Palästina-Israel - Info & Gedanken Nr. 25

von Siegfried Ullmann

Eine europaweite Umfrage hatte ergeben, dass eine Mehrheit der Befragten Israel als stärkste Bedrohung für den Weltfrieden hält und die Lage wird immer bedrohlicher. Deshalb müssen wir uns über die dortigen Vorgänge und Hintergründe umfassend informieren, aber auch unsere Stimme für Frieden und Gerechtigkeit erheben.

Heute möchte ich vor allem auf den jüdischen Lyriker, Schriftsteller und Übersetzer Erich Fried hinweisen, von dem ich drei Gedichte zu Israel weiter unten zitiere. Fried konnte sich 1938 von Wien nach England retten, nachdem sein Vater an den Folgen eines Gestapoverhörs starb. Er war ein politisch engagierter Linksintellektueller, aber nicht nur dies. Nach dem letzten Weltkrieg setzte er sich in England dafür ein, dass Lebensmittelpakete nach Deutschland geschickt werden durften. Sein Gefühl für Menschlichkeit, Recht und Gerechtigkeit veranlassten ihn, sich gegen den Zionismus zu wenden und sich für die Palästinenser einzusetzen.


Dies führte natürlich zu den üblichen Schmähungen und Beschuldigungen. Aber er ließ sich nicht einschüchtern und beirren. Ich möchte Ihnen empfehlen, in dem Buch "Erich Fried: Gedanken in und um Deutschland - Essays und Reden" die Beiträge zu lesen: "Ist Antizionismus Antisemitismus?", "Eine reaktionäre Todesfalle auch für Juden" und "Als deutschsprachiger Jude Deutschland heute sehen". Da zeugt jeder Satz von seinem kompromisslosen Eintreten für die Menschenrechte und von seiner klaren Sprache.

 

Erich Fried hat neben dem wohl bekanntesten Gedicht "Höre Israel" (Siehe Zitate 16) eine Vielzahl von Gedichten zu sehr unterschiedlichen Themen geschrieben, die ihn in die Reihe der großen deutschen Lyriker stellen. Das Beispiel Fried zeigt auch, welchen Beitrag jüdische Menschen zur deutschen Kultur geleistet haben und welch ein Verlust es für die europäische Kultur bedeutete, dass Menschen aufgrund ihrer jüdischen Vorfahren gejagt und ermordet wurden. Ich denke da zum Beispiel an Irène Némirovsky, den ausgezeichneten Roman „Suite francaise“ schrieb bevor sie nach Auschwitz deportiert wurde.

Den Tod seiner Großmutter schilderte Fried in dem folgenden Gedicht:

Glaube, Liebe und Hoffnung

Dem Andenken an Malvine Stein


Glaubwürdig?

Ja

Liebenswürdig?
Auch das noch

Hoffnungswürdig?
Ach wissen Sie
meine Großmutter
hat immer gesagt:

„Solange man lebt
ist noch Hoffnung“

(Sie wurde
als ganz alte Frau
in ein Vernichtungslager
abtransportiert
und vergast)

Aber musste sie dort ganz zuletzt nicht
doch noch sehen ...?

Sie musste gar nichts mehr sehen
denn sie war blind

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Nun noch etwas zu aktuellen Ereignissen:

Im Spiegel Nr. 43/2010  ist zu lesen, dass Israel unbemannte Kleinflugzeuge (Drohnen) nach Russland liefert. Der Verwendungszweck wird geheim gehalten. Die Drohnen dürften aber der Niederschlagung von Freiheitsbewegungen im Kaukasus dienen. Israel gilt weltweit als Spezialist auf diesem Gebiet.

Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery schrieb am 22. Oktober 2010: "Yitzak Herzog, der Minister für Sozialhilfe in Netanjahus Regierung, ein Mitglied der israelischen  Labor-Partei ... sagte vor ein paar Tagen, dass der "Faschismus die Ränder unserer Gesellschaft berührt."  Er hat nicht Recht. Faschismus berührt nicht nur die Ränder, er berührt die Regierung, in der er dient und die Knesset, in der er Mitglied ist. Es vergeht - buchstäblich - kein Tag, ohne dass Knessetmitglieder eine neue rassistische Gesetzesvorlage vorbringen. ... Wir haben immer vermieden, das Wort Faschismus in der öffentlichen Debatte zu benutzen. Es kamen zu monströse Erinnerungen damit hoch. Jetzt ist dieses Tabu gebrochen."

"Der Staat ist an einem Scheideweg angekommen: Frieden oder ewiger Krieg. Frieden bedeutet die Gründung des palästinensischen Staates und die Evakuierung der Siedlungen. Aber der genetische Kode der zionistischen Bewegung stößt weiter, um das ganze historische Land bis zum Jordan zu annektieren und - direkt oder indirekt - die arabische Bevölkerung zu transferieren."

