Israel - In einem Friedensprozess zählen nicht verlogene Worte sondern Taten!
von Siegfried Ullmann
Liebe Friedensfreunde, Nahost-Interessierte und Israel-Unterstützer,
immer wieder wird von einem Friedensprozess gesprochen, aber einen solchen gibt es nicht. Es gibt tatsächlich nur einen Vertreibungs- und Vernichtungsprozess zu Lasten des palästinensischen Volkes. Besonders hart trifft es die beduinische Bevölkerung in Palästina und in Israel. Zum Teil wird Ihren Dörfern die Anerkennung verweigert, so dass sie keine Verkehrsanbindung, keine Postzustellung, keine Schule, keinen Strom und weder eine medizinische, noch eine Wasserversorgung erhalten. Immer wieder kommt das Militär mit Bulldozern, zerstört ihre ärmlichen Hütten oft einschließlich des Hausrats, versiegelt die Brunnen, demoliert die Zisternen und beschlagnahmt ihre Tankwagen, häufig unter dem Vorwand, dass das Gebiet zur Aufforstung durch den israelischen Nationalfonds vorgesehen sei.
Das Dorf Tawil Abu Jarwal der israelischen Beduinen wurde schon 51mal zerstört, weil die Bewohner immer wieder zurückgekehrt sind. Insgesamt sind etwa 20 Dörfer mit rund 30.000 Bewohnern von einer Zerstörung und Vertreibung bedroht. Nicht einmal 5 % des Negev will man den Beduinen lassen. Amnesty International berichtete, dass die Bewohner des Dorfes Al Araqib im vergangenen Jahr 28 mal vertrieben und ihre Behausungen zerstört wurden. Für die Räumungen hat Israel jetzt auch noch eine Forderung von 500 000 US-Dollar geltend gemacht!
Auch im Gebiet des Westjordantales haben die Zerstörungen von Häusern, Bewässerungsanlagen und landwirtschaftlichen Flächen in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Zum Beispiel wurde am 11. März 2008 die Gemüseernte und das Bewässerungssystem der Familie Mahmud Mat'ab von der israelischen Armee mit einem Volvo-Bulldozer systematisch zerstört, weil den dortigen Palästinensern der Gemüseanbau verboten ist. Nur die in der Nähe liegenden großen Agrarbetriebe der Siedler dürfen ihre Anbauflächen uneingeschränkt bewässern (und ihre Produkte nach Europa exportieren)! Das Fotodokument und der ausführliche Bericht von Amnesty International ist als PDF-Datei beigefügt. Muss man sich da nicht fragen, was das für ein Staat ist, der so etwas befiehlt und ausführen lässt. Und ob denjenigen, die so etwas ausführen, jegliche Menschlichkeit verloren gegangen ist. Aber die bedingungslosen Israel-Unterstützer empören sich nicht über das, was, wie in diesem Fall, den Palästinensern angetan wird, sondern über die Veröffentlichung solcher Berichte. Sie haben allem Anschein nach keinerlei Mitgefühl mit den Menschen, denen derartiges angetan wird.
Der israelische Journalist Gideon Levy erinnerte am 15.09.11 daran, dass Israel vor 32 Jahren im Friedensabkommen mit Ägypten zusicherte, auch "die legitimen Rechte des palästinensischen Volkes anzuerkennen" und innerhalb von 5 Jahren eine autonome Behörde in der Westbank und im Gazastreifen zu errichten. Aber nichts derartiges sei geschehen. Der frühere amerikanische Präsident Jimmy Carter hat in seinem Buch "Frieden - Nicht Apartheid" ebenfalls auf diesen Sachverhalt hingewiesen. Es ist also Israel, das den Friedensvertrag mit Ägypten gebrochen hat.
