Israel - So lange, wie die Besatzung besteht,  werden Soldaten bereit sein, auszusprechen

von Avner Gvaryahu

Wie viele, die neben mir den Militärdienst machten, zog ich es vor, zu schweigen. Ich zog es vor, zu vergessen, nicht darüber zu sprechen, wie ich mitten in der Nacht in eine palästinensische Wohnung einbrach, die Gewalt vergaß, die ich an den Checkpoints ausübte und die Passivität, die von mir gefordert wurde, wenn Siedler das Recht überschritten. Als ich aus der Armee entlassen wurde, zog ich es vor, diese drei Jahre zu unterdrücken, sie hinter mir zu lassen. Erst nachdem ich eine Tour in die südlichen Hebroner Berge mit Breaking the Silence mitgemacht hatte, öffneten sich meine Augen. Erst dann wagte ich zu sprechen. So erfuhr ich, dass ich nicht allein bin. Ich erfuhr, dass es noch andere wie mich gibt – Soldaten, die die Situation auf dieselbe Weise und Verantwortung übernehmen und die Art und Weise ihre Gesellschaft – unsere Gesellschaft - verändern und über die Besatzung reden.

In dieser Art klingt Besatzung: „Sorge dafür, dass das Dorf nicht schläft“, „Ein Mann wird gefesselt und bekommt einen Stoß in den Magen und auf den Kopf,“ „ Eine Todesstrafe für einen unbewaffneten Mann,“ „Jedes Kind, das man mit einem Stein sieht – erschieße es“. „ Du kannst machen, was du willst, keiner wird dich etwas fragen.“ In der Praxis misshandelst du einfach die Bevölkerung. All dies sind zufällige Schlagzeilen von Breaking the Silence- Zeugenaussagen. Kleine Momente in einer jahrelangen Besatzung.

Dann gibt es noch jene, die vorziehen, andere zum Schweigen zu bringen. Die letzten beiden Jahre wurden von ständigen Versuchen der israelischen Regierung gesehen, wie sie jedem, der gegen die Besatzung ist, eine eindeutige Botschaft sendet: du sollst nicht über das reden, was drüben geschieht“. Jeder, der wagt auszusprechen, wird gebrandmarkt und kommt auf eine Schwarze Liste, während die Delegitimierungskampagne der Regierung immer unverschämter wird. Aber ich bin nicht bereit, still zu bleiben. Zusammen mit den 1100 Soldaten – Männer und Frauen, die das Schweigen gebrochen haben - bestehen wir darauf, dass unsere Stimme gehört wird. wir müssen unsere Stimme sehr deutlich und klar zum Hören bringen, sodass jede Person, die in den besetzten Gebieten dient, wissen wird, dass das Aussprechen nicht nur eine Option, sondern eine moralische Pflicht ist.

In der letzten Woche veröffentlichte Breaking the Silence seine neue Broschüre über Zeugenaussagen: „Warum ich das Schweigen breche.“. In ihm entscheiden sich Soldaten, über die Gründe zu reden…Es gibt viele Gründe, dies zu tun und die Wahrheit ist, dass die Organisation die Broschüre schon in jedem Augenblick der letzten Jahre hätte herausgeben können. Aber jetzt, wo viele versuchen, uns zum Schweigen zu bringen und gegen uns hetzen, war es wichtig, die israelische Öffentlichkeit daran zu erinnern, warum Soldaten weiter ihr Schweigen brechen. Schließlich ist der Hauptgrund für das Schweigen-brechen, die Besatzung. Solange, wie es eine Besatzung gibt, gibt es auch jene , die wählen das aufzudecken, was die Regierung zu verbergen sich bemüht.

So klingt ein Besatzer: „Mir war vorher nicht klar, dass es Straßen nur für Juden gibt, die sie eine „sterile Route“ nennen.“ „Ich schäme mich für das, was ich dort tat.“ „Ich bin nur eine Spielfigur in dem System.“ „Wir gelangen in die Arterien der Bevölkerung.“ „Sie sagten uns, trocknet sie aus.“ „ Die politische Führung ist nah am Siedlungsunternehmen“.

Das folgende Zeugnis wurde Breaking the Silence von einem Soldaten gegeben, der 2009 im Haruv –Bataillon diente, obwohl es auch 2002 oder 2007 gewesen sein könnte oder an jedem beliebigen Freitag, wenn die meisten von uns beim Mittagessen sitzen, umgeben von Familie und Freunden. Das Haruv-Bataillon, nahe der Westbank- Stadt Salfit. Israelisches Militär kam im Dorf von Hares an , als Palästinenser in dem Gebiet Steine warfen.

