150 Jahre Gandhi -
(M)ein Weg zum inneren Frieden
von Helene Theresia Binder (Diplom Sozialarbeiterin)
Ist der innere Frieden wirklich wichtiger als der äußere? Können wir Frieden bewirken, wenn wir ständig in Kampf mit uns selbst sind? Bin ich in der Friedensbewegung tatsächlich frei von Vorurteilen gegenüber Menschen, die anders denken? Fängt nicht jeder Krieg mit der inneren Bereitschaft an, für den Frieden zu kämpfen – was in sich schon absurd ist?
„Die Welt von morgen wird, ja muss eine Gesellschaft sein, die sich auf Gewaltfreiheit gründet. Das ist das erste Gesetz; aus diesem werden alle anderen guten Taten hervorgehen. Dies mag ein entferntes Ziel sein, ein unpraktisches Utopia. Aber es ist nicht im Geringsten unerreichbar, da man dafür hier und jetzt arbeiten kann. Ein Einzelner kann den Lebensstil der Zukunft praktizieren – den gewaltfreien Weg –, ohne auf andere warten zu müssen. Und wenn es ein Einzelner kann, können es nicht auch Gruppen, ganze Nationen? Die Menschen zögern oft, einen Anfang zu machen, weil sie fühlen, dass das Ziel nicht vollständig erreicht werden kann. Diese Geisteshaltung ist genau unser größtes Hindernis auf dem Weg zum Fortschritt, ein Hindernis, das jeder Mensch, sofern er nur will, aus dem Weg räumen kann.“ Mahatma Gandhi (1869-1948)
In meiner langjährigen Auseinandersetzung mit dem Frieden wurde mir klar, dass es zwei Qualitäten von Frieden gibt. Der bedingte Frieden und der absolute Frieden. Den bedingten Frieden gibt es in der Dualität also in Form von „Krieg oder Frieden“. Der absolute Frieden ist unser innerer Frieden, unberührt von äußeren Umständen.
Gandhi wirkt auf mich als Vorbild, da er beide Qualitäten vereint und darüber ein gewisses „Charisma“ entwickelt hat, aus dem heraus sein Ansehen bei politischen Oberhäuptern auch außer-gewöhnlich war. Beispielsweise meditierte er während politischer Verhandlungen, musste erneut eingeladen werden, weil er zunächst einfach schwieg.
Mit der spektakulärsten Aktion, dem „Salzmarsch“, setzte sich Gandhi gegen das britische Salzmonopol und für die Unabhängigkeit seines Landes ein. Diesem Aufruf zur Steuerverweigerung schlossen sich zahlreiche Inder an und bekannten sich zur gemeinsamen Wahrheitssuche und zur Gewaltfreiheit.
Selbst nach dem Tod Gandhis wurden Menschen wie Martin Luther King in ihrem Einsatz für soziale Gerechtigkeit von seinem gewaltfreien Widerstand inspiriert.
In seinem bescheidenen Leben im Ashram, einem klosterähnlichen Leben in Indien, drückte sich seine Haltung zur Gleichheit aus. Er saß täglich am Spinnrad und stellte seine Kleidung selbst her.
Aus solchen und ähnlichen Erzählungen entnehme ich, dass er seine inneren Erkenntnisse lebte, wobei er wohl stets seine Haltung reflektierte und diese liebevoll und sehr beständig vertrat.
„Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ Mahatma Gandhi
Wenn ich diesen Satz in all meinen Beziehungen zur Anwendung bringe, komme ich des Öfteren an meine Grenzen, weil es so scheint, als müsse sich der Andere verändern.
In der Meditation (Konzentration des Geistes) kann ich Erkenntnisse oder sogar die tatsächliche Ursache finden, warum ich diese Umstände in meinem Leben habe. Ich kann den „inneren Beobachter“ schulen, der die Abläufe (Glaubenssätze, Emotionen) hinter meinem Handeln erkennt, damit ich mich verändern bzw. angemessen auf Situationen reagieren kann.
In meiner Begeisterung für diesen inneren Weg zum Frieden werde ich hin und wieder darauf aufmerksam gemacht, dass auch Gandhi nicht unfehlbar war und seine „blinden Flecke“ hatte.
