Wie Deutschland seine friedliche Außenpolitik beendete - Der Kosovo-Krieg

1999 verließ Deutschland mit einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg seine friedliche Außenpolitik.

„Es gibt Untaten, über die kein Gras wächst.“ , dies ist ein Zitat von Ernst Bloch (1885-1977).
Hans Wallow ehemaliger Bundestagsabgeordneter (1981-1983 u 1990-1998) ist jemand der über eine Untat der Bundesrepublik Deutschland (BRD) aufklären will und dafür sorgt, das sie nicht vergessen wird. Es handelt sich um die Untat an den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Jahr 1999 auf Jugoslawien beteiligt gewesen zu sein. Hans Wallow erzählt, wie die damalige Bundesregierung von SPD und Grüne, mit Beteiligung von CDU/CSU, sowie der FDP den  Jugoslawien-Krieg aktiv vorangetrieben haben und wie hierfür sogar das Parlament belogen wurde.

Mit Hilfe einer "Kriegsepisode", hat Hans Wallow die Geschehnisse auch in einem Theaterstück verarbeitet und zeigt auf welche sinnlosen, schrecklichen Folgen der Krieg auch für die Zivilbevölkerung hat. Am 30. Mai 1999 bombardierten Nato-Flieger zweimal hintereinander eine Brücke, die keinerlei strategische Bedeutung hatte, in der serbischen Kleinstadt Varvarin, bei der Zivilisten getötet und verletzt wurden. Die Angehörigen und Überlebenden haben das Nato-Mitglied Deutschland verklagt, doch bisher ohne Erfolg.


Es geschah in unserem Namen – Die Brücke von Varvarin (vom 15.01.2009) von Hans Wallow

In jedem Volk schlummert ein kollektives Unterbewusstsein, das selbst über Generationen hinweg noch abrufbar ist. Das Trauma der Deutschen ist der Krieg. Mit überwältigender Mehrheit lehnen sie ihn ab. Deshalb musste vor dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien vor zehn Jahren eine lange und perfide Propaganda-Kampagne inszeniert werden. Die besonders abstoßend, weil die verantwortlichen Politiker der Bundesregierung nicht nur die Wahrheit verfälschten, sondern vor und während des Krieges an die Hilfsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger appellierten. Ihnen, die später bei der Tsunami-Katastrophe das höchste Spendenaufkommen aller Nationen leisteten, musste über die Mehrheit der Medien ein Luftkrieg „für die Menschenrechte“ suggeriert werden.
Da die CDU/FDP-Koalition, die den Militäreinsatz vorbereitet hatte, sich nach dem 27. September 1998 auflöste, lagen Entscheidung sowie Durchführung und die damit verbundene Verantwortung für den Bruch des Völkerrechts (UNO-Charta), Grundgesetzes und 2-plus-4-Vertrags bei den Politikern der neuen Regierung aus SPD und Grünen, diese heimliche Kriegskoalition aus vier Parteien, also fast der gesamten politischen Klasse, mit ihren hilfswilligen Journalisten (siehe aus Alexander S. Neu, „Die Jugoslawien-Kriegsberichterstattung der „Times“ und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Nomos Verlag, Baden-Baden). Der Zunft gelang es bis heute, den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit über die wirklichen Kriegsursachen, die machtpolitischen und persönlichen Ziele der Politiker vorzuenthalten. Sie nennen das auch heute noch „Realpolitik“. Eine Politik, die für den Normalbürger, aber auch für Abgeordnete und Journalisten nicht begreifbar sei und deshalb Geheimnisse des Staates bleiben müsse. Dabei handelt es sich um die künstliche Realität einer abgehobenen Politiker-, Beamten- und Militär-Kaste, die mit dem Willen des Volkes nichts mehr zu tun hat. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt, der im November 2008 bei einem Rekruten-Gelöbnis vor dem Reichstag in Berlin feststellte, dass „Deutschland wieder verführbar“ sei, meinte nicht das Volk. Es sind vielmehr die Politiker und Spitzenbeamte, einschließlich der Bundeswehrgeneräle, die sich alle am Jugoslawien-Angriffskrieg mitschuldig gemacht haben. Die Wahrheit kommt selbst zehn Jahres nach dem Krieg nur scheibchenweise ans Tageslicht. Sie muss aber in ihrer ganzen Komplexität, einschließlich der simplen archaischen Reflexe der deutschen politischen Führung, vollständig dargestellt werden, andernfalls ist der nächste Krieg vorprogrammiert.

