Beihilfe zum Massenmord

von Jürgen Grässlin

Drängender als die Frage nach gerechtem Krieg ist die Frage, ob es gerechte Rüstungsexporte gibt. Eine Spurensuche.

Deutsche Waffen finden sich in fast allen Winkeln der Welt, deutsche Soldaten hingegen nicht. Nicht minder lohnend wie die Frage nach einem gerechten Krieg, ist aus meiner Sicht also die, ob es gerechte Rüstungsexporte gibt. Können Rüstungsexporte in einer Welt voller Ungerechtigkeit einen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit leisten? Schaffen Waffenlieferungen Stabilität und Sicherheit? Falls ja, müssen sie in wohlüberlegten Fällen gezielt gefördert werden. Falls nein, stellt sich die Frage: Gibt es wenigstens in der Theorie gerechten Waffenhandel? Wenn nicht, muss Waffenhandel ­verboten werden.


Laut aktueller Fünf-Jahres-Statistik des Stockholm International Peace Research Institute rangiert Deutschland – nach den USA und Russland – weiterhin auf Platz drei der Weltwaffenexporteure; im ­Bereich der Kampfpanzer gar auf dem unrühmlichen zweiten Platz. Schier grenzenlos beliefert wurden und werden NATO- und NATO-assoziierte Staaten sowie befreundete „Drittländer“. Einzig maßgeblicher Hinderungsgrund ist die Verhängung eines UN-Waffenembargos, das legale Rüstungsexporte verunmöglicht. Die Frage der Menschenrechtslage in den Empfängerländern spielt bis heute allenfalls eine marginale Rolle.

Auffallend ist Tatsache, dass Deutschland seit Jahr und Tag miteinander verfeindete Militärs hochrüstet. So ­erhalten kriegführende Staaten wie Indien und ­Pakistan Kriegswaffen aus Deutschland, desgleichen Griechenland und die Türkei sowie Israel, Saudi-Arabien und Ägypten.

Das tödlichste Unternehmen Europas

Eine Trendwende war bis 2013 nicht erkennbar: Im letzten Jahr der schwarz-gelben Regierungskoalition wurden die Genehmigungen für Einzelausfuhren auf den neuen Allzeitrekord von 5,85 Milliarden Euro gesteigert. Nahezu zwei Drittel der Einzelausfuhrgenehmigungen wurden für sogenannte „Drittländer“ – also Staaten, die nicht der NATO angehören bzw. NATO-assoziiert sind – erteilt. Top-Täterin ist Bundeskanzlerin Angela Merkel, die als Vorsitzende des geheim tagenden Bundessicherheitsrats zahlreiche Waffenausfuhrgenehmigungen an Militärs kriegführender und menschenrechtsverletzender Staaten verantwortet. Zu den führenden Empfängerländern deutscher Kriegswaffen zählen die menschenrechtsverletzenden Regime in Algerien, Katar, Saudi-Arabien sowie Indonesien.

Die eigentlichen Massenvernichtungswaffen des 20. und 21. Jahrhunderts sind die sogenannten „Kleinwaffen“, allen voran Sturm-, Scharfschützen- und Maschinengewehre. Zwei von drei Menschen, die in kriegerischen Auseinandersetzungen ihr Leben verlieren, sterben durch Gewehrkugeln. Zurzeit sind etwa 15 bis 20 Millionen G3-Schnellfeuergewehre der Heckler & Koch-„Waffenfamilie“ im Umlauf. Das G3 rangiert damit nach der Kalaschnikow auf Platz zwei im Ranking der global meistverbreiteten Gewehre.

Schuld daran ist eine hemmungslose Lizenzvergabe früherer Bundesregierungen. Von der CDU/CSU, SPD und FDP genehmigt, wurden mindestens 15 Lizenzen zum Nachbau der G3-Sturmgewehre auf dem europäischen, afrikanischen und amerikanischen Kontinent erteilt. Offiziell schießen Sicherheitskräfte in mindestens 88 Staaten mit H & K-Waffen. Bringen diese deutschen Gewehre mehr Gerechtigkeit in die Welt? Ein Blick auf die Schlachtfelder und Exekutionsstätten bezeugt das Gegenteil: Meine konservativen Berechnungen belegen, dass bis zum heutigen Tag mindestens 2.079.000 Menschen durch Kugeln aus dem Lauf von H & K-Waffen getötet wurden. Weitaus mehr Menschen wurden verkrüppelt und verstümmelt. Angesichts dieser Opferzahlen ist Heckler & Koch das tödlichste ­Unternehmen Europas.

