Internet-Rundbrief 24 von Siegfried Ullmann

Es hat in letzter Zeit endlich mal wieder zwei erfreuliche Nachrichten gegeben: Erstens die Feststellung des UN-Menschenrechtsratsrates, dass das Abfangen und Entern der Gazaflottille eindeutig ein Bruch internationalen Rechts gewesen sei und "einen unakzeptablen Grad an Brutalität" gezeigt habe. Zweitens die Entscheidung der EU, wegen des Überfalls auf den Gazastreifen, Israels Bemühungen um eine stärkere wirtschaftliche und politische Kooperation zurück zu weisen.


Aber ansonsten hat sich auf der politischen Bühne wenig verändert. Als Saddam Hussein Kuwait überfiel und annektierte, wurde das weltweit verurteilt und eine internationale Armee unter Führung der Amerikaner ging gegen den Irak vor. Ganz anders reagierte aber die Staatengemeinschaft, als Israel im Jahre 1967 unter einem Vorwand seine Nachbarn überfiel, neben dem Sinai den Golan und das Westjordanland eroberte und entgegen dem Völkerrecht letztere dauerhaft besiedelte. Im Gegensatz zum Iran kann Israel alle UN-Beschlüsse ungestraft ignorieren. Es wurde sogar mit weiteren Waffenlieferungen - auch aus Deutschland - und europäischen Handelsbegünstigungen belohnt.

 

Israel tut weiterhin alles, um die Hamas zu stärken, insbesondere durch die Fortsetzung der Blockade und die Schwächung der PLO, der sie keine Aussichten auf eine annehmbare Friedenslösung macht.

 

Uri Avnery beleuchtete in seinem Artikel "Wenn du nein sagst"  den Begriff "jüdischer Staat", der ja auch von unserer Bundeskanzlerin zur Freude der rechtsextremen israelischen Regierung benutzt wird. Es sei wohl unzweifelhaft, dass  z. B. Polen ein polnischer Staat sei und Griechenland ein griechischer Staat und dass Polen den Polen gehört und Griechenland den Griechen. Nach der gleichen Logik müsste Israel den Israelis gehören, aber die Israelische Regierung erkennt die Existenz einer israelischen Nation nicht an, sondern behauptet, dass Israel ausschließlich den Juden gehört. Aber welchen Juden? Gemeint sei, "das "jüdische Volk", das in aller Welt zerstreut lebt, ein Volk, dessen Mitglieder zur amerikanischen, französischen, argentinischen Nation gehören - und natürlich auch zur polnischen und griechischen Nation." Dementsprechend steht in israelischen Pässen als Staatsangehörigkeit nicht "Israeli", sondern "Jude" oder "Araber".

 

Und wer Jude ist, bestimmt das orthodoxe Judentum: Entweder von einer jüdischen Mutter geboren oder zum Judentum konvertiert. (Nun wurde auch noch von einem Rabbiner in der Jüdischen Allgemeinen gefordert, Gentests anzuerkennen.)

 

Man muss sich einmal vorstellen, wenn sich z. B. Brasilien zu einem christlichen oder gar katholisch-christlichen Staat erklären würde und als Staatsbürgerschaft nicht brasilianisch, sondern katholisch-christlich, evangelisch-christlich, moslemisch, jüdisch etc. eintragen und dazu erklärt würde, dass der katholisch-christliche Staat nur den katholischen Christen weltweit gehören und offen stehen würde? Alle Menschen eines anderen Glaubens könnten dann zu begrenzt geduldeten "ausländischen Bewohnern" erklärt werden, wie die palästinensische Bevölkerung Ostjerusalems.

 

Die israelische Menschenrechtsorganisation Gush Shalom /Das andere Israel hat sich  massiv gegen den Gesetzesentwurf der Regierung gewandt, der einen Loyalitätseid für den jüdischen Staat Israel vorschreiben will, was sich natürlich in erster Linie gegen die arabischen Israelis richtet. "Wir wollen keine Bürger eines faschistischen Staates sein, der behauptet, Israel zu sein", war eine der Kernaussagen der jüdischen Demonstranten. Ein derartiger Staat würde sich selbst aus der Familie der demokratischen Nationen ausschließen.