Aber es gab auch Warnungen an Bundestagsabgeordnete von integren Beamten aus dem Apparat, die sich später als korrekt erwiesen.

Ein Blick zurück
In den 70er Jahren war Jugoslawien ein beliebtes Urlaubsziel der Bundesrepublikaner. Gleichzeitig arbeiteten Jugoslawen aller Ethnien in der Bundesrepublik Deutschland. Kaum jemand macht einen Unterschied zwischen Serben, Albanern und Slowenen. Damals gab es in Jugoslawien einen Lebensstandard, der etwa mit dem spanischen oder portugiesischen vergleichbar war. Der 11. März 1981 ist ein tragischer Wendepunkt. In Pristina (Kosovo) lösten studentische Proteste eine nationalistische Revolte aus, die den Kosovo wie ein Flächenbrand erfasste. Die Aufständischen skandierten: „Wir sind Albaner und keine Jugoslawen. Wir fordern ein Großalbanien. Wir wollen eine Republik Kosovo.“
Matthias Küntzel beschreibt in „Der Weg in den Krieg“ (Elefanten Press) die Vorgeschichte eines Bürgerkriegs: „Erstmals in der Geschichte des sozialistischen Jugoslawiens wird im April 1981 der Ausnahmezustand über die autonome Provinz Kosovo verhängt.“ Nach offiziellen Angaben werden neun Personen getötet und 257 schwer verletzt.

(...) Die Bundesregierung in Belgrad ist konsterniert. Hatte man nicht den Jugoslawen albanischer Herkunft im Kosovo mehr politische und kulturelle Vorrechte gewährt als sie sonst in der Welt ein Staat einer nationalen Minderheit zuteil werden ließ? Und warum ein Aufstand ausgerechnet in der Provinz, die ökonomisch gegenüber den anderen unterentwickelten Regionen Jugoslawiens eindeutig bevorzugt wurde?

(..). Warum also der Aufstand von 1981? „Drängt sich der Schluss auf, dass die Demonstration von 1981 im Kosovo (...) schwer zu begründen sind“, konstatierte ratlos Viktor Mayer, der ehemalige Jugoslawien-Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
„Sie haben sich für die (Kosovo-)Albaner, freilich auch für die gesamte jugoslawische Entwicklung katastrophal ausgewirkt.“