Vor 18 Jahren wurde von Israel das Oslo-Abkommen unterzeichnet, wobei von Israel zugesichert wurde, Gespräche zu führen, um mit den Palästinensern innerhalb von 5 Jahren ein Endstatusabkommen zu erreichen, einschließlich der Kernprobleme. Aber auch hier zeigte sich wieder: Israel unterschreibt alles, aber hält nichts. So sagte schon der erste israelische Ministerpräsident Ben Gurion: "Es ist unwichtig, was die Gojim (Nichtjuden) sagen. Wichtig ist nur, was die Juden tun." Und so hat Israel gleich nach Abbas Rede vor der UN verkündet, weitere 1000 Wohnungen im arabischen Ostteil von Ostjerusalem zu bauen. Aber so lange Frau Ashton im Namen der EU wie gewohnt nur protestiert und keine Sanktionen folgen, kann die israelische Regierung der Weltgemeinschaft weiterhin ungehindert ins Gesicht spucken. Abi Melzer, Vorstand der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, hat in seinem Brief an die Bundeskanzlerin vom 08. Oktober 2011 die Lage der Palästinenser eindringlich dargestellt und Frau Dr. Merkel gebeten, nicht durch ihr Schweigen mitschuldig zu werden. Es lohnt sich, den vollständigen Text in der Anlage 1 weiter unten zu lesen.
Der ägyptische Außenminister äußerte zu den Vorschlägen des sogenannten Nahost-Quartetts: Friedensgespräche seien "total absurd ... , wenn Israel in aller Seelenruhe und völlig gleichgültig gegenüber der Staatengemeinschaft den Siedlungsbau in ... der Westbank fortsetzt." Israel verändere gewaltsam den Charakter des besetzten Ostjerusalem und denke nicht daran, seine Blockade gegen den Gazastreifen aufzuheben, obwohl sie gegen internationales Völkerrecht verstoße. "Jeder, der ein Gerechtigkeitsgefühl hat", könne das sehen. - Allem Anschein nach fehlt unserer Bundeskanzlerin und ihrem Außenminister dieses Gerechtigkeitsgefühl.
Ich füge Auszüge von der Rede des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas (Anlage 2) und der Rede des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu (Anlage 3) vor der UN am 23. 9. 2011 bei. Netanjahus Rede ist noch verlogener, wie die des Shimon Peres im vergangenen Jahr vor dem deutschen Bundestag. Ich weiß nicht, ob seit Josef Goebbels irgendein Staatsmann eine derart verlogene Rede gehalten hat. Eigentlich hätten da alle wahrheitsliebenden Delegierten den Saal verlassen müssen. Da wird von Frieden und Verhandlungen geredet, aber gleichzeitig provokativ die Beschlagnahme und Besiedlung palästinensischen Landes durch neue Bauvorhaben und die Legalisierung neuer Siedlungen vorangetrieben, wie der Spiegel mehrmals berichtete.
Die Vertreibung der Palästinenser geschieht auf sehr vielfältige Weise. Oft sind es ultra-orthodoxe Juden aus dem New Yorker Stadtteil Bronx, die in die Palästinensergebiete gehen und erklären, dass Gott den Juden das Land gegeben habe, mit allem, was sich darauf befindet, also auch mit den Quellen, Brunnen, Obst- und Olivenbäumen der Palästinenser und den zur Erntezeit darauf befindlichen Früchten. Die Palästinenser werden von ihnen als Fremde bezeichnet, die eingedrungen und das Land gestohlen hätten, so dass die Tatsachen geradezu auf den Kopf gestellt werden. Aber die israelische Regierung und die Armee unterstützen und bewaffnen diese Siedler, weil sie die Ziele der Regierung umsetzen. Dabei hat die Regierung und die Armee die Kontrolle über die Siedler weitgehend verloren. Kürzlich wurden in Hebron sogar Soldaten von Siedlern angegriffen, die glaubten, dass ein illegaler Außenposten geräumt werden sollte. Wenn Siedler vom Militär oder israelischen Behörden in irgend einer Form behindert werden oder gar für illegale Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden sollen, dann rächen sie sich nicht an den verantwortlichen Israelis, sondern an irgendwelchen Palästinensern in der Nähe, die den Preis dafür bezahlen sollen. Diese perfide Handlungsweise wird dann Preisschild-Vergeltung genannt. Ist das nicht eine Schande für das Judentum?
