Friedensaktivist vor Gericht wegen Aufruf zum Whistleblowing bei Heckler & Koch

Amtsgericht Oberndorf verhandelt am 19.09.2017 über die Rechtmäßigkeit von Aufrufen zum Whistleblowing bei Heckler & Koch

Dürfen Beschäftige des Waffenherstellers dazu aufgefordert werden, die Öffentlichkeit über die Hintergründe illegaler Waffenexporte ihres Arbeitgebers zu informieren?

Das Amtsgericht Oberndorf (Mauserstraße 28, 78727 Oberndorf) verhandelt am Dienstag, 19.09.2017, 08:30 Uhr (Sitzungssaal 1) über die Rechtmäßigkeit von Aufrufen zum Whistleblowing, die während mehrerer Gewaltfreier Aktionen an Beschäftigte des Waffenherstellers Heckler & Koch (Oberndorf am Neckar) verteilt worden sind. Wichtig: Das Gericht hat für den Prozesstag umfangreiche sitzungspolizeiliche Maßnahmen angeordnet (Einlass- und Ausweiskontrollen, Personendurchsuchungen und Durchsuchungen von Taschen, Kontaktverbot der Verfahrensbeteiligten zu den Prozessbesuchern u.a.), weshalb dringend empfohlen wird, genügend Zeit für den Einlass einzuplanen!

Um gegen die in Teilen illegale Exportpraxis von Heckler & Koch zu protestieren, hat der Friedensaktivist Hermann Theisen (Hirschberg) im Mai 2015 am Stammsitz des Waffenherstellers in Oberndorf am Neckar mehrfach „Öffentliche Aufrufe an alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Heckler & Koch GmbH (Oberndorf am Neckar)“ verteilt, in denen er die Beschäftigen aufgefordert hat, die Öffentlichkeit „umfassend über die Hintergründe der in Teilen illegalen Exportpraxis ihres Arbeitgebers“ zu informieren. Das Amtsgericht Oberndorf sieht darin ein strafbares Handeln und hat im Mai 2016 einen Strafbefehl über 90 Tagessätze (zu je 40 Euro) gegen Theisen erlassen, der auch Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) ist. Der strafrechtliche Vorwurf lautet: Öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) in Verbindung mit Aufforderung zum Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (§ 17 UWG) und Hausfriedensbruch (§ 123 StGB).

Anlass des Strafbefehls ist eine Strafanzeige des Hauptanteilseigners von Heckler & Koch, Andreas Heeschen, der 2015 sechzig Millionen Euro in den damals wirtschaftlich angeschlagenen Waffenhersteller investiert hat. Am Tag der ersten Flugblattverteilung war der medienscheue Finanzinvestor offenbar auf dem Werksgelände anwesend und empfand die Verteilung der Aufrufe zum Whistleblowing an seine Beschäftigten wohl derart provokant, dass er noch am gleichen Tag Theisen per Email ein Hausverbot erteilte und am Folgetag über die Freiburger Anwaltskanzlei Brüggemann & Eichener Strafanzeige gegen Theisen erstatten lies. Für Theisen ist der Strafbefehl nicht nachvollziehbar, nachdem das Landgericht Stuttgart inzwischen das Hauptverfahren gegen zwei ehemalige Vertriebsleiter und zwei ehemalige Geschäftsführer von Heckler & Koch sowie einen ehemaligen in Mexiko tätigen Verkaufsrepräsentanten des Waffenherstellers eröffnet hat und ihnen damit Verstöße gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Außenwirtschaftsgesetz vorwirft (Landgericht Stuttgart - 13 KLs 143 Js 38100/10).

Theisen erklärt hierzu: „Das Stuttgarter Strafverfahren gegen ehemals leitende Angestellte von Heckler & Koch belegt die in Teilen illegale Exportpraxis des Waffenherstellers. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, über derart kriminelle unternehmerische Machenschaften informiert zu werden, weshalb mein Aufruf zum Whistleblowing nicht strafbar sein kann. Deshalb erwarte ich vom Amtsgericht Oberndorf einen vollumfänglichen Freispruch.“

Rechtsanwalt Holger Rothbauer (Tübingen), der Theisen vor dem Amtsgericht Oberndorf vertreten wird und gemeinsam mit dem Friedensaktivisten Jürgen Grässlin die Klage gegen Heckler & Koch ins Rollen gebracht hat, erklärt zu dem Strafverfahren: „In einer rechtstaatlichen Demokratie sind kreative Aktionen gegen Waffenhandel von der grundgesetzlichen Meinungsfreiheit gedeckt und nicht strafbar. Herr Theisen lebt schließlich in Deutschland und nicht in der Türkei!“ Roland Blach (Landesgeschäftsführer der DFG-VK Baden-Württemberg) erklärt: „Vor genau zwei Jahren widmete die ARD den illegalen Machenschaften von Heckler & Koch einen ganzen Themenabend. Die Öffentlichkeit steht klar auf der Seite von Hermann Theisen. Im Mai 2018 startet der dreizehntägige Staffellauf gegen Rüstungsexporte „Frieden geht“ zur Bundeshauptstadt in Oberndorf.“