Dieser albanische Nationalismus verschärfte mit den Jahren offenkundig seine Intensität. Die 1981 geborene Politparole „Kosovo republica“ war durch die Lösung vom „ethnisch reinen“ Kosovo ergänzt worden, erläuterte Harry Schleicher 1984 in der „Frankfurter Rundschau“. Demnach sollte der Kosovo in albanisches Territorium frei von anderen Nationalitäten umgewandelt werden. Diese Beobachtung machte 1986 auch die Tageszeitung „Die Welt“: „Das Ziel der albanisch-nationalistischen Bewegung im Kosovo ist zunächst die Schaffung einer Republik innerhalb Jugoslawiens und dann ein ethnisch reines, d. h. von Serben und anderen Slawen gesäubertes Gebiet, in dem nur Albaner leben.“ In der ebenfalls nicht übermäßig serbenfreundlichen FAZ wurde dieser Befund konkretisiert: „Niemand bestreitet, dass für viele Serben im Kosovo das Leben schwierig geworden ist. Es gibt ernste Anzeichen dafür, dass der Ankauf serbischer Anwesen gesteuert und finanziell unterstützt wird – von wem und wie ist schwer zu sagen. Es gibt auch Fälle von Belästigungen, sogar Überfälle auf Serben, auch von Vergewaltigungen. Es stimmt wohl ebenso, dass Anliegen der Serben von den Behörden im Kosovo oft nachlässig verhandelt werden.“ Schließlich wird die dahinterstehende Politik in der „New York Times“ wie folgt charakterisiert: „Die ethnischen Albaner der Provinzregierungen haben die öffentlichen Mittel und Regularien manipuliert, um Ländereien an sich zu reißen, die Serben gehören. Das Ziel der radikalen Nationalisten ist, wie einer von ihnen erklärte, ein ethnisches Albanien, das West-Mazedonien, Süd-Montenegro, Teile des südlichen Serbiens, den Kosovo und Albanien umfasst. Die Flucht der Slawen vor andauernder Gewalt verwandelt das Kosovo in eben das, was Nationalisten unter den ethnischen Albanern seit Jahren und besonders nachdrücklich seit der blutigen Revolte seit 1981 fordern: eine ethnisch reine albanische Region eine Republik Kosovo“. Der wirkliche Ablauf der Ereignisse widerlegt somit ein Argumentationsmuster, das in Deutschland bis heute unangefochten gilt.

„(...) Der Nationalismus im Kosovo löste einen noch schlummernden Nationalismus in Serbien aus: Milosevic entzündete die Brandfackel des großserbischen Nationalismus mit der brutalen Unterdrückung der albanischen Autonomie im Kosovo. Hier liegt die eigentliche Kriegsursache.

(...) 1987 solidarisierte sich der Parteichef der serbischen Kommunisten, Slobodan Milosevic, unter Umgehung der Parteigremien mit nationalistisch orientierten Kosovo-Serben. Bei dieser Gelegenheit fällt sein berühmter Satz: ‚Niemand hat das Recht, das (serbische Volk) zu schlagen.‘ Schlagartig wird Milosevic als Verteidiger Serbiens, nicht Jugoslawiens populär.“

Der UN-Sonderbeauftragte für Menschenrechte in Jugoslawien, Jiri Dienstbier, meldete, dass „Vertreibung, Mord, Folter und das Niederbrennen von Häusern im Kosovo“ andauerten und sich gegen „Serben, Roma, Bosnier und andere nicht albanisch-stämmige Volksgruppen“. Im Gegensatz zur serbischen Politik duldete somit der völkisch orientierte albanische Nationalismus nur die reinrassige albanische Identität, während alle sich nicht zum Albanertum bekennenden Menschen drangsaliert oder gar liquidiert wurden. Dieser Wesensunterschied der Nationalismen lässt es angemessen erscheinen, vom „serbischen Chauvinismus“ auf der einen Seite und dem albanischen völkischen Fanatismus zu sprechen.

Am 26. Juli 1990 beschloss das serbische Parlament unter Berufung auf die Unfähigkeit der Behörden im Kosovo, Ordnung und Recht in der Provinz zu wahren, mit einem Notstandsgesetz, das eine serbische Intervention erlaubte, wenn organisierte Aktivitäten die Verfassung stürzen wollten oder die territoriale Integrität Serbiens bedrohten. Eine neue, hauptsächlich von Serben gestellte Regierung wurde am 21. Juli 1990 für den Kosovo eingesetzt.

Am 27. Februar 1998 lockte die Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) vier serbische Polizisten in der Drenica-Region westlich von Pristina in einen Hinterhalt und ermordete sie. In dem daraufhin veranlassten Großeinsatz jugoslawischer Sondereinheiten wurden 29 Kosovo-Albaner, darunter auch Frauen und Kinder sowie die männlichen Angehörigen einer UCK-Gründungsfamilie erschossen. Von da an eskalierte die Spirale der Gewalt bis zum Massaker in Racak, das den Luftkrieg der NATO auslöste.

