Jeden Monat ein My Lai
von Robert C. Koehler (USA)
Wenn jemand fragt, „Warum macht ihr das mit einem Gook, warum tut ihr das Menschen an?“, dann ist deine Antwort: „Was denn, das sind nur Gooks, das sind keine Menschen. Es macht keinen Unterschied, was du mit denen machst, sie sind nicht menschlich.“
Und das steckt in dir drinnen,“ bezeugte Korporal John Geymann fast 44 Jahre danach bei der Winter Soldier-Untersuchung in Detroit, die von Vietnam Veterans Against the War (Vietnamveteranen gegen den Krieg) organisiert wurde. „Das wird dir ins Hirn gedrückt von dem Zeitpunkt, in dem du im Ausbildungslager aufwachst bis zum Zeitpunkt, in dem du als Zivilist aufwachst.“
Der Eckpfeiler des Kriegs ist Entmenschlichung. Das war die Lektion von Vietnam, von der Operation Ranch Hand (dem Abwurf von 70 Millionen Liter Herbiziden, darunter Agent Orange, auf die Dschungel Vietnams) bis zu My Lai bis zur Bombardierung von Kambodscha. Und die Winter Soldier-Untersuchung begann, den Entmenschlichungsprozess zu einer Sache des öffentlichen Wissens zu machen.
Es war ein atemberaubender und bahnbrechender Moment in der Geschichte des Kriegs. Dennoch taucht das drei Tage dauernde Hearing, in dem 109 Vietnamveteranen und 16 Zivilisten über die Realität der amerikanischen Operationen in Vietnam aussagten, nicht in der „interaktiven Zeitskala“ der vom Verteidigungsministerium gesponserten Website auf, die entsprechend Präsident Obamas Ankündigung an den 50. Jahrestag des Kriegs erinnern soll.
Das überrascht natürlich nicht. Der auf ungeschickte Weise nicht definierte, feige Standpunkt der Website, wie auch die Erklärung des Präsidenten – „sie kämpften sich voran durch Dschungel und Reisfelder, Hitze und Monsun, und kämpften heroisch, um die Ideale zu schützen, die uns Amerikanern teuer sind“ – dienen der „Verniedlichung“ des grauenhaften Kriegs, wischen den Schleim ab, drehen das öffentliche Gewissen um in einen Zustand der bedingungslosen Bewunderung aller militärischen Operationen der Vereinigten Staaten von Amerika und verbannen das „Vietnamsyndrom“ aus der nationalen Identität.
Was also, wenn zwischen 2 und 3 Millionen Vietnamesen, Laoten und Kambodschaner getötet wurden, gemeinsam mit 58.000 amerikanischen Soldaten (und einer viel größeren Anzahl von Veteranen, die sich danach selbst getötet haben)? Ein schlechter Krieg ist nur ein Problem für diejenigen, die den nächsten führen wollen. Eine Generation des Umdenkens war erforderlich, ehe die militärisch-industrielle Wirtschaft in der Lage war, den Krieg gegen den Terror zu beginnen, der wiederum auch schon keine große öffentliche Unterstützung mehr hat. Vielleicht gehört der Wiederaufbau Vietnams zu einem Symbol falschen Ruhms zu einem größeren Plan, die amerikanische Öffentlichkeit stolz auf alle ihre Kriege zu machen und damit gefügig für die Idee (und die Realität) des permanenten Kriegs.
Die Vietnam War Commemoration (Erinnerung an den Vietnamkrieg) Website gibt einen ernsthaften Anstoß, wie auch die Kampagne der „vollen Aufdeckung” der Veteranen für den Frieden, und eine von Ikonen der Antikriegsbewegung wie Tom Hayden und Daniel Ellsberg unterzeichnete Petition verlangt, dass die Welle der Proteste gegen den Krieg in den 60ern und 70ern als Teil in das Vermächtnis des Kriegs aufgenommen werden soll. Ich bin natürlich auch dieser Meinung, füge aber schnell hinzu, dass viel mehr auf dem Spiel steht als die Genauigkeit der historischen Aufzeichnungen.
Die altgediente Journalistin und Mittelostexpertin Phyllis Bennis sagte zur New York Times: „Man kann dieses Bemühen, die schrecklichen Kriege vor 50 Jahren zu rechtfertigen, nicht von den schrecklichen Kriegen der heutigen Zeit trennen.“
Ich sage es noch einmal: Der Eckpfeiler eines jeden Kriegs ist die Entmenschlichung, ein erschreckender Vorgang mit lang anhaltenden und unbegrenzt sich entfaltenden Auswirkungen. Und der Vietnamkrieg war der erste, in dem der volle Horror dieses Vorgangs, losgelöst von aller Ehre und Pseudo-Notwendigkeit, in signifikantem Ausmaß die öffentliche Aufmerksamkeit erreichte.
