Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz

Rede zum Hiroshima-Gedenktag am 6.08.2017 in Bonn-Beuel

von Knut Kornau

Bei meiner Vorbereitung auf den heutigen Redebeitrag bin ich auf das folgende Brecht Zitat gestoßen, dass er 1952 - 7 Jahre nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki und 3 Jahre nach dem ersten erfolgreichen Nukleartest der Sowjetunion - an den Wiener Völkerkongress für den Frieden gerichtet hat:

„Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer. [...] Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen. Der Regen von gestern macht uns nicht nass, sagen viele. Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen. Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.“ (Bert Brecht, 1952 an den Wiener Völkerkongress für den Frieden, 12.-20. 1952 Wien)

Eine andere Zeit – sicher -, für mich jedoch ist vieles übertragbar.

Der „Kalte Krieg“ mit seinen Atomtests, nuklearem Fallout und den „Beinahekatastrophen“ ist für viele heute der „Regen von gestern“. In den Medien wird davon – wenn überhaupt - in distanziertem zeitgeschichtlichem Abstand berichtet. Bezug zur Gegenwart – Fehlanzeige!

Dabei scheint es mir so, dass die erfolgte Reduzierung der Nuklearpotentiale in den 80er und 90er Jahren bei vielen eher als „Beruhigungspille“ wirkt. Alles schien in die richtige Richtung zu laufen. „Ist ja nicht mehr so schlimm, die Sirenen sind abgebaut, der Atombunker in Mariental an der Ahr ist nun Ausflugsziel, ein Relikt aus vergangener Zeit“.

Brecht: „Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde!“

Die 15000 Sprengköpfe, die von den rund 70000 aus dem Kalten Krieg übrig geblieben sind reichen aus, um die Erde unbewohnbar zu machen. In einem der Aufrufe zu den Bücheler Protesttagen heißt es:
„Ein Atomkrieg mit nur einem Bruchteil der globalen Atomwaffenarsenale könnte eine humanitäre Katastrophe bislang unbekannten Ausmaßes auslösen. Aschewolken würden die Sonne verdecken, Ernteausfälle würden weltweite Hungersnöte auslösen.“

Seit Jahren stagniert die Zahl der nuklearen Sprengköpfe: 7300 bei den USA und seinen Verbündeten, 7000 in Russland. SIPRI: (Stockholm International Peace Research Institute), eine sicherlich „unverdächtige“ Institution dazu und darüberhinaus:
„None of the nuclear weapon possessing states are prepared to give up their nuclear arsenals for the foreseeable future.“
Heißt: es wird nicht einmal daran gedacht, weiter zu reduzieren. Dabei nutzen sie die Lücken und doppelten Standards des Kernwaffensperrvertrag aus.

„All of these states are either developing or deploying new weapon systems or have announced their intention to do so.“
Heißt bei uns konkret bei den 20 Atomwaffen, die auf dem Fliegerhorst der Bundeswehr bei Büchel in der Nähe von Cochem lagern: Die jetzigen Atombomben sollen ersetzt werden durch neue „modernisierte“ B 61-12 – Atombomben. Aus einfachen ungesteuerten Bomben sollen lenkbare Präzisionswaffen werden. Das sind Waffen mit neuen Fähigkeiten und damit ein qualitativer Aufrüstungsschritt.

The USA has begun an ambitious modernization of its triad of land-, sea and air-based nuclear forces and the facilities that support them. The USA plans to spend $400 billion over the period 2017–2026 to maintain and modernize its nuclear forces, buy replacement systems and upgrade its nuclear weapon production infrastructure. By some estimates, the USA will spend up to $1 trillion by the mid 2040s on its nuclear modernization programmes.“

Nach einer kurzen Sinkphase infolge des der Beendigung des Kalten Kriegs steigen die weltweiten Rüstungsausgaben weiter an und übertreffen das Niveau des Kalten Kriegs nun. Dabei entfällt auf die NATO Staaten und ihre Verbündeten mehr als die Hälfte der weltweiten Ausgaben.

Die Drohung eines atomaren Schlagabtauschs um Nordkorea ist nicht ganz unwahrscheinlich. Noch nie nach Ende des Kalten Kriegs gab es so viele bewaffnete Konflikte und so viele externe Einmischungen wie heute. Mir erscheint, wir erleben heute so etwas wie eine „nukleare Renaissance“, die an Zeiten des „Kalten Krieges“ erinnert.

Brecht: „Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!“

Davon ließen sich die Hibakusha, die Überlebenden der Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki, leiten, die seit mehr als 70
Jahren das Ziel einer atomwaffenfreien Welt verfolgen.

Ihrem Ziel sind die Hibakusha nun einen großen Schritt näher gekommen: Am 7. Juli 2017 verabschiedeten 122 Staaten bei den Vereinten Nationen einen Vertrag zur völkerrechtlichen Ächtung von Atomwaffen. Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons (TPNW). Der Vertrag geht zurück auf eine Initiative Österreichs sog. „Austrian Pledge“ zusammen mit z.B. Brasilien und Irland. Der Vertrag schließt gegenüber dem Kernwaffensperrvertrag rechtliche Lücken die sogenannten „Legal Gaps“ . Entwicklung, Produktion, Tests, Ankauf, Lagerung, Transfer, Installation, angedrohte oder erfolgte Nutzung wären gebannt ebenso die Unterstützung, Finanzierung, Aufforderung solcher Tätigkeiten. Das Verbot ist daher umfassend. Es gibt Regierungen wie Nichtregierungsorganisationen einen rechtl. Rahmen dafür zu allem, was mit Atomwaffen zu tun hat, „NEIN“ zu sagen auch gegenüber sogenannten „stärkeren Partnern“ und sich dabei auf das Völkerrecht zu berufen.