In Deutschland war es unter den etablierten Medien einzig die „Berliner Zeitung“, die den Widersprüchen bei dem vermeintlichen Massaker nachging. Sie berichtete am 13. März 1999: „Hochrangigen europäischen OSZE-Vertretern liegen (...) Erkenntnisse vor, wonach die Mitte Januar im Kosovo-Dorf Racak gefundenen 45 Albaner nicht einem serbischen Massaker an Zivilisten zum Opfer fielen. Intern, so heißt es bei der OSZE, gehe man längst von einer Inszenierung durch die albanische Seite aus.“
Zur Internationalisierung und Eskalation des Krieges sagte der frühere Bundeskanzler und heutige Publizist Helmut Schmidt in einem Vortrag zum Ethos des Politikers am 8. Mai 2007 in der Universität Tübingen: „Ebenso tragen Politiker vieler Nationen, darunter auch deutsche, Mitverantwortung für die völkerrechtswidrige Intervention aus humanitären Gründen. So sind seit fast einem Jahrzehnt auf dem Balkan gewaltsame Interessenkonflikte auf westlicher Seite mit einem humanitären Mantel bekleidet worden, einschließlich der Bomben auf Belgrad.“ – Bombardiert wurden aber auch die Menschen im Hinterland von Montenegro, Serbien und Pristina. Die „Menschenrechtsbomben“ trafen Tausende von Unschuldigen und denjenigen, denen man angeblich helfen wollte.

Die Deutschen bereiten den Weg zum Krieg

Anfang April 1999 führt Deutschland erstmals seit 1945 einen Angriffskrieg. Mit pathetischer Stimme hatte der sozialdemokratische Kanzler Schröder zuvor am 24. März über Fernsehen und Hörfunk seinen „lieben Mitbürgerinnen und Mitbürgern“ mitgeteilt, dass die NATO mit Luftschlägen gegen Ziele in Jugoslawien begonnen habe. „Damit will das Bündnis weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte unterbinden und eine humanitäre Katastrophe verhindern. Der jugoslawische Ministerpräsident Milosevic führt dort einen erbarmungslosen Krieg. Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung, auch mit militärischen Mittel durchzusetzen.“ Neun Jahre später erklärte sich die Provinz Kosovo zum unabhängigen Staat. Erfolg einer gewalttätigen Politik, der eine Lügenschlacht voranging.

Bei den ersten Angriffswellen Ende März 1999 schossen auch deutsche ECR-Tornados aus Lechfeld mit radargelenkten HARM-Raketen die jugoslawische Luftabwehr nieder. Bis zum 10. Juni flogen die Maschinen 438 Einsätze und verschossen dabei 236 HARM-Raketen (siehe Mitteilung des Einsatzgeschwader 1, Luftwaffe online, 2005).

Nicht immer wurden militärische Objekte getroffen, oft zivile Einrichtungen zerstört und Zivilisten getötet. Dazu der Pilot Jürgen Akkermann bei einer internen Anhörung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags am 26. Juni 2000: „Wir wussten, dass wir eine Raketenstellung getroffen haben, weil diese Funksprüche in dieser Raketenstellung abgehört wurden. Ich kann Ihnen sagen, es ist nicht schön, dass man jemanden getötet hat. Das ist definitiv nicht schön. Vielleicht hängt das mit unserer Erziehung und Moral zusammen.“ (klassifiziert: nur für den Dienstgebrauch; Anlage 5). Die Aufklärungstornados (Recce) und unbemannte Drohnen markierten mit 66 Einsätzen circa 13.000 Ziele (ebenfalls Einsatzgeschwader 1, Luftwaffe online; Anlage 4A). Dazu der Aufklärungspilot Kai Maquardt: „Der Druck auf den Auslöseknopf für die Anti-Radarraketen im ECR oder auf den Kameraknopf im Recce kostet stets große Überwindung.“ Denn damit ebnen die Tornado-Piloten den folgenden Angriffsverbänden den Weg. Und dass dadurch mit großer Wahrscheinlichkeit Menschen, zumindest indirekt, getötet werden, gehe ihnen sehr nahe (Online-Report vom 5.04.2005).