Eine andere Vertreibungsmethode ist die Einmauerung ganzer Städte bei gleichzeitigem Entzug der Agrarflächen, also der Lebensgrundlagen. Das bekannteste Beispiel ist die Stadt Kalkilija (Qalkiliya), mit ursprünglich rd. 43 000 Einwohnern - siehe anliegende Karte als PDF-Datei aus der von Amnesty International erstellten Dokumentation "Troubled Waters" („Wassernöte" in deutscher Übersetzung). Die Bewohner leben in einem vom israelischen Militär bewachten Gefängnis und haben keine Zukunftschancen mehr, wodurch es dann zu der erwünschten, allmählichen Abwanderung kommt. - Wirklich eine menschenverachtende Methode. Oder wie sehen Sie das? Im Grunde genommen sind die Palästinenser des ganzen Westjordanlandes in vielen unterschiedlich großen Käfigen eingesperrt worden.
Einzelne Familien, die ihre Eigentumsrechte nachweisen können und den Gewalttätigkeiten bisher standgehalten haben, versucht man bisweilen mit großzügigen Angeboten zum Verkauf ihres Besitzes zu bewegen, vor allem, wenn sich radikale Siedler in palästinensische Wohngebiete, zum Beispiel in Ostjerusalem, einnisten wollen. Da werden sogar Blankoschecks vorgelegt, mit der Aufforderung, selbst den Kaufpreis einzutragen, verbunden mit dem Angebot, ihre Auswanderung in ein Land ihrer Wahl zu ermöglichen. Oft werden auch kriminelle arabische Strohmänner zwischengeschaltet. Von zwielichtigen amerikanischen Juden werden große Summen für solche Zwecke zur Verfügung gestellt. Meist sind es junge Palästinenser, die nach dem Tod ihrer Eltern auf solche Angebote eingehen, um den Schikanen und dem elenden, entwürdigenden Leben unter der israelischen Besatzung und ihrer Helfershelfer zu entgehen.
In der Nähe von Bethlehem lebt die christlich-palästinensische Familie Nassar. Deren Großvater kaufte im Jahre 1916 42 ha Land, das die Familie seither bewirtschaftet. Inzwischen ist das Land von israelischen Siedlungen umzingelt und es wird mit allen Mitteln versucht, die Familie zur Aufgabe zu zwingen und zu vertreiben. Der Leitspruch der Familie lautet: "Wir weigern uns, Feinde zu sein". Ihren Weinberg baut sie zum einem Begegnungszentrum mit der Bezeichnung „Tent of Nations – Das Zelt der Völker“ aus. Obwohl die Familie Nassar ihre Eigentumsrechte belegen kann, musste sie schon rd. 140 000 US-Dollar ausgeben, um ihre Rechte bei dem Obersten Gericht Israels geltend zu machen. Ein Ende der kostspieligen und zermürbenden Prozesse ist aber noch nicht abzusehen. "Wir Palästinenser befinden uns immer noch wie in einem dunklen Grab, doch wir haben die Hoffnung der Auferstehung und hoffen, dass die Sonne der Gerechtigkeit eines Tages bei uns scheinen wird." schrieb Daoud Nassar zum diesjährigen Osterfest.
Der Israeli Gideon Spiro schrieb am 27.05.2011: „ Wenn die syrische Armee 14 Zivilisten tötet und Dutzende an einem Tag verletzt, bringen die israelischen Medien Schlagzeilen wie „Gemetzel in Syrien“. In Israel wird dieselbe Zahl Getöteter und eine viel größere Zahl Verletzter, als zurückhaltendes Verhalten der Armee“ bezeichnet. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie unsere Sprache gewaschen wird.“ ... „Juden ist ihr Besitz, der ihnen von üblen Regimes gestohlen wurde, wieder erstattet worden. Sie können in ihr Ursprungsland in Polen, Deutschland, Rumänien, Marokko und Tunesien zurückkehren und dort leben. Aber den Palästinensern wird nicht einmal erlaubt, ihre Dörfer und Städte zu besuchen, in denen sie bis vor 63 Jahren gelebt haben, noch bekommen sie eine Entschädigung für ihren Besitz. Das ist eine Demokratie nach israelischem Vorbild.“
Man könnte angesichts der unverminderten israelischen Kolonialpolitik jegliche Hoffnung auf eine Friedenslösung verlieren, aber die damals letzte Kolonialmacht Frankreich hat auch einmal Algerien als festen Bestandteil seines Territoriums betrachtet, bis nach langen blutigen Kämpfen von 1954 bis 1962 das algerische Volk seine Freiheit erlangen konnte. Die rund 800.000 französischen Siedler mussten schließlich das Land verlassen. - Leider will Israel die Zeichen der Zeit nicht erkennen.
