EU-Krieg gegen Geflüchtete
von Dagmar Schulte
Millionen EU-Gelder fließen in die Taschen von kriminellen libyschen Banden, damit diese Geflüchtete in Afrika halten. Gleichzeitig werden Seenot-Rettende kriminalisiert.
„Den Bordmotor schraubten sie ab und nahmen ihn mit, bevor sie das Schiff enterten. Fast alle Insassen des Geflüchteten-Schiffs ertranken. Wir waren mit zwei Schiffen losgefahren. Ich saß in dem anderen Schiff, das es trotzdem geschafft hat. Wie wäre ich sonst hier in Bonn?“, berichtete Mohammed* „Wer hat das andere Schiff zerstört?“ - „Die Araber!“ Vor der Überfahrt verbrachte Mohammed Zeit in einem Libyschen Flüchtlingslager. „Sie schlugen mich! Die Wunden sind gut auf meinem Rücken zu sehen!“
Die Seenotrettungsorganisation Sea-Watch nahm folgende Szenen vor der libyschen Küste per Video auf: „Am 21. Oktober 2016 enterten Mitglieder der libyschen Küstenwache ein vollbesetztes Schlauchboot, schlugen auf die Menschen ein und hielten die Sea-Watch-Crew davon ab, Rettungswesten zu verteilen. Durch das brutale Vorgehen, beim Versuch das Boot zurück nach Libyen zu schleppen, wurde eine Luftkammer des Bootes zerstört und an Bord brach eine Massenpanik aus. Fast alle 150 Insassen fielen ins Meer und etwa 30 ertranken vor den Augen unserer Crew.“
Die Kapitänin Pia Klemp, die auf NGO-Schiffen half, hunderte Geflüchtete aus Seenot zu retten, sieht ihre Aufgabe auch darin, Zeuge zu sein. „Wir waren das Auge der Öffentlichkeit dafür, was dort passiert!“, meint sie. Im Moment kann sie jedoch nicht zur See, weil in Italien gegen sie wegen Verdacht auf Beihilfe zur illegalen Einreise ermittelt wird. Doch sie ist nur eine von vielen, die keine Menschen mehr vor dem Ertrinken bewahren kann: Das Rettungsschiff der Mission „Lifeline“ liegt an der Kette im Hafen von Malta, die Sea-Watch in Südfrankreich, die Iuventa in Italien und so weiter und so fort. Pia Klemp steht exemplarisch dafür, wie Regierungen versuchen, die Arbeit von NGO´s lahmzulegen und zu kriminalisieren. Pia Klemp und ihrer Crew drohen bis zu 20 Jahre Haft.
Passend dazu: Die EU gab im März 2019 bekannt, dass die Marine-Operation Sophia fortan ohne Schiffe betrieben wird und das Mittelmeer nur aus der Luft zu betrachten ist. Entsprechend steigt die Zahl der Ertrinkenden.
Statt Geld auszugeben, um Menschenleben zu retten, fließen 200 Millionen Euro in die sogenannte „Libysche Küstenwache“. Doch wer ist diese „Libysche Küstenwache“? Der UN-Sonderbeauftragte für Libyen, Martin Kobler, bezeichnet Libyen als nicht existierenden Staat mit Chaos und Anarchie. Es gebe praktisch keine effektive Regierung.
Der Journalist Michael Obert beschrieb für das „Süddeutsche Zeitung-Magazin“, dass der Kommandant Al-Bija in Libyen die Macht durch ein blutiges Gefecht über den Hafen der Stadt Zawiya übernahm. Dort kreierte seine Miliz ein entsprechendes Wappen sowie militärische Dienstgrade und nannte sich „Libysche Küstenwache von Zawiya“. Seither fahren seine Männer so hinaus auf das Mittelmeer. Außerdem stehen Viele dieser sogenannten „Libyschen Küstenwache“ selbst im Verdacht, in das Geschäft der Schlepper verwickelt zu sein. All diese Zusammenhänge sind der Bundesregierung bekannt. Ein vertraulicher Vermerk des Europa-Staatsministers im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD) liegt vor. Die Bundesregierung hält dennoch mit einem immensen Budget an der Kooperation und Finanzierung dieser sogenannten „Libyschen Küstenwache“ fest.
Der Fluchtweg Libyen-Italien wird Todespassage genannt. Wer nach der Entdeckung durch die „Libysche Küstenwache“ nicht ertrinkt, wird völkerrechtswidrig zurück nach Libyen in ein Camp gebracht. Michael Obert war in so einem Camp und vernahm ein Sprachgewirr von hunderten Menschen aus vielen Ländern Afrikas. „Sie behandeln uns wie Tiere, niemand sieht uns hier, es gibt keine Menschenwürde!“, rief einer Michael Obert auf Französisch zu. Obert erlebte mit, wie diese Männer im Gestank leben. „Sie bekommen morgens so eine kleine Plastikflasche Wasser. Wenn sie die leer getrunken haben, müssen sie diese Flasche wieder voll pinkeln.“ Der Stuhlgang sei in Plastik- oder Papiertüten zu verrichten.
In einem entsprechenden Frauencamp wagte sich eine junge Nigerianerin, Obert anzusprechen: „Helft uns! Helft uns! Helft uns!“, habe sie Obert leise zugeflüstert und ihm ihren Unterleib gezeigt, der bis zum Knie voll Blut war. „Sie vergewaltigen uns, alle, nacheinander!“
Immer mehr Menschen holt die „Libysche Küstenwache“ vom Mittelmeer in solche Camps. Dass die EU all dies finanziert, findet der Küstenwachenchef in Ordnung und meinte zu Obert: „Wenn wir für Europa die Drecksarbeit erledigen sollen, dann soll Europa auch für uns bezahlen!“
Auch eine im März 2019 veröffentlichte Studie der Organisation Women´s Refugee Commission berichtet von einem dramatischen Ausmaß und einer Zunahme brutalster Übergriffe, Folter und sexualisierter Gewalt gegen MigratInnen in Libyen.
Reflektierend auf all diese Vorgänge muss sich laut Obert die EU und auch Deutschland die Frage stellen: Finanzieren wir libysche Milizen, damit sie - koste es, was es wolle, auch um den Preis der Menschenrechte und der Grundwerte europäischer Demokratien - Geflüchtete aus Afrika zurückhalten, nach Europa zu kommen.
Mohammed* lebt im Rheinland und nimmt trotz massivster Traumatisierungen aktiv Integrations- und Beratungsangebote wahr. Und er lernt fleißig Deutsch, so dass er Informationen zu diesen Themen mehr und mehr verstehen kann. So stellt sich eine weitere Frage: Welche Auswirkungen haben solche Vorgänge auf Geflüchtete wie Mohammed?
(*Der Name wurde zum Schutz des Geflüchteten geändert)