Die grausame Logik ist nicht nachvollziehbar: Bomben und Raketen der NATO sollten das Leben der Kosovo-Albaner vor den Serben schützen. Warum wurde dann auch die Kosovo-Hauptstadt Pristina über 200 Mal bombardiert?

Die Sondersendungen von ARD, ZDF, ntv und RTL verschafften Eindrücke, wie sie ältere Deutsche aus dem Zweiten Weltkrieg kennen: detonierende Bomben, davonjagende Ambulanzen, verängstigte Menschen in Schutzräumen. In Deutschland drohte die öffentliche Stimmung zu kippen. Der Verteidigungsminister Scharping (SPD) sah sich am 27. März 1999 genötigt zu erklären: „Wir wären ja auch niemals zu militärischen Maßnahmen geschritten, wenn es nicht die humanitäre Katastrophe gäbe mit 25.000 Flüchtlingen innerhalb des Kosovo, weit über 400.000 Flüchtlingen insgesamt und einer zurzeit nicht zählbaren Zahl von Toten.“ Er vergaß hinzuzufügen, dass die Flüchtlinge im Kosovo aus allen Volksgruppen kamen und vor den Bombenangriffen der NATO flohen.

Vier-Augen-Gespräch Schröders mit Clinton

Gab es bei den Gefechten zwischen kosovarischer UCK-Guerilla und serbischer Armee vor Beginn der NATO-Angriffe eine „nicht zählbare Zahl von Toten“? Die im Kosovo stationierten OSZE-Beobachter, die jeden Zwischenfall untersuchten, registrierten für die Zeit vom 1. März 1999 bis zum Zeitpunkt der ersten NATO-Bomben 39 Bürgerkriegsopfer in der gesamten Provinz. Der seinerzeit mit der OSZE-Mission betraute Brigadegeneral Dr. Heinz Loquai schreibt über das kalte Frühjahr des Jahres 1999 in seinem Buch „Der vermeidbare Krieg“ (Nomos Verlag): „Die Legitimationsgrundlage für die deutsche Beteiligung war die sogenannte humanitäre Katastrophe. Eine solche Katastrophe als völkerrechtliche Kategorie, die einen Kriegseinsatz rechtfertige, lag vor Kriegsbeginn im Kosovo nicht vor.“ Für Loquai, der damals Scharping öffentlich widerspricht, wurde bald darauf der Vertrag mit der OSZE nicht verlängert. Nach obrigkeitsstaatlicher Manier ohne Angabe von Gründen. Einen Aufschrei in den deutschen Medien gab es nicht. Denn schon vor der Entscheidung des Deutschen Bundestag über eine mögliche Teilnahme beim NATO-Luftkrieg gegen Jugoslawien am 16. Oktober 1998 wurde gelogen. Die Partizipation war längst vereinbart. Noch vor dem Wechsel von der mit der Bundestagswahl vom 27. September 1998 abgewählten CDU/FDP-Regierung zu einem Kabinett aus SPD und Grünen traf eine Abordnung der Noch-Bundestagsabgeordneten der künftigen Exekutive mit Gerhard Schröder, Josef Fischer, Günter Verheugen und Ludger Vollmer am 9. Oktober 1998 den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton in Washington. Nach offizieller Lesart soll sich der designierte Kanzler Bedenkzeit für ein Jahr bis zum Aktivierungsbefehl der NATO bis nach der Vereidigung seiner Regierung erbeten haben. Doch der noch amtierende CDU-Verteidigungsminister Volker Rühe der Regierung Kohl wusste BILD am Sonntag bereits am 11. Oktober 1998 zu berichten: „Gerhard Schröder hat in Washington fest zugesagt, dass wir dem Aktivierungsbefehl zustimmen.“ Und die „International Herald Tribune“ vom nächsten Tag verbreitete, dass die deutsche Seite im Weißen Haus ihr Placet gegeben für einen möglichen NATO-Schlag gegen Belgrad. Völlig eindeutig ist, dass der von der Lewinsky-Affäre bedrängte US-Präsident schnell zuschlagen will. Anfang Oktober 1998 meldete auch der deutsche Botschafter aus Washington: „Unausgesprochen bleibt, dass die angestrebte schnelle Gangart aus Sicht der Administration Vorteile bietet, die mit der Sache selbst nicht in Zusammenhang stehen: Ablenken von der Lewinsky-Affäre durch eine ausländische Krise... Beweis fortbestehender amerikanischer Führungsqualität im internationalen System. Die Kosten achtet man geringer. Widerstand eines wirtschaftlich und politisch geschwächten Russlands sind die USA hinzunehmen gewillt. Sollte das Vorpreschen der USA in der Kosovo-Frage die rotgrünen Koalitionsverhandlungen in Bonn aus der Bahn werfen, so wird dies in Washington wohl auch nur Krokodilstränen hervorrufen.“ (aus dem Bericht der deutschen Botschaft in Washington).