Gerechtigkeit ist kein politisches Argument

Aber kann man sich Situationen vorstellen, in denen Kriegswaffen in den Händen von Kombattanten ­Sicherheit und Schutz bringen und damit zu Gerechtigkeit beitragen? Aus militärischer Sicht kann es solche Situationen zweifelsfrei geben, beispielsweise im Fall des Sturzes diktatorischer Regime oder dem Schutz bedrohter Minderheiten – doch das eigentliche Problem liegt in den mittel- bis langfristigen Folgen der Waffenlieferungen und Lizenzvergaben.

Erfahrungsgemäß können Sturmgewehre im Kriegseinsatz im Schnitt rund 50 Jahre eingesetzt werden, so die Erfahrungen mit dem Schnellfeuergewehr G3. Werden die Gewehre – wie geschehen – jahrzehntelang in deutscher Lizenz im Iran, in der Türkei, in Mexiko, Pakistan und Saudi-Arabien gefertigt, so kann mit deutschen Lizenzwaffen über viel Jahrzehnte weitergeschossen und unzählige Male unkontrolliert gemordet werden.

Die Frage, ob mit Waffenhandel Gerechtigkeit in einer weithin ungerechten Welt gefördert wird, spielt und spielte in der politischen Debatte jedoch keine Rolle. Gerechtigkeit ist kein Genehmigungsgrund, Ungerechtigkeit kein Untersagungsargument für den Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern. Von der Bundesregierung vorgeschoben werden stattdessen Argumente wie die Stabilisierung ­befreundeter Regime, die vermeintliche Förderung der Sicherheitslage im Empfängerland sowie der ­Erhalt von Arbeitsplätzen in bundesdeutschen ­Waffenschmieden.

Waffenlieferungen tragen also allenfalls temporär zur Stabilisierung bei, sie leisten höchstens kurzfristig einen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit. Letztlich aber lässt der Einsatz perfektionierter ­Tötungsinstrumente die Konfliktaustragung eskalieren und ist somit ein Beitrag zu mehr Ungerechtigkeit und Unfrieden. Mit Waffenlieferungen wird Öl ins Feuer von Krisen und Kriegen gegossen. Wer Kriegswaffen und Rüstungsgüter an Scheindemokraten, Repressoren und Diktatoren exportiert, leistet vielfach Beihilfe zu Mord oder – im Falle von Kleinwaffentransfers – zu Massenmord.

Waffenhandel ist also die tödlichste Form der Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik. Die Opfer sind in den weit überwiegenden Fällen wehrlose Zivilistinnen und Zivilisten. Die Lieferung von Kriegswaffen unterstützt massiv Ungerechtigkeit in weiten Regionen der Welt. Am Ende entpuppt sich Waffenhandel als ein aktiver Beitrag zu Ungerechtigkeit. Wer eine friedlichere und gerechtere Welt ­anstrebt, muss sich für ein Verbot von Rüstungsexporten einsetzen.

Lesen Sie weitere Meinungen aus dieser Debatte von: Beate WedekindCathryn Clüver,Selmin Caliskan.

http://www.theeuropean.de/juergen-graesslin/8922-waffenhandel-als-toedlichste-form-der-politik

___________________________________________________________________

Laut „Die Zeit“ ist Grässlin „Deutschlands bekanntester Rüstungsgegner“. Als Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD), Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher des Deutschen Aktionsnetzes Kleinwaffen Stoppen (DAKS) und Vorsitzender des RüstungsInformationsbüros (RIB) setzt er sich aktiv für konkrete Schritte zur Abrüstung ein. Grässlin ist Autor einer Vielzahl kritischer Sachbücher über Rüstungs-, Militär- und Wirtschaftspolitik.

--
Bild von Jürgen Grässlin