"Zum zweiten Mal in meinem Leben könnte ich Zeuge des Zusammenbruchs einer Republik werden. ... Die israelische Öffentlichkeit kann noch zur Vernunft kommen und demokratische Kräfte in sich mobilisieren. Aber damit dies geschieht, muss es von seinem Koma aufwachen, begreifen, was geschieht und wohin dies führt, protestieren und mit allen erreichbaren Mitteln kämpfen (solange es noch möglich ist), um die faschistische Welle aufzuhalten, die uns zu verschlingen droht."


Mit Friedensgrüßen
Siegfried Ullmann

 

Anlagen:  - Zitate 16

Zitate 16  (30.10.2010)

Zionistische Stimmen

Rabbi Ovadia Yosef, der Chef des Rats der Torah-Weisen von der an der Regierung beteiligten Shas-Partei sagte in seiner wöchentlichen Rede gemäß Jerusalem Post vom 18.10.2010: "Die Goyim/Nichtjuden sind nur geboren worden, um uns zu dienen. Ohne das haben sie keinen Platz in der Welt  - nur um dem Volk Israel zu dienen. In Israel hat der Tod keine Herrschaft über sie ... Mit Einheimischen wird es wie mit jeder anderen Person sein - sie müssen sterben, aber Gott wird ihnen Langlebigkeit geben. Warum? Man stelle sich vor, dass jemandes Esel stirbt, sie würden dann ja ihr Geld verlieren.  Dies ist sein Diener ... Deshalb bekommt er ein langes Leben, um gut für die Juden zu arbeiten. ... Wozu sind die Einheimischen nötig? Sie werden arbeiten, sie werden pflügen, sie werden ernten. Wir werden wie ein Effendi/ ein Herr dasitzen und essen. Deshalb wurden Einheimische geschaffen."

Andere jüdische Stimmen

Abraham Melzer zum Verbot der IHH durch den Bundesinnenminister de Maiziere: "Es ist makaber, dass der Bundesinnenminister diejenigen, die Waisenkinder versorgen, bestraft, statt diejenigen zu kritisieren, die Kinder zu Waisen machen. ... Wenn die Hamas eine Terrororganisation ist, was ist dann die israelische Regierung, die mit noch besseren und effektiveren Terrormitteln die Bevölkerung von Gaza terrorisiert? Wieso bekommt ein Pilot, der unschuldige Kinder, Frauen und Greise mit dem Abwurf einer Bombe getötet hat, einen Orden und ein Selbstmordattentäter wird als Terrorist diffamiert? Kämpfen nicht beide im selben Krieg?" (Quelle: DER SEMIT 4/2010)

Der israelische Journalist Gideon Spiro: "Die Hamasbewegung wurde jahrelang von der Besatzungsmacht gepflegt. Die Hamas-Regierung ist wahrlich nicht nach meinem Geschmack, aber es gibt sie und man muss mit ihr reden. Sie ist das Ergebnis des Terrors nicht weniger, als Israel das Ergebnis des Terrors ist. Beide müssen miteinander reden, um eine politische Lösung zu finden, und bis eine solche Lösung gefunden wurde, keinen Krieg auf dem Rücken von Kindern, Frauen und Greisen führen." (Quelle: DER SEMIT 4/2010)

Der israelische Soziologe Prof. Baruch Kimmerling schrieb zum Widerstand der Palästinenser: "Die anhaltenden Umstände der Besatzung und Unterdrückung geben ihnen in jeder Hinsicht das Recht des Widerstandes gegen die Besatzung mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und gegen diese Besatzung auch mit Gewalt sich zu erheben."

Abraham Melzer: "Die Implikation der Antisemitismusanschuldigung  und ihre Härte verpflichtet zur Vorsicht bei ihrer Anwendung, denn Hierzulande bedeutet diese Anschuldigung den politischen Tod, wenn man nicht die Nerven hat es durchzustehen, weil man weiß, dass man kein Antisemit ist." (DER SEMIT 4/2010)


Erich Fried, geboren 1921 in Wien, 1938, als sein Vater nach einem Verhör durch die Gestapo verstarb,  nach England geflüchtet und 1988 in Baden-Baden während einer Lesereise gestorben. Er war ein Kämpfer für die Menschenrechte und den Frieden, sowie ein Sprachvirtuose, wie seine vielen tiefgründigen oder sprachspielerischen Prosagedichte zeigen. (Wenn Sie Frieds Werke noch nicht kennen, sollten Sie mal in ihrer Bücherei oder Buchhandlung nachfragen, oder im Internet bei Amazon nachsehen. Außerdem gibt es den Gedichtband „Höre Israel“ im Melzer-Verlag)

Erich Frieds eindeutige Haltung gegenüber dem Zionismus und Israel spiegelt sich in den nachstehenden Gedichten wider:

 

Höre, Israel!  (aus dem Jahre 1974)


Als wir verfolgt wurden,

war ich einer von euch.

Wie kann ich das bleiben,

wenn ihr Verfolger werdet?


Eure Sehnsucht war,

wie die andere Völker zu werden,

die euch mordeten.

Nun seid ihr geworden wie sie.


Ihr habt überlebt,

die zu euch grausam waren.

Lebt ihre Grausamkeit

in euch jetzt weiter?