 

In der Jüdischen Zeitung vom Oktober 2010 erschien ein langes Interview mit dem Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Johannes Gerster, das von dessen eingeschränkter Wahrnehmung und parteiischer Sichtweise zeugte. Ich habe hierzu den im Anhang  zu lesenden Leserbrief geschrieben, auch wenn wenig Aussicht auf dessen Veröffentlichung besteht. Leider hat der Menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, eine ähnliche proisraelische Einstellung wie die Bundeskanzlerin und Johannes Gerster. Die Grünen sind aus zionistischer Sicht wirklich "handzahm" geworden. Kein Aufschrei, als über 40.000 Palästinenser in Kalkilya eingemauert wurden, keine Solidarität mit den gewaltfreien Demonstranten in Bilin und Nilin, die gegen den Entzug  ihrer Lebensgrundlagen protestieren, sondern der Gemeinplatz: „Das Existenz- und Selbstverteidigungsrecht des Staates Israel ist für Grüne nicht verhandelbar.“

Die Aussagen des Rabbi Ovadia Yosef, dem geistlichen Oberhaupt der an der Regierung beteiligten Shas-Partei werfen ein erschreckendes Licht auf die Aufrufe radikal-zionistischer Extremisten, die die Massentötung oder Ausrottung der Palästinenser fordern. Gegen derartige Aussagen wird in Israel aber nicht eingeschritten. Da kann man wohl nicht mehr von einem

Rechtsstaat sprechen, wenn derartiges folgenlos bleibt, genau so wie die Angriffe von gewalttätigen Siedlern auf palästinensische Olivenbauern und die Vernichtung ihrer Bäume mit Unterstützung des Militärs.

 

Anhang

Leserbrief zum Gespräch mit Johannes Gerster mit dem Titel "... unter widrigen Umständen solche Erfolge ..." in der Jüdischen Zeitung Nr. 56, 2010

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bitte um Veröffentlichung des nachstehenden Leserbriefs (sofern noch mit der neuen Ausrichtung der Jüdischen Zeitung vereinbar):

Das offensichtlich der Vermarktung seines Buches mit dem Titel "Nicht angepasst" dienende Gespräch mit Herrn Gerster zeigt, dass er eine sehr einseitige und wenig objektive Sicht der Lage in Israel und Palästina hat. Letzten Endes war er immer ein Unterstützer der israelischen Expansions- und Besatzungspolitik und in dieser Hinsicht durchaus sehr angepasst. So wiederholt er auch nur die offiziellen Propagandabehauptungen  von den zweitausend Jahren jüdischen Lebens in der Diaspora und der angeblich wöchentlichen Androhung von Israels Zerstörung. Dabei droht der fünftgrößten Militärmacht der Welt, die auch noch von der größten Militärmacht der Welt unterstützt wird und über ein geheimes Arsenal an Massenvernichtungswaffen (Atombomben) verfügt, keine reale Gefahr, denn jedes Land, das Israel angreifen würde, müsste mit seiner vollständigen Vernichtung rechnen.

Einerseits spricht Herr Gerster davon, dass jeder Mensch ein Recht auf Leben habe, aber andererseits findet er es offensichtlich vollkommen in Ordnung, wenn die israelische Armee unter einem Vorwand eine wehrlose Bevölkerung im Gazastreifen angreift und 1400 Männer, Frauen und Kinder tötet oder gezielt Palästinenser durch Todeskommandos, Raketen oder Bomben ermordet, selbst wenn dabei ganze Familien ausgelöscht werden.

Und die von Gerster gelobten großen Erfolge des israelischen Aufbaus waren auch nur möglich, weil Israel die einheimische Bevölkerung weitgehend vertrieben und  ihr Land, ihre Häuser, ihren Hausrat und ihre Bankkonten geraubt hat, so wie einst europäische Juden beraubt wurden. Außerdem wurde und wird Israel von den USA und Deutschland mit ungeheuren Summen unterstützt, was auch der Unterhaltung der Besatzungsarmee und der Subventionierung des Siedlungsbaus dient.

Letzten Endes gehört Gerster mit seiner Unterstützung von Israels unheilvoller Politik zu denjenigen, die nach Noam Chomsky nicht zu seinen Freunden, sondern zu seinen wahren Feinden zählen, weil er dazu beiträgt, Israels langfristige Existenz zu gefährden. Zu den von Gerster erwähnten verpassten Chancen für einen dauerhaften Frieden gehört vor allem Israels Weigerung auf UN-Beschlüsse und das Friedensangebot der arabischen Staaten einzugehen.

Mit freundlichen Grüßen

Siegfried Ullmann