Papst Benedikt XVI mahnte in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag: "Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Frieden schaffen. ... Der Erfolg ist dem Maßstab der Gerechtigkeit, dem Willen zum Recht und dem Verstehen für das Recht untergeordnet ... ." Der Papst zitierte auch den Heiligen Augustinus (354 - 430): "Nimm das Recht weg - was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande." - Auf welchen heutigen Staat könnte das gemünzt sein?
Abschließend noch eine Meldung aus dem von der Bundeskanzlerin als Stabilitätsfaktor gelobten Saudi Arabien. Dort wurde am 27. 9. 2011 eine Frau zu zehn Peitschenhieben verurteilt, weil sie am Steuer eines Autos gesessen hatte. (Quelle: Junge Welt vom 29. Sept. 2011)
Anlage 1 -
Abi Melzer - Vorstand der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost -
An die Bundeskanzlerin Angela Merkel - Bundeskanzleramt - Willy-Brandt-Strasse 1 - 10557 Berlin –
8. Oktober,2011
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
der palästinensische Präsident Mahmud Abbas hat seine Rede vor der UN-Generalversammlung mit folgenden Worten beendet: Genug, genug, genug. Dies waren nicht zufällig auch die Worte Yitzhak Rabins in Washington 1993. Wie lange soll das palästinensische Volk noch leiden, und wie lange will die Welt noch untätig bleiben und zum gewaltigen Unrecht der israelischen Besatzung schweigen?
Auch Sie, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
schweigen zu diesem Unrecht und machen sich damit mitschuldig. Auch Sie wissen vom Unrecht und den nicht enden wollenden israelischen Provokationen. Auch wenn Sie bei Ihrem Telefonat mit Benjamin Netanjahu ihren Unmut geäußert haben sollen, wird das nichts ändern. Inzwischen müssten Sie wissen, wie wenig Ihr Unmut Netanjahu berührt. Ihn interessiert die Meinung Präsident Obamas nicht, noch viel weniger die Meinung Deutschlands.
Nach Presseberichten will Israel, dass die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) ihren Antrag auf UN-Mitgliedschaft zurückzieht und das Nahost-Quartett seinen Zeitplan korrigiert. Man soll sich wohl auf den Zeitplan von Avigdor Lieberman, Israels rechtsradikalem Außenminister, einlassen, der „nicht einmal in neunundneunzig Jahren“ einen Palästinenserstaat gegründet sehen will. Und Sie, Frau Merkel, machen da mit. Sie lassen Israel in diesem Wahnsinn und üben stattdessen auf Abbas Druck aus, seinen Plan einzustampfen. Warum?
Haben die Palästinenser etwa kein Recht auf einen eigenen Staat? Ist ihnen dieses denn nicht schon längst von der UN zugesprochen worden, nämlich in der UN-Resolution 181? Was muss denn noch passieren, bis auch Sie merken, dass Israel kein Interesse an ernsthaften Gesprächen hat? Aus der so genannten „Roadmap“, der Straße zum Frieden, ist doch längst ein Kreisverkehr geworden, eine unendliche Geschichte, in der man immer neu anfängt, weil die Gespräche kein Ende finden.