Den Geschlagenen habt ihr befohlen:

„Zieht eure Schuhe aus“.

Wie den Sündenbock habt ihr sie

in die Wüste getrieben


in die große Moschee des Todes

deren Sandalen Sand sind

doch sie nahmen die Sünde nicht an

die ihr ihnen auflegen wolltet.


Der Eindruck der nackten Füße

im Wüstensand

überdauert die Spuren

eurer Bomben und Panzer.

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Kurz vor seinem Tod im Jahre 1988 schrieb Erich Fried noch dieses Gedicht, daß von seinem kompromißlosen Eintreten für die Rechte aller Menschen ungeachtet ihrer Nationalität oder Religionszugehörigkeit und seiner bedingungslosen Solidarität mit den Unterdrückten zeugt:

 

Ein Jude an die zionistischen Kämpfer, 1988


Was wollt ihr eigentlich?

wollt ihr wirklich die übertreffen

die euch nieder getreten haben

vor einem Menschenalter

in euer eigenes Blut

und in euren Kot?


Wollt ihr die alten Foltern

jetzt an andere weitergeben

mit allen blutigen dreckigen Einzelheiten

mit allem brutalen Genuss der Folterknechte

wie eure Väter sie erlitten haben?


Wollt jetzt wirklich ihr die neue Gestapo sein

die neue Wehrmacht

die neue SA und SS

und aus den Palästinensern

die neuen Juden machen?


Aber dann will auch ich

weil ich damals vor fünfzig Jahren

selbst als Judenkind gepeinigt wurde

von euren Peinigern

ein neuer Jude sein mit diesen neuen Juden

zu denen ihr die Palästinenser macht


Und ich will sie zurückführen helfen als freie Menschen

in ihr eigenes Land Palästina

aus dem ihr sie vertrieben habt

oder in dem ihr sie quält

ihr Hakenkreuzlehrlinge

ihr Narren und Wechselbälge der Weltgeschichte

denen der Davidstern auf euren Fahnen

sich immer schneller verwandelt

in das verfluchte Zeichen mit den vier Füßen

das ihr nur nicht sehen wollt

aber dessen Weg ihr heute geht

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Des weiteren mahnte Erich Fried:

 

Später einmal

werden Juden, die übrig bleiben,

wenn dieser Wahnsinn vorüber ist

zu suchen beginnen

nach Spuren von Juden,

die nicht mittaten

sondern warnten.

 

Zu diesen Mahnern gehörte Erich Fried. Aber seine Mahnungen werden weitgehend ignoriert, bzw. vehement bekämpft.

 

Andere Stimmen:

Das deutsche Außenministerium ist nicht der Meinung der Kanzlerin, dass Israel die einzige Demokratie des Nahen Ostens sei, sondern hält auch den Libanon für eine Demokratie: "Libanons Staatsform ist eine parlamentarische Demokratie auf der Basis eines Konfessionsproporzes (Konkordanzdemokratie)." (Quelle: Jüdische Zeitung Nr. 56, Oktober 2010)

Prof. Dr. Armin Rieser in einem Leserbrief nach einem Vortrag der deutsch-israelischen Menschenrechtsaktivistin Felicia Langer: "... Felicia Langer sprach sich dafür aus, dass die Deutschen gerade wegen der NS-Vergangenheit nicht schweigen sollten, sondern sich kritisch mit dem Unrecht des israelischen Siedlungs- und Mauerbaus und den damit verbundenen Untaten auseinandersetzen müssten.

Das erfordert viel Engagement und Mut, denn wenn man dies tut, wird man als Antisemit und nicht als Menschenrechtsaktivist bezeichnet. Dabei ist doch klar, dass Israel sich nicht weiter so verhalten kann, nicht nur, um  gewisse Sympathien nicht ganz zu verlieren, sondern auch aus dem ganz klaren Grunde des eigenen Existenzrechtes, denn wer anderen dieses abspricht und unter anderem maßgebliche UN-Resolutionen nicht beachtet, verwirkt damit sich selbst."

Dr. Ingo Roer zur Kritik an der Nakba-Ausstellung, die die Vertreibung der Palästinenser in den Jahren 1947/48 veranschaulicht: "Nicht Kritik, schon gar nicht das Hören der anderen Seite delegimitiert einen Staat, sondern unrechtmäßiges Handeln seiner Regierung und seiner Bürger. Auch dem Zentralrat der Juden in Deutschland scheint es zu dämmern, dass die israelische Regierung durchaus die Macht hat, sich selbst und ihren Staat zu delegimitieren." (DER SEMIT 4/2010)

UN-Resolution 3103 vom 12. 12. 73: "Völker, die kämpfen, um sich vor fremder Unterdrückung zu befreien, haben das Recht, alle Mittel zu benützen, die ihnen zur Verfügung stehen, eingeschlossen Gewalt. Akte von Bürgern, die für ihre nationale Befreiung kämpfen, können nicht als Akte des internationalen Terrorismus betrachtet werden."

(Zusammenstellung der Zitate: Siegfried Ullmann)