Ganz wird das nie zu klären sein, den Clinton und Schröder führten damals in Washington auch ein 20-minütiges 4-Augen-Gespräch ohne die Delegation. Doch letzte Gewissheiten werden gar nicht gebraucht, weil zweifelsfrei feststeht, dass der Beschluss zum Tagesordnungspunkt „Activation Order“ schon am 12. Oktober 1998 im NATO-Rat wie eine Formsache abgehakt wird. Zudem haben die NATO-Botschafter in Brüssel bereits am 9. Oktober ein gemeinsames Papier verabschiedet, das einen Angriff auf Jugoslawien juristisch absichern soll. Der deutschen Öffentlichkeit wurden also wieder mal Märchen aufgetischt. In der Sitzung des Bundestags am 16. Oktober 1998 nahm das Spiel mit gezinkten Karten seine makabre Fortsetzung, als der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Günter Verheugen, vor dem Plenum erklärte: „Ich möchte deshalb für meine Fraktion sehr deutlich sagen, dass der Beschluss, den wir heute fassen, kein Vorratsbeschluss ist, der bedeutet, dass man in vier, sechs, acht oder zwölf Wochen dann gegebenenfalls darauf zurückkommen kann, sondern dass nur für eine sehr überschaubare Zeit der Bereitschaftsstatus, den die NATO mit unserer gemeinsamen Unterstützung eingenommen hat, aufrechterhalten werden kann und dass in absehbarer Zeit eine Entscheidung darüber fallen muss, ob dieser Zustand aufrechterhalten wird oder nicht. Wenn sich dann die Krise erneut verschärfen sollte, ist ein neuer Entscheidungsprozeß innerhalb der NATO und auch innerhalb von Bundesregierung und Bundestag notwendig. Es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung, die heute getroffen wird, keinen militärischen Automatismus auslöst.“

Eine Finte, wie man heute weiß, um zögernde Abgeordnete zu einer Ja-Stimme zu überreden. Obwohl erst ein halbes Jahr später die ersten Bomben einschlagen, gibt es im Bundestag keinen neuen Entscheidungsprozess, geschweige denn einen aktualisierten Beschluss, denn der wäre als Ermächtigung zum Militäreinsatz kaum begründbar gewesen (Quelle: Protokoll des Deutschen Bundestags vom 16. Oktober 1998, Seite 23-153.