Der Vertrag wird auch konkrete Konsequenzen für Deutschland haben: Sobald er durch 50 Staaten unterzeichnet und ratifiziert ist, verstößt die Bundesrepublik durch die sogenannte "nuklearen Teilhabe", also die Stationierung von US-Atomwaffen in der Eifel und die Übernahme der Verfügungsgewalt im Ernstfall sowie die Androhung eines Atomwaffenangriffs, gegen geltendes Völkerrecht. Eine Stationierung von Bomben in Büchel wäre demnach (Theoretisch) nicht mehr möglich.

Brecht: „Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben,...“ ... Und ich möchte hinzufügen „Die Doppelmoral ist ebenfalls zu enthüllen.“

Die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten, die an der atomaren Abschreckung festhalten wollen, boykottierten die Verhandlungen – auch die Bundesrepublik. Mit Ausnahme der niederländischen Enthaltung haben alle an der UN-Generalversammlung teilnehmenden NATO-Staaten die Resolution abgelehnt. Im Rahmen der EU haben nur die neutralen und paktfreien Staaten Österreich, Malta, Irland, Schweden und Zypern die Resolution angenommen. Finnland hat sich der Stimme enthalten.

Beatrice Fihn, Executive Director of ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN) zur Rolle Obamas anläßlich seines Besuchs in Hiroshima im Mai 2016 :
« The President’s call from Prague in 2009 to ‘put an end to the cold war thinking’ and reduce the role of nuclear weapons in the US and its allies’ security strategies has not been matched by action. »
... und weiter :
“Over the past seven years, the US nuclear policy has been nothing but disappointing for those who believed that Obama could make real change on nuclear weapons – in particular its boycott of a promising new process to ban nuclear weapons.”
Soweit zu den USA.

Nun, was macht unsere Regierung? Verfolgt sie vielleicht einen unabhängigen Kurs in Friedensfragen? Die Bundesregierung will an der „nuklearen Teilhabe“ im Kriegsfall festhalten. Daher stimmte sie in der UN-Vollversammlung im Oktober 2016 dagegen, im Jahr 2017 mit Verhandlungen über die vollständige Abschaffung von Atomwaffen zu beginnen. Das NATO- und EU-Mitglied Deutschland argumentiert dabei beispielsweise damit, dass Verhandlungen ohne die Nuklearwaffenstaaten ineffektiv seien. Deutschland bevorzugt ein schrittweises Abrüstungsvorgehen statt einem Verbot von Atomwaffen.

Ich ergänze: wohl wissend, dass sich seit Jahren in dieser Frage nichts getan hat. Könnte sie nicht einen ersten Schritt wagen, in dem sie die Bomben aus Büchel verbannt, so wie es 2010 schon einmal u.a. von Herrn Westerwelle gefordert wurde? Und wenn damals die FAZ einschätzte, die Bomben seien nur eine „symbolische Präsenz“, was spräche dann noch dagegen? Zusammen mit einer Ratifizierung wäre es ein Akt des „Good will“ gegenüber der Weltöffentlichkeit. Träumen darf man doch noch?!

Wir alle, die wir hier stehen, wissen natürlich:
Fortschritt in dieser Frage kommt natürlich nicht von allein nachdem die Unterschriften unter ein Dokument gesetzt sind. „Dicke Bretter“ müssen dafür gebohrt werden, das weiß jeder von uns. Regierungen und Zivilgesellschaften habe jedoch, das ist meine Hoffnung, mit einem Vertrag bessere Chancen, eine nuklearwaffenfreie Welt durchzusetzen.

Einige Beispiele für ein solches Engagement:
Die „Mayors for Peace“, denen auch unsere OBs angehören, unterstützen die Vertragsverhandlungen. Sie wenden sich insbesondere an die nichtteilnehmenden (Boykott-)Staaten:
„To the nuclear-armed states and their allies who have not declared their intention to participate in the negotiations, we strongly appeal to them to participate constructively. No leader around the world would deny the ideal of a "world without nuclear weapons." "And their job is to work on improving our existing imperfect world by pursuing a nuclear-weapon-free future.“(Open Letter from Mayors for Peace 17.3.2017)

ICAN hat eine Studie herausgegeben mit Banken, die an der Nuklearrüstung verdienen. Warum keine Sanktionen für diese Banken und ihre Manager? Nicht zuletzt angesichts der kommenden Bundestagswahl sollten wir konkrete Forderungen stellen: In den „Friedenspolitischen Forderungen 2017 des Bundesausschusses Friedensratschlags“ heißt es dazu im Abschnitt: „Atomwaffen abschaffen!
...
Wir fordern die Bundesregierung auf, sich für ein weltweites vertragliches Verbot von Atomwaffen einzusetzen und den Abzug der in Büchel stationierten Atomwaffen anzuordnen. Übungsflüge der Bundeswehr-Tornados zum Atombombeneinsatz sind zu unterlassen.“

Brecht: „Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.“

weitere Reden: http://friedensinitiative.blogspot.de/