oder die Präsenz von Zeugen für das, was vorgefallen war.
- Warum wurde den beiden jungen Leuten der Zugang zu Anwälten verboten und der Besuch von Familienangehörigen?
Diese und hundert andere Fragen stellten die Dorfbewohner. Besonders geschockt war ich von dem. was Um Adam, eine 77jährige Großmutter (mit 14 Kindern und über 73 Enkeln) erzählte. Sie war mit 100 anderen verhaftet und gezwungen worden, einen DNA-Test zu machen und ihren Fingerabdruck auf ein Papierdokument auf Hebräisch zu setzen, das sie nicht lesen konnte. Sie und hundert andere erhielten während ihrer Haft keinen Zugang zu einem Anwalt. 14 ihrer Kinder und Enkel sind noch immer von den kolonialen Soldaten gekidnappt. Eines ihrer Kinder, das noch immer von den Israelis festgehalten wird, ist der freiwillige Chef des Gemeinderats. Ein anderes ihrer Kinder ist der einzige Arzt des Ortes. Die Wohnungen dieser beiden , auch ihre Wohnung und vieler anderer wurden durchwühlt, geplündert und schwer beschädigt. Der Raum des Arztes und seine medizinischen Bücher und Medikamentenvorräte wurden nicht geschont. Während wir fast drei Wochen nach den Vorfällen kamen, waren viele der Wohnungen/Häuser mit Hilfe internationaler Freiwilliger aufgeräumt und gereinigt worden. Trotzdem konnten wir die Schäden noch sehen. Ein ganzes Dorf in solcher Weise zu strafen, erinnert uns an das schlimmste Regime in der Geschichte.
Es ist ein Schandfleck auf der Menschheit, dass die Welt über diese Praktiken von Landraub und Zerstörung der Lebensgrundlage der Menschen schweigt. Nun wo Hamas und Fatah einige ihrer Differenzen aufgeben wollen, frage ich mich, ob einer von ihnen (in der Position von „Autorität“) etwas für die Dörfer Awarta oder Izbet Al-Tabib tun wird. Wir sind traurig und zornig, und wir bitten alle anständigen Menschen (Israelis, Palästinenser und Internationale) alles , was von unserer kollektiven Apathie übrig blieb, abzulegen. Wir müssen darauf bestehen, dass die Siedler von allem gestohlenen palästinensischen Land entfernt werden und dass Palästinensern Schutz gewährt wird. Wenn den Palästinensern nicht durch neutrale Parteien Schutz gegeben werden kann, dann ist es fast sicher – auf Grund unserer Geschichte von 15 Aufständen, dass ein neuer Aufstand gegen diese Ungerechtigkeit ausgeführt werden wird.
„Ein wesentlicher Faktor ist, dass wenn Menschen nicht gezwungen werden sollen, als letztes Mittel eine Rebellion gegen Tyrannen und Unterdrückung zu nehmen, dann müssen ihre Menschenrechte per Gesetz geschützt werden.“ Präambel der allgemeinen Menschenrechte.
(dt. Ellen Rohlfs)
Anlage 2 - Aqaba: Nur zu existieren ist schon ein Verbrechen
Adam Keller, 12.4.11. Crazy Country
Letzte Woche war die IDF an der Grenze zum Gazastreifen sehr beschäftigt mit Schießen und Zurückschießen, mit Granaten und Raketen und mit Bombardieren und mit dem Abfangen von Raketen. (Die neue Entwicklung: Der „Eiserne Dom“ wurde vor Ort unter Feldbedingungen getestet – die nach Sderot abgefeuerten Raketen sollen in der Luft abgefangen und zerstört werden. Das ist anscheinend auch teilweise gelungen. Doch trotz all diesem fand das Militär die Zeit und die Ressourcen, um eine zweite Front bei einem kleinen Dorf in der nordöstlichen Westbank zu öffnen, in Aqaba.
Zusammen wohnen dort etwa 300 Menschen. Keine Rakete wurde von dort abgeschossen. Nicht einmal Steine wurden dort geworfen, weder jetzt noch mitten in der 1. Intifada, auch nicht während der 2. Intifada. Niemals wurden Leute von dort wegen irgend einer kleinen Gewalttätigkeit angeklagt. Trotz alledem konnte die IDF mitten in einer kriegsähnlichen Eskalation an der Gazagrenze es sich leisten, viele Soldaten zu einem militärischen Auftrag in dieses Dorf zu senden – fast so viele Soldaten, wie das Dorf Bewohner hat.
Die Soldaten gingen auf drei Häuser zu, die zum Abriss markiert waren. Sie befahlen den Familien, die Häuser sofort zu verlassen, sie warfen ihren Besitz hinaus und begleiteten Bulldozer, die vor den Augen der erschrockenen Kinder die Häuser zerstörten. Auch die zwei Straßen, die das Dorf mit der Außenwelt verbinden, wurden von der ‚moralischsten Armee der Welt’ aufgerissen, dass sie unpassierbar für die PKWs der Aqababewohner wurden. Auch die Strompfähle wurden ausgerissen und zerstört und der Zaun am Straßenrand. Ja sie gingen sogar auf die Felder nahe der Straße, pflügten sie um und zerstörten einen großen Teil der Ernte.
Die „Friedensstraße“, wie die Aqaba-Bewohner die einen Kilometer lange Straße nannten, die sie mit der Schnellstraße des Jordantals verbunden hat. Die Soldaten, die vom Staat Israel dorthin gesandt wurden, achteten nicht auf den Namen der Straße, die sie zerstören sollten.