Die Berichte der deutschen Botschaft in Belgrad, des Bundesnachrichtendienstes und des Amtes für Nachrichtenwesen der Bundeswehr zwischen Januar und März 1999 können die in den Medien kursierende „humanitäre Katastrophe“ und eine „Großoffensive jugoslawischer Sicherheitskräfte im Kosovo“ ebenso wenig bestätigen wie die OSZE-Reports aus jener Zeit. So heißt es beispielsweise in einem Bericht des Amtes für Nachrichtenwesen der Bundeswehr vom 20. März 1999, also vier Tage vor den Bombenangriffen: „Entgegen Medienberichten ist derzeit keine Großoffensive jugoslawischer Sicherheitskräfte im Kosovo erkennbar. (...) Erneute Hinweise auf Zuführung kampfkräftiger Verbände können derzeit noch nicht bestätigt werden. Die Auseinandersetzungen überschreiten nicht das bisher erkannte Maß an Gewalt. Aus den übrigen Regionen des Kosovo liegen bisher weiterhin keine eindeutigen Hinweise auf Kampfhandlungen vor. Nach wie vor existieren keine zuverlässigen Informationen hinsichtlich der derzeitigen Flüchtlingssituation.“

Nirgendwo der Hinweis auf eine drohende humanitäre Katastrophe. Beim mutmaßlichen Racak-Massaker, das de facto zum Auslöser des Luftkriegs instrumentalisiert wird, gibt es laut OSZE-Recherchen keine Indizien für Massenhinrichtungen, aber sehr wohl auf eine Inszenierung der UCK.
Es gibt keinen Zweifel, dass der Leitung des Verteidigungsministeriums, Auswärtigen Amts und Kanzleramts die Lageberichte nicht vorgelegen haben. Die WDR-Dokumentation „Es begann mit einer Lüge“ (ausgestrahlt am 8. Februar 2001) hat später nachgewiesen, dass fast alle Gräuelgeschichten, die der Verteidigungsminister Scharping im März und April 1999 verbreitete, erfunden, konstruiert und manipuliert wurden („Es begann mit einer Lüge“, Manuskript der Redaktion „story“; Video der Sendung liegt vor.
Über die Zerstörung in den bombardierten Regionen und die Ursachen der erst durch NATO-Angriffe ausgelösten Flüchtlingsströme erfuhr die deutsche Öffentlichkeit dank einer regierungsfrommen Berichterstattung gleichfalls wenig. So flüchteten 1998 vor dem Krieg etwa 170.000 Menschen vor Kämpfen im Kosovo. Es handelte sich laut der UNO-Flüchtlingsorganisationen  um Angehörige aller Volksgruppen. Im März 1999 stieg diese Zahl auf 600.000 und beziffert damit Albaner, Serben und Roma.