War denn die jüngste Genehmigung für den Bau von weiteren 1.100 Wohnungen in Gilo nicht eine schallende Ohrfeige auch in Ihr Gesicht? Haben Sie sich nicht bemüht, die Gespräche wieder in Gang zu bringen, die nun wieder in einer Sackgasse gelandet sind? Wie viele Ohrfeigen wollen Sie sich bei Netanjahu und Lieberman denn noch abholen?
Und haben die Palästinenser nicht Recht, wenn sie vor der Aufnahme neuer Gespräche einen sofortigen Baustopp und die Anerkennung der Grenze von 1967 zur Bedingung machen? Sollen sie etwa so lange mit den Israelis über ein freies, unabhängiges Palästina verhandeln, bis nichts mehr davon übrig geblieben ist? Und sollen die Palästinenser etwa die rechtswidrig annektierten Gebiete als Ausgangspunkt für Verhandlungen akzeptieren und damit den zusätzlichen israelischen Landraub akzeptieren? Sollen sie sich am Ende bei den „großzügigen“ Israelis bedanken, wenn diese Land zurückgeben, das ihnen gar nicht gehört? Es ist wie mit der Pizza, über deren Verteilung man streitet, während eine der Parteien sie Stück für Stück aufisst, bis nichts mehr davon übrig bleibt.
„Es gibt keine Abkürzung auf dem Weg zu einem unabhängigen Staat“, mahnte US-Präsident Obama, und Ihr Außenminister Westerwelle nickte zustimmend. Die Palästinenser warten schon seit 62 Jahren auf einen eigenen Staat, wie kann man da von einer „Abkürzung“ sprechen ? Andere Staaten sind schon innerhalb von 62 Stunden von der UN akzeptiert worden, so zum Beispiel der Südsudan.
Was sollen die Palästinenser denn noch tun, um von Deutschland anerkannt zu werden? Wenn Sie heute die unverschämte Antwort Netanjahus, dass Gilo ein Stadtviertel „im Herzen Jerusalems“ sei , stillschweigend akzeptieren, dann werden Sie morgen hören, dass Judäa und Samaria Gebiete im Herzen Eretz Israels seien. Eigentlich ist es schon bald soweit, wenn noch in diesem Monat Netanjahus Partei die Gesetzesvorlage in der Knesset einbringen wird, Judäa und Samaria, die komplette Westbank also, zu annektieren und unter israelische Flagge zu stellen, und die Knesset dies mit ihrer Mehrheit akzeptiert.
Was werden Sie dann tun, sehr geehrte Frau Dr. Merkel? Werden Sie es akzeptieren, so wie Chamberlain 1938 die Annexion der Tschechoslowakei akzeptierte? Oder werden Sie nur wieder verstimmt sein, und es wird Ihnen „jegliches Verständnis“ fehlen? Haben wir überhaupt noch Zeit, es bei dieser „Verstimmung“ zu belassen? Oder wollen Sie so lange warten, bis die rechtsradikalen Siedler das wahr machen, was ihre rassistischen Führer schon längst angekündigt haben, nämlich „to transform the Palestinian population into another Srebrenica“?
Damals, 1995, blieben die holländischen UN-Soldaten in ihren Kasernen und sahen zu, wie fast zehntausend Bosnier umgebracht wurden.
Am 24. September haben Siedler einen unbewaffneten Palästinenser, Vater von fünf Kindern, getötet. Augenzeugen beschrieben die Tötung Issam Badrans, 37 Jahre alt, als kaltblütigen Mord. Inzwischen ist im Norden Israels eine Moschee in Brand gesetzt worden. Am Vorabend des jüdischen Neujahrstages attackierten jüdische nationalreligiöse Siedler einen Palästinenser und eine Gruppe israelischer, sich mit ihm solidarisierender Friedensaktivisten, und schlugen sie fast tot. Die Polizei ließ es geschehen. Die Armee blieb in ihren Kasernen. Die israelische Journalistin Dorit Eldar kommentierte: „Was am Abend des Neujahrsfestes bei der Einfahrt in die Siedlung Anatot geschah, war ein Pogrom. Es gibt keine andere Bezeichnung für ein Ereignis, bei dem Hunderte aggressive Männer stundenlang eine kleine Gruppe gewaltloser Friedensaktivisten verfolgt und mit Steinen, Rohren und Messern attackiert haben.“ Enteignung von Land, Vertreibung, Tötung und Verletzung sind Alltag in den besetzten Gebieten geworden. Die Siedler führen unter den Augen der untätigen israelischen Polizei und Armee ihre Selbstjustiz durch, und der Rechtsstaat Israel, „die einzige Demokratie im Nahen Osten“, schweigt dazu. Es ist höchste Zeit, dass die Weltgemeinschaft die Verantwortlichen für dieses Geschehen in Den Haag vor Gericht stellt.
Der Nahostkonflikt ist kein gewöhnlicher Konflikt. Er wird von Emotionen beherrscht, von Rassismus und gegenseitigem Hass. Die Lösung muss aber rational sein, gestützt auf moralische Prinzipien und das Völkerrecht. Das Ziel eines „araberfreien“ jüdischen Staates geht schon aus den Aussagen der ersten Zionisten, lange vor der Staatsgründung Israels, hervor. Schon Theodor Herzl, der Gründer des politischen Zionismus, schrieb in sein Tagebuch: „Die mittellose (arabische) Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu bringen.“ Danach „trachtet“ man in Israel noch immer, und die nationale Partei „Moledet“ würde lieber heute als morgen alle Araber aus Israel vertreiben. Sie nennt das „Transfer“, und dieser ist ein wesentlicher Teil ihres Parteiprogramms.
Die Vorstellung, man könnte alle Palästinenser „transferieren“, ist immer noch lebendig im real existierenden Zionismus, und wenn Israel nicht endlich gebremst wird, kann es eines Tages passieren, dass Israel tatsächlich versucht, die palästinensische Bevölkerung mit Gewalt über den Jordan zu drängen. Israels Außenminister Lieberman würde da sofort mitmachen. Was das bedeuten würde, brauche ich Ihnen, sehr geehrte Frau Dr. Merkel, nicht zu sagen.
Die Duldung Israels illegaler und verbrecherischer Besatzungspolitik durch die deutsche Regierung, die Duldung einer rechtsextremen, fundamentalistischen Politik, die jeglichen Friedensverhandlungen im Wege steht und das Leben beider Völker in der Region gefährdet, vielleicht aber auch die Sicherheit Europas, ist nicht der passende Ausdruck für die Sorgen und die historische Verantwortung, die Deutschland für das Land und seine Bevölkerung trägt. Wenn die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson ist, wäre die Anerkennung eines freien Staates Palästina und seine Aufnahme in die Weltstaatengemeinschaft ein angemessener Akt, um dieser Verantwortung für das Schicksal beider Völker der Region gerecht zu werden.
Der jüdische Publizist Prof. Micha Brumlik schrieb erst vor wenigen Tagen in der taz: „Nimmt man zudem zur Kenntnis, dass die einst hochprofessionelle israelische Armee mit mehr als 40 Prozent religiöser Männer im Offizierskorps, die im Zweifelsfall ihren Rabbinern eher gehorcht als der politischen Führung, zu einer „Pasdaran“-Armee mutiert, wie sie im Iran existiert, so wird verständlich, warum diese Gruppen nicht den geringsten Anlass haben, irgendwelche Kompromisse einzugehen.“ Netanjahu fürchtet sich mehr vor diesen aggressiven, rechtsradikalen Siedlern als vor Barack Obama oder vor Ihnen, sehr geehrte Frau Merkel.
Helfen Sie ihm daher. Hilfe kann nur noch von außen kommen, meinen inzwischen viele Israelis. Helfen Sie, Frau Bundeskanzlerin , wenn die Sicherheit bzw. die Existenz Israels für Sie „deutsche Staatsräson“ ist, bevor es zu spät wird.