Ein wenig Geschichte
Dies ist nicht das 1.Mal, dass das Dorf für eine harte Behandlung vom Staat Israel ausgesucht wurde. Tatsächlich verbargen unsere Behörden nie den Wunsch, dass dieses Dorf nicht hier sein sollte. (Es erscheint auf keiner Karte, die in Israel gedruckt wurde). Man bemühte sich sehr darum, dass es von dort verschwand. Nicht nur dass immer wieder Häuser zerstört wurden. Viele Jahre lang war die Mitte des Ortes Übungsplatz für die IDF, wo Soldaten zwischen den Häusern übten, scharf zu schießen. Nicht weniger als 9 Dorfbewohner wurden so erschossen und andere von Irrläufern verletzt. Doch die Bewohner weigerten sich, den Wink zu verstehen und wegzugehen. Sie begruben ihre Toten, beweinten sie und setzten ihr Leben an diesem schwierigen und gefährlichen Ort fort.
Erst 2001 akzeptierte der Oberste Gerichtshof eine Petition die von der Association for Civil Rights eingereicht wurde, und befahl, dass die Armee ihre Basis aus dem Dorf nahm, damit die Soldaten nicht mehr zwischen den Häusern ihre Schießübungen machten. Die Behörden waren noch immer der Meinung, dass hier keine Gebäude stehen sollten. Es wurde auch keine einzige Baugenehmigung erteilt. Deshalb mussten nun die illegalen Häuser zerstört werden, wie auch die illegale Straße, die von illegalen Bewohnern des illegalen Dorfes für ihre illegalen Wagen gebaut wurden. …
Warum beschäftigen sich die Behörden so viel mit einem winzigen Dorf, von dem die Mehrheit der israelischen Bürger sehr wahrscheinlich nie gehört hat? Darauf wurde nie eine Antwort gegeben.
Man kann spekulieren, dass es irgend wie mit Yigal Alon, einem Minister in der Regierung nach dem 1967er-Krieg zu tun hat. Er brachte die Idee auf, dass Israel das Jordantal behält, es mit so viel jüdischen Siedlern wie nur möglich besiedelt und auf jede nur erdenkliche Weise die Araber „ermutigt“, von dort wegzuziehen. Das Dorf liegt nun unglücklicherweise genau am Rand des Jordantales. Wenn man es dort los würde, dann würde das Gebiet für die israelische Annexion breiter …Alon ist seit langem tot, aber der Plan, den er festlegte, ist noch immer lebendig und aktuell, zuweilen sehr aktuell.
2003 besuchten Bulldozer Akaba und begannen ein Haus nach dem anderen zu zerstören. Aber Friedensaktivisten riefen das US-Konsulat in Ost-Jerusalem an, und einige Telefonate wurden von dort mit ranghohen israelischen Offiziellen gemacht - und die Zerstörung hörte auf. Nach diesem Vorfall hatte Aqaba sieben gute Jahre, da es mehr oder weniger in Ruhe gelassen wurde. Das Dorf begann mit beträchtlicher internationaler Hilfe zu blühen.
USAID half, die Zufahrtstraße wieder herzustellen, die britische Regierung finanzierte die Errichtung einer Klinik. Der Kindergarten wurde von einer amerikanischen Organisation – The Rebuilding Alliance – finanziert. Die Regierungen von Japan, Belgien und Norwegen halfen, eine 2. Etage auf den Kindergarten zu bauen, so konnten die Kinder der benachbarten kleinen Dörfer mit aufgenommen werden. Die japanische Regierung finanzierte den Bau eines großen Wassertanks für die Verwendung der Dorfbewohner. (Es gab natürlich keine Möglichkeit, Aqaba an die reguläre Wasserleitung anzuschließen, wie es normale menschliche Gemeinschaften haben – alle Wasservorräte und -Leitungen in dem Gebiet stehen unter der Kontrolle der israelischen Regierung und seinen bewaffneten Kräften ..)
Der Bürgermeister des Ortes, Haj Sami Sadek – der seit seiner Jugend an den Rollstuhl gebunden ist, weil israelische Soldaten in der Nähe seines Hauses das Scharfschießen übten – wurde zu Vortragsreisen in die USA und Europa eingeladen. Er sprach mit mehreren VIPs und gab Presse-Interviews in mehreren Ländern. Viele Jahre schien es, dass die Behörden entschieden hatten, das Dorf sich selbst zu überlassen. Bis letzte Woche.
Was geschah jetzt? Wer entschied, dass es höchste Zeit ist, mit Bulldozern zum Dorf Aqaba zurück zu kehren? Wieder kann man nur raten. Vielleicht hat es etwas mit dem in den Medien weit und breit veröffentlichten Besuch des Ministerpräsidenten Netanyahu im Jordantal nicht weit von Aqaba vor einem Monat zu tun. Er betonte dabei stark, dass dieses Tal unter israelischer Kontrolle bleiben müsse. Netanyahu hat keinen direkten Befehl gegeben, dass die Armee die Häuser und Straßen des Dorfes zerstören solle. Aber manchmal benötigen die Militärverwaltung und die Bürokraten nur einen Wink.
„Es war Asher Tzur von der Zivilverwaltung der Armee. Derselbe Mann, der viele Jahre kam, um unsere Häuser zu zerstören. Er war es auch dieses Mal. Was will er von uns? Was haben wir je getan, um ihn zu beleidigen?“ sagt Haj Sami Sadeq, der Bürgermeister, zu mir am Telefon. „Ich fragte Asher ‚hast du keine Frau und Kinder? Wie würdest du dich fühlen, wenn jemand kommt, um dir dein Haus zu zerstören?’ Er gab mir keine Antwort.
Nachdem sie weggegangen waren, kam einer der Obdachlosen zu mir und fragte mich: ‚Du hast immer über Frieden mit Israel geredet. Sieht so dein Friede aus?’ Und wie kann ich ihm antworten?“
(dt. Ellen Rohlfs)