Faschismusanalogien und anti-kommunistische Ressentiments
Der Krieg gegen Jugoslawien beschädigte aber auch das Vertrauen in den Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland. Ihre politische Führung hat seither einen dreifachen Rechtsbruch zu verantworten: den Bruch des Völkerrechts, den des internationalen Vertragsrechts und des Verfassungsrechts selbst. Aber auch andere gesellschaftliche Kontrollinstanzen wie Parlament, Justiz, Medien und Intellektuelle haben in ihrer Mehrheit versagt. Nur einzelne Bürger, darunter Rechtsanwälte, die den Verteidigungsminister aufgrund von Artikel 26 des Grundgesetzes (Verbot eines Angriffskriegs) nach der Strafvorschrift § 80 angezeigt hatten, wurden mit schematischen gleichlautenden Schriftsätzen abgewimmelt. Selbst nach der Ausstrahlung der beweiskräftigen WDR-Sendung „Am Anfang stand die Lüge“ teilte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft dem anzeigenden Hamburger Rechtsanwalt Armin Fiand im Juni 2001 mit: „Anhaltspunkte, dass der Beschuldigte bewusst falsche Tatsachen über Menschenrechtsverletzung vortrug bzw. vortragen ließ, um den Einsatz deutscher Flugzeuge bei Kampfeinsätzen rechtfertigen zu können, sind auch nach der Sendung der ARD, „Der Kosovokrieg, es begann mit einer Lüge“ (...), nicht zu erkennen.“
Bis auf wenige Ausnahmen stützten auch die Medien den Kriegskurs der rot-grünen Koalition. Auch massive PR-Kampagnen, finanziert von US-Albanern, verfehlten ihre Wirkung nicht. In seiner Dissertation über „Die Jugoslawien-Kriegsberichterstattung der ‚Times‘ und der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘“ schrieb Alexander S. Neu: „Die FAZ setzte sowohl dem zeitkritischen Jugoslawien als auch dem Jugoslawien der Endphase ein dezidiert negatives Image auf. Hierbei bediente sie sich der zivilisationstheoretischen Argumentation, Faschismus-Analogien und anti-kommunistischer Ressentiments, die sie verband und auf ‚die Serben‘ als Träger all dessen projizierte.“ Über die Reaktion von Intellektuellen schreibt der Berliner Korrespondent der „Zeit“, Gunter Hofmann, in seinem Buch „Abschiede, Anfänge“: „(...) Schröder, erst seit wenigen Monaten Kanzler, damals noch in Bonn, hatte um Abendessen im Bungalow ein paar Freunde eingeladen: Oskar Negt, Günter Grass, Jürgen Flimm, Michael Naumann, Marius Müller-Westernhagen. Was sie wohl sagen, wollte er wissen, wenn die NATO im Kosovo interveniert und die Deutschen dabei wären? Ohne ein Generalkonzept für den Balkan, erwiderte Negt, könne er sich eine solche Intervention nicht vorstellen. Alle anderen meldeten kaum Einwände an.“ – Offensichtlich hatte niemand genug Brandgeruch in der Nase, um am nächsten Tag in der Öffentlichkeit „Feuer“ zu schreien (Quelle: „Abschiede, Anfänge“, Dr. Gunther Hofmann, Verlag Antje Kunstmann..

Der stellvertretende NATO-Sprecher und damalige Generalleutnant Walter Jertz schrieb in seinem Buch nach dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien, „Krieg der Worte – Macht der Bilder“ (S. 93): „Gemessen an der hohen Anzahl der Kampfeinsätze kam es jedoch zu einer sehr begrenzten, im Promillebereich angesiedelten Zahl an unbeabsichtigten Schäden.“ Sind 2000 unschuldige Bombentote und 7000 Schwerverletzte mit lebenslangen Behinderungen sowie wahnwitzige Zerstörungen und Umweltschäden eine zu vernachlässigende Größe? Wird eine solche Erklärung den Schmerz der Überlebenden lindern? Für den fassungslosen Leser fügt Jertz hinzu: „Jeder einzelne Fall ist tragisch und sehr zu bedauern, aber die übergeordnete Zielsetzung musste Vorrang haben bei der Abwägung der Entscheidung, ob das Morden im Kosovo mit Gewalt beendet werden soll oder ob die Anzahl der bedauerlichen Fehlwürfe noch zu tolerieren ist.“

Für den gegenüber der geltenden Luftdoktrin kritischen Oberstleutnant der Luftwaffe, Jürgen Rose, sind die Bevölkerung und zivile Ziele Teile der Kriegsführung. In Vorträgen und Artikeln teilt er unbestritten mit: „In diesem Kontext ist auch ein Blick auf die derzeit gültige Luftkriegsdoktrin der U.S. Air Force höchst aufschlussreich. Entwickelt wurde diese bereits im Frühjahr 1988 von dem damaligen Colonel John A. Warden III, dessen Überlegungen in der Folge den strategischen Luftkrieg gegen den Irak 1991 sowie gegen Jugoslawien 1999 entscheidend prägen sollten.“

Siehe auch den Film: Propaganda - Der Kosovo Krieg - Es begann mit einer Lüge