Aber gerade das hilft mir, mit meiner eigenen Biographie in Frieden zu kommen. Wenn ich gerade alles andere als im Frieden bin, kann ich schmunzeln und denken: „Auch Menschen wie Gandhi brauchten diese Reibung, um überhaupt den Unterschied zu spüren und sich bewusst zu werden, welche Auswirkung der innerer Kampf auf das Leben und das Umfeld hat.“
Ich denke, genau das war auch für Gandhi das Schwierigste, selbst nicht vollkommen zu sein. Dies kam für mich vor allem zum Ausdruck, als er die Befreiung Indiens bewirkt hatte und dann die Unruhen im eigenen Land anfingen. In seiner Hilflosigkeit über die Ausmaße der Gewalttätigkeiten hörte er auf zu essen und bekundete, erst wieder anzufangen, wenn Frieden herrscht.
Die Hör-CD "Wut als Geschenk" erzählt über die Begegnung mit Gandhi und seinem Enkelsohn Arun. Sie enthält Lektionen und liebevolle, mit viel Humor erzählte Geschichten, die von einer nicht immer leichten Beziehung zueinander zeugen, da Gandhi sehr gewissenhaft mit sich selbst und anderen war. Auf dem Cover steht:
„Wut ist eine sehr gute und sehr mächtige Sache, die uns motiviert. Aber für was wir uns schämen müssen, ist die Art, wie wir sie missbrauchen.“ Mahatma Gandhi
Aus meiner Erfahrung würde ich dieses Zitat so betrachten: Über unsere Erziehung wird Wut als etwas Negatives erlebt und bestraft. Oft erleben Kinder Demütigungen z. B. in die Ecke stellen, Verbote, nicht beachtet werden und sogar Schläge. Sie werden als „ganze Person“ bestraft und bekommen oft keine angemessene Erklärung, für das was als „falsch“ erachtet wurde.
Daher wird Wut im Erwachsenenalter unterdrückt oder erneut in Form von Gewalt ausgedrückt - also in diesem Sinne missbraucht. Dabei ist Wut oft ein Ausdruck von Ungerechtigkeit, die nicht in Worte gefasst werden kann und ein Ventil sucht über den unkontrollierten Ausdruck. Im Erwachsenenalter können wir lernen, diese Wut zu kontrollieren und in eine konstruktive Form zu bringen.
Arun kam mit 12 Jahren zu Gandhi, weil er so ein wütendes und schwieriges Kind war. Er befürchtete, seinem Großvater niemals gewachsen zu sein und immer mit ihm verglichen zu werden. Später beruhigte ihn Gandhi, dass jeder seinen ganz eigenen Weg zum Frieden gehen muss und hatte große Zuversicht, dass auch Arun seinen Weg finden werde.
Über die Recherchen in der Friedensorganisation zur Rundreise von Arun in Deutschland, in diesem Jahr, wurde mir klar, dass selbst Arun seine Muster hinter den intellektuell verstandenen Lektionen nicht vollständig auflösen konnte.
Wie viel mehr können wir uns darüber freuen, dass es ein lebenslanger Prozess ist, in dem wir nicht perfekt zu sein brauchen, sondern ehrlich unseren Fehlern und unserem Scheitern begegnen.
Mein erster impulsgebender Bericht zum „Inneren und äußeren Frieden“ wird durch meine persönlichen Erfahrungen als Sozialarbeiterin geprägt. In meiner Diplomarbeit schrieb ich 1995 über „Die Kunst des Helfens“, dass das Handwerkzeug in sozialen Berufen über unsere Persönlichkeit zum Ausdruck kommt und wir darüber in der Gesellschaft wirken. Dieses Zitat wählte ich damals aus, weil es für mich diese Verantwortung des Handelns und die Wichtigkeit der Selbstreflektion zeigte:
„Die Heilung, Einkehr, Besinnung und Wiedergeburt eines Volkes vollzieht sich nicht an der Oberfläche und nicht an den Massen, sondern geht still und verborgen in den einzelnen vor sich.“ Hermann Hesse
Erst Jahre später, über mein Interesse für den Zusammenhang von Gesundheit und kulturellen Einflüssen, setzte ich mich mit der indischen Philosophie auseinander und kam so in Berührung mit Ghandis Wirken. Das Zitat spiegelt für mich im Grunde die Botschaft von Gandhi wider.