Anlage 2 -
Ausschnitte aus der Rede Mahmud Abbas vor der UN, 23.9.2011
Abbas zählt nach den entsprechenden Grußworten die Bemühungen der Palästinensischen Autorität und die zunehmenden Verletzungen aller getroffenen Resolutionen durch die israelische Regierung und Besatzungsmacht auf, die das Leben der Menschen in den besetzten Gebieten und der Palästinenser in den zu Israel gehörenden Ländern immer schwieriger macht.
„Die Berichte der Kommissionen der Vereinten Nationen, ebenso die verschiedener israelischer Institutionen und bürgerrechtlicher Gesellschaften decken ein erschreckendes Bild bezüglich des Umfangs der Siedlungs-Kampagne auf, auf das die israelische Regierung nicht zögert, noch stolz zu sein, und das sie kontinuierlich weiter ausführt….
Ich versichere im Auftrag der Palästinensischen Befreiungsbewegung, der einzigen legitimen Vertretung des palästinensischen Volkes, die bis zum Ende dieses Konfliktes in all´ seinen Aspekten und bis zur Lösung aller endgültigen Statusfragen bestehen wird, Folgendes:
1. Das Ziel des palästinensischen Volkes ist die Verwirklichung ihrer unabhängigen nationalen Rechte in einem unabhängigen Staat Palästina, mit Ost-Jerusalem als seiner Hauptstadt, auf allem Land der West-Bank, einschließlich Ost-Jerusalems, des Gaza-Streifens, das Israel im Junikrieg 1967 beschlagnahmte, in Übereinstimmung mit den Resolutionen der internationalen Gremien und unter der Erreichung einer gerechten und zustimmungsfähigen Lösung für die Angelegenheiten der palästinensischen Flüchtlinge, in Übereinstimmung mit Resolution 194, die in die arabische Friedensinitiative aufgenommen wurde, um die Kernprobleme des arabisch-israelischen Konfliktes zu lösen und einen gerechten und allumfassenden Frieden zu erreichen. Um diesen erwünschten Frieden zu erreichen, ist es ebenso erforderlich, die politischen Häftlinge und Gefangenen aus den israelischen Gefängnissen ohne Verzögerung zu entlassen.
2. Die PLO und das palästinensische Volk bleiben fest im Widerruf jeder Gewalt und in der Zurückweisung und Verurteilung des Terrorismus in allen seinen Formen, besonders des Staatsterrorismus, und halten an allen Übereinkünften zwischen der Palästinensischen Befreiungsbewegung und Israel fest.
3. Wir halten an der Möglichkeit fest, eine dauerhafte Lösung des Konfliktes auszuhandeln, in Übereinstimmung mit den Resolutionen der Vereinten Nationen. Ich erkläre hier, dass die Palästinensische Befreiungsbewegung bereit ist, sofort an den Verhandlungstisch zurück zu kehren, auf der Grundlage der bereits angenommenen Referenzen internationaler Legitimität und einer vollständigen Einstellung der Siedlungsaktivitäten.
4. Unser Volk wird seinen friedlichen Widerstand gegen die israelische Besatzung und ihre Siedlungen und Apartheidpraktiken, sowie den Bau der rassistischen Trennungsmauer fortsetzen, und es wird Unterstützung für seinen Widerstand erhalten, der im Einklang ist mit dem internationalen Menschenrecht und internationalen Konventionen, und der die Unterstützung durch Friedensaktivisten aus Israel und der ganzen Welt findet …
5. Wenn wir unser Anliegen und unseren Fall vor dieses internationale Gremium bringen, so ist das eine Bestätigung unserer Bindung an politische und diplomatische Optionen, und es ist eine Bestätigung, dass wir nicht einseitige Schritte unternehmen. Unsere Anstrengungen zielen nicht auf eine Isolierung Israels oder seine Delegitimierung; hingegen wollen wir Legitimität für die Sache des palästinensischen Volkes gewinnen. Wir streben nur danach, die Siedlungsaktivitäten, die Besatzung, die Apartheid und die Logik der gnadenlosen Gewalt zu delegitimieren, und wir glauben, dass alle Länder dieser Erde in dieser Frage unsere Ansicht teilen.
Ich bin hier, um im Namen des