Jahrestag eines Verbrechens

von Robert Jensen (USA)  

Am 10. Jahrestag des illegalen Einmarsches der Vereinigten Staaten von Amerika in den Irak können wir erwarten, dass die Kriegsbefürworter sagen, dass militärisches Eingreifen zu diesem Zeitpunkt notwendig erschien, während Kritiker uns an das Leiden erinnern werden, das aus dieser tragischen Fehlkalkulation entstanden ist.

Aber inmitten der Rationalisierungen und Kritiken sollten wir bei diesem unbequemen Begriff „illegaler Einmarsch“ bleiben.

Ganz egal, ob wir sie alle ignorieren, hier ist die Realität: Der Einmarsch der Vereinigten Staaten von Amerika in den Irak war illegal. Die Anführer, die den Krieg planten und durchführten, sind Verbrecher. Die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika tragen einige Verantwortung, weil sie diese Anführer nicht zur Verantwortung gezogen haben.


Die Charta der Vereinten Nationen ist eindeutig in Bezug auf den Einsatz von Gewalt in zwischenstaatlichen Beziehungen. Krieg muss vom UNsicherheitsrat genehmigt werden, und in diesem Fall hat dieser eine Resolution abgelehnt, die den Krieg genehmigt hätte. Die einzige andere Voraussetzung, unter der ein Staat in den Krieg ziehen kann, ist als Selbstverteidigung im Fall eines Angriffs, wobei dieser Grundsatz erweitert worden ist um das Recht, auf einen unmittelbar bevorstehenden Angriff zu reagieren, was manchmal als „das herkömmliche Recht der vorausschauenden Selbstverteidigung“ bezeichnet wird.

Die grundlegenden Prinzipien sind unverfänglich und eindeutig dargelegt in den Artikeln 39 und 51 der UNO-Charta, es gibt allerdings Debatten unter Rechtsexperten über die Interpretation von Begriffen wie „unmittelbar“ und „vorausschauend.“ Aber welchen Standpunkt man in solchen Debatten auch vertritt, es ist völlig unmöglich, die Fakten dieser Invasion so auszulegen, dass man eine behauptete Selbstverteidigung rechtfertigen könnte.

Darauf reagieren viele Leute, indem sie das Internationale Recht als irrelevant abtun. Da es die erste Aufgabe der Politiker der VereinigtenStaaten von Amerika ist, die Amerikaner zu beschützen, so sagen sie, sollten unsere Führer nicht durch das Internationale Recht eingeschränkt sein – die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika steht über Internationalem Recht oder Abkommen.

Da gibt es aber noch ein Problem: Artikel VI der Verfassung besagt, dass „alle Abkommen, die im Namen der Vereinigten Staaten von Amerika abgeschlossen worden sind oder werden,“ Teil des „obersten Rechts dieses Landes“ sind. Nachdem die Vereinigten Staaten von Amerika die UNO-Charta ratifiziert (und in der Tat auch den größten Teil davon verfasst) haben, ist die Ablehnung des Internationalen Rechts in dieser Angelegenheit der Ausdruck von Verachtung für die klare Bedeutung der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika. Kein Patriot würde das wagen.

Zurück also zu diesen unangenehmen Schlussfolgerungen: vor einem Jahrzehnt begannen Führer der Vereinigten Staaten von Amerika das, was gemäß den Grundsätzen des Nürnberger Tribunals als „Verbrechen gegen den Frieden“ bezeichnet wird. Ob im Verlauf dieses Verbrechens Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika auch Kriegsverbrechen begangen haben, steht zur Debatte. Soll zum Beispiel die absichtliche Bombardierung der zivilen Infrastruktur eines Landes als Kriegsverbrechen betrachtet werden? Was ist mit dem Einsatz von Streumunition auf eine Weise, die vorhersagbar Zivilisten tötet? Ich glaube, dass beide verbrecherisch sind, aber lassen wir diese komplizierteren Angelegenheiten beiseite. Die Illegalität der Invasion selbst ist keine schwierige Frage.

Auf meinen Reisen außerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika fand ich, dass die weit überwiegende Mehrheit der Menschen der Meinung sind, dass der Einmarsch der Vereinigten Staaten von Amerika unrechtmäßig war. Innerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika wird die Erwähnung dieses weltweiten Konsenses typischerweise als idealistisch und irrelevant abgetan. Aber während wir Beweise und Logik ignorieren können, ja sogar die Welt ignorieren können, können wir den Auswirkungen dieser Auswahl nicht entkommen.

Die moralische Macht von Recht, heimischem oder internationalem, liegt in der konsequenten Anwendung von klaren Standards. Wenn zum Beispiel Gesetze nur gegen die Armen angewendet werden und die Reichen straflos agieren, dann verstehen wir das als eine Perversion des Rechts.

In den Vereinigten Staaten von Amerika verkünden wir immer wieder unser Bekenntnis zum Rechtsstaat – wir sind ein Land der Gesetze, nicht der Menschen. Wenn das so wäre, würden wir hochrangige Figuren der Bush-Administration, die den Krieg begann, der Obama-Administration, die den Krieg weiterführte, des Kongresses, der den Krieg ermöglichte, und des Militärs, das den Krieg durchführte, an den Internationalen Strafgerichtshof überstellen. Wir würden die Höhe der Reparationen festlegen, die wir dem Irak schulden, und mit den Zahlungen beginnen. Und wir würden uns bei den Menschen im Irak und bei der Welt entschuldigen.

Warum ist das in unserer politischen Kultur undenkbar? Vielleicht deshalb, weil wir Macht verehren statt das Recht zu respektieren. Vielleicht deshalb, weil wir nicht die Absicht haben, nach den moralischen Prinzipien zu handeln, die wir laufend anderen auferlegen.

Vielleicht deshalb, weil wir nicht die Menschen sind, die zu sein wir uns einreden.

Übersetzt aus dem amerikanischem von Klaus Madersbacher und veröffentlicht auf seiner Webseite http://www.antikrieg.com