Die Kunst des Handelns besteht darin, in dem steten Wandel der Zeit und in den jeweils äußeren Umständen angemessen (emphatisch) auf sein Umfeld (Mensch/Tier/Natur) zu wirken und innerhalb der eigenen Voraussetzungen einen Weg des Friedens zu kultivieren:
- Ressourcenorientiere Biographiearbeit
- Auflösung von alten Glaubenssätzen und Mustern
- Selbstreflektion und Reflektion in der Familie, in „Teams“ usw.
- Forschergeist entwickeln, über Fehler lernen und Verzeihen
- Achtsame Kommunikation (C. Rogers / M. Rosenberg)
- Werteorientierte Haltung (Wahrheit - gerechte Handlungen - Frieden)
- Achtung für die Natur und der Würde des Menschen
Für mich bedeutet die Umsetzung dieser Art von „Friedenskultur“ einen lebenslangen Prozess, der sich über die innere Haltung ausdrückt und zum Vorbild werden lässt. Eine Gefahr besteht darin, ein „Moralapostel“ zu werden und sich für gut und die anderen für schlecht zu halten, dann wären wir wieder in dem Bereich von Krieg und Frieden.
Der Schlüssel zum inneren Frieden liegt im Verzeihen - sich selbst und anderen. Dabei können wir Verständnis und Gleichmut entwickeln. Ein klares „Ja“ oder „Nein“ aussprechen, ohne zu verletzen.
„Der Schwache kann nicht verzeihen, Verzeihen ist eine Eigenschaft des Starken.“ Mahatma Gandhi
Lernen hört nie auf, dabei die Geduld und den Humor nicht verlieren. Vor allem, sich selbst Zeit zur Reflektion lassen und im Gespräch den Kontakt zum anderen herstellen, um sich gegenseitig zu spiegeln und aneinander zu wachsen.
Auf der Internetseite vom DFG-VK Bonn-Rhein-Sieg können unter „Innerer Frieden“ und „Gedanken zum Frieden“ weitere Inspirationen über das Wirken von Gandhi gelesen werden. Darüber kann die eigene Position hinterfragt und gestärkt werden.
Gedanken die mir Andere zu meinem Impuls-Artikel mitgeteilt haben:
Ich finde den Artikel sehr gut und das Anliegen, Frieden in die Arbeit, insbesondere in die Sozialarbeit (da in diesem Bereich viel Unfrieden bei den Menschen ist), aber auch in alle Bereiche hinein-zubringen, äußerst notwendig.
Deine Ausführungen, besonders auch die Betonung des inneren Friedens, sind erhellend und hilfreich. Allein, dass so etwas gesagt und geschrieben wird, hat bereits eine Wirkung, davon bin ich überzeugt. Es ist gut, die historischen Details im Hintergrund zu lassen, das stiftet sonst nur Verwirrung und Widersprüche. Man kann Frieden in etwas hineinbringen, wenn man selbst im Frieden ist. Wenn viele das machen würden in allen Institutionen - Schulen, Krankenhäusern, Firmen, Banken, Altenheimen, Kitas usw. usw., dann würde sich die Gesellschaft verändern. (Ärztin und Psychologin i. R.)
Dein Text spricht mich sehr an und ich finde, er sendet eine verantwortungsvolle, weise, heilsame Botschaft, ohne belehrend zu wirken. Besonders wichtig finde ich den Hinweis, dass sich niemand zum Bringer des Friedens aufschwingen kann, sondern dass Frieden sich in einer stets fragenden und vor allem sich selbst hinterfragenden Haltung offenbaren kann, die das Wachsen am ganz Andersartigen möglich werden lässt. Dass sich in einem rein konfrontativ verstandenen „Kampf für den Frieden“ das Scheitern gleich mit präsentiert, gerät bei allem Eifer für die „gute Sache“ sonst leicht aus dem Blick. (Sozialarbeiterin und Musikerin )
Ein guter Text; ich denke über den Frieden nach. Ich glaube, zu dauerhaftem Frieden ist der Mensch nicht fähig. Unser Egoismus und die Gier sind noch lange nicht überwunden. Umso wichtiger ist es, auf diese außergewöhnlichen Menschen, die Frieden vorgelebt haben bzw. vorleben, hin zu weisen. Mein Vater sagte vor vielen Jahren einmal, er wünscht seinen Kindern Gesundheit und dass sie niemals einen Krieg erleben müssen. Jeder Denkanstoß ist wichtig, wie viel ist Frieden wert und wie kann ich dazu beitragen… . (Bankkauffrau und Tochter der Nachkriegsgeneration)