Was mich am meisten schockierte , waren die Durchsuchungen, die wir in Hares durchführten – dies war der Strohhalm, der dem Kamel den Rücken brach. Sie sagten, dort seien 60 Häuser, die durchsucht werden sollten. Ich sagte, dass es da Warnungen vom Geheimdienst gegeben hätte. Ich versuchte, mich selbst zu rechtfertigen. Wir – die ganze Division - kamen nachts an. Es war eine Bataillon-Operation. Man verteilte sich über das ganze Dorf, kontrollierte die Schule, zertrümmerte die Türschlösser, die Klassenzimmer. Ein Raum wurde als Verhörraum vom Shin Bet benützt, einer für die Verhafteten, einer für die Soldaten zum Ausruhen. Ich erinnere mich besonders daran, dass es mich ärgerte, dass sie eine Schule auswählten. Wir gingen von Haus zu Haus, klopften um zwei am Morgen an die Tür der Familie. Sie war zu Tode erschrocken, die Mädchen pinkelten aus Angst in ihren Schlafanzug. Wir klopften an die Türen mit einem Gefühl „wir werden es ihnen zeigen, es ist fanatisch. Wir gehen durch das Haus und stellen alles auf den Kopf. „

Die Familie wurde in einem Raum mit einem Bewacher versammelt. Diesem wurde gesagt, er solle seine Waffe auf sie richten und dann durchsucht das ganze Haus. Wir bekamen noch einen Befehl, dass jeder zwischen 16 und 29 – egal wer - mit Handschellen und verbundenen Augen gebracht werden soll.

(:::) Was mich am meisten schockierte, war, dass dort auch gestohlen wurde. Eine Person nahm 20 Schekel. Die Leute gingen in die Häuser und schauten nach Dingen, die gestohlen werden konnten. Es war aber ein sehr armes Dorf. Irgendwann sagten manche: „Wie schade, hier gibt es nichts zu stehlen. „Ich nahm ein paar Filzstifte, einfach so. So konnte ich sagen, dass ich auch etwas gestohlen hatte. Man sah Leute, die wirklich arm waren.

Unter den Soldaten gab es nach der Aktion eine Menge Freude über das Elend der Leute, über das sie vergnügt redeten. Es gab einen Augenblick, in dem jemand, den sie kannten und der geistig behindert war und der die Soldaten anschrie. Einer der Soldaten entschied, dass er ihn schlagen würde. Die andern schlugen ihn auch mit dem Gewehrkolben auf den Kopf. Er blutete und sie brachten ihn mit anderen zur Schule. Dort gab es einen Haufen von Verhaftungsordern, die vom Bataillons-Kommandeur unterzeichnet und mit einer blanko-Seite versehen war. Sie füllten die Order aus, dass die verhaftete Person unter dem Verdacht verhaftet wurde, den Frieden zu stören … Ich erinnere mich daran, dass es dort Leute mit Handschellen gab, die wirklich sehr fest geschlossen waren. Ich öffnete sie und schloss sie lockerer. Ich kam mit Leuten (Palästinensern) ins Gespräch. Da war einer, der arbeitete 13 Stunden am Tag und ein anderer, den ein Siedler nach Israel brachte, um für ihn zu arbeiten. Nach zwei Monaten bezahlte er ihn nicht und gab ihn bei der Polizei ab.

Eine andere Sache, die mich sehr beschäftigt, ja geärgert hat, war ein Haus, das sie nur zerstörten (Die Mutter beobachtete von der Seite und weinte. Die Kinder saßen neben ihr und streichelten sie. Da dachte ich an meine Mutter, wie sie jede Ecke des Hauses sauber hielt und plötzlich kämen Soldaten und zerstörten es.

Was bedeutet es, ein Haus zu zerstören? Sie demolieren die Fußböden, schmeißen Sofas um, werfen Pflanzen und Bilder herunter, zerstören Betten, Schränke und Unterlagen. Es gab andere, kleinere Vorkommnisse, aber dies hat mich am meisten verstört. Der Anblick der Leute, in deren Häuser du gerade gegangen bist. Es hat mich wirklich verletzt, das zu sehen. Und danach ließen sie sie für viele Stunden gefesselt und mit verbundenen Augen in der Schule. Der Befehl kam dann, sie um vier Uhr am Nachmittag zu entlassen. Das war also nach mehr als elf Stunden. Es gab Leute vom Sicherheitsdienst, die sie einzeln verhörten.

Wir fanden keinerlei Waffen. ... Einzelheiten dieses Einsatzes in Hares kommen mir immer wieder ins Gedächtnis.
Die Art und Weise, wie sie uns anschauten. Was mag durch ihren Kopf gegangen sein … Wie kann man den Sohn einer Frau mitten in der Nacht nehmen, seine Hände fesseln, ihm die Augenverbinden? ….

Dieses vergangene Jahr, das 50 Jahre israelische Herrschaft über die besetzten Gebiete markiert, forderte die Gegner der Besatzung heraus. Angesichts des Bange-machens und Schweigens standen tapfere Leute auf, die sich entschieden, sich nicht einfach zurückzuhalten, sondern wählten , ihre Stimme gegen die Besatzung zu erheben. Ich bin stolz, teil einer Bewegung zu sein, die hinter ihren Prinzipien steht und nicht aufhören wird, bis wir aufhören werden, über ein anderes Volk zu herrschen.

(dt. und gekürzt Ellen Rohlfs)