Das Bemühen der Website, diese Aufmerksamkeit rückgängig zu machen, ist erbärmlich. In einer frühen Version der Zeitskala wurde zum Beispiel das Massaker von My Lai abgetan als ein „Zwischenfall.“ Öffentlicher Widerstand zwang die Betreiber, die bittere Pille zu schlucken und unter dem Datum 16. März 1968 anzuführen: „Amerikanische Division tötet hunderte vietnamesische Zivilisten in My Lai.“
Na ja. Es war dennoch ein guter Krieg, nicht wahr? My Lai war nur ein Fehltritt. Ein Sündenbock wurde verhaftet, vor Gericht gestellt, verurteilt ...
Die Aussagen der Veteranen bei Winter Soldier und zahlreiche Bücher und Artikel machen jedoch erschreckend deutlich, dass My Lai keine Ausnahme war, sondern die normale Situation: „Es sind nur Gooks, das sind keine Menschen.“
Nick Turse und Deborah Nelson legten in einem Artikel in der Los Angeles Times im Jahr 2006 („Civilian Killings Went Unpunished“ – Töten von Zivilisten wurde nicht bestraft) beruhend auf der Untersuchung von freigegebenen Akten der Armee dar: „Missbräuche waren nicht auf einige wenige schurkische Einheiten beschränkt, ergab eine Untersuchung der Akten durch die Times. Sie wurden in jeder Armeedivision entdeckt, die in Vietnam operiert hat.“ Sie schrieben, dass die Dokumente 320 Vorfälle von Folter, Misshandlungen oder Massenmord an vietnamesischen Zivilisten belegten, wobei viele hunderte weitere berichtet, aber nicht bewiesen wurden.
Der Artikel beschreibt im Detail eine Reihe von Vorfällen von mutwilligen Tötungen von vietnamesischen Zivilisten und enthält den Brief eines nicht genannten Sergeanten aus dem Jahr 1970 an General William Westmoreland, der „weit verbreitete, nicht berichtete Tötungen von Zivilisten durch Mitglieder der 9. Infanteriedivision im Mekong-Delta beschrieb – und die Schuld daran dem Druck von Vorgesetzten gab, hohe Opferzahlen zu erreichen.“
Der Brief stellte fest: „Ein Bataillon tötet vielleicht 15 bis 20 [Zivilisten] pro Tag. Bei 4 Bataillonen pro Brigade ergibt das leicht 40 bis 50 pro Tag oder 1.200 bis 1.500 im Monat. Wenn ich nur zu 10% recht habe, und glauben Sie mir, es sind viel mehr, dann versuche ich, Ihnen rund 120 bis 150 Morde oder ein My Lai pro Monat über ein Jahr zur Kenntnis zu bringen.“
Und da gibt es noch viel mehr. Einige der Aussagen sind unerträglich grauenhaft, wie die von Sergeant Joe Bangert bei der Winter Soldier-Untersuchung:
„Ihr könnt das bei den Marines überprüfen, die in Vietnam waren – an deinem letzten Tag in den Staaten bei der Zusammenstellung des Bataillons in Camp Pendleton kriegst du eine kleine Lektion, die heißt Kaninchen-Lektion, wo der Staff Sergeant herauskommt mit einem Kaninchen und dir was erzählt über Entkommen und Ausweichen und Überleben im Dschungel. Er hat dieses Kaninchen und dann, ein paar Sekunden, nachdem jeder es richtig gern hat – sich nicht verliebt, aber wissen Sie, sie sind menschlich dort – bricht er ihm das Genick, häutet es, schneidet ihm den Bauch auf. Das macht er mit dem Kaninchen – und dann werfen sie die Eingeweide in die Zuschauer. Du kannst daraus lernen was du willst, aber das ist deine letzte Lektion, die du in den Vereinigten Staaten von Amerika bekommst, vor du nach Vietnam abfährst, wo sie dieses Kaninchen packen und töten, und es häuten und mit seinen Organen spielen, als ob es Dreck ist, und die Organe überall herumwerfen, und dann werden diese Burschen am nächsten Tag in das Flugzeug gesetzt und nach Vietnam geschickt.“
Soviel ist völlig klar: amerikanische Soldaten wurden von oben unter Druck gesetzt, ja tatsächlich ausgebildet und angewiesen, den „Feind“ – einschließlich Zivilisten, einschließlich Kinder – als Untermenschen zu behandeln. All das Gemetzel, das folgte, war vorhersehbar. Und wie die moralisch verletzten Veteranen, die aus dem Irak und Afghanistan zurück kommen, uns wissen lassen, ist das noch immer die Art, wie wir in den Krieg ziehen.
Übersetzt aus dem amerikanischem von Klaus Madersbacher und veröffentlicht auf seiner Webseite http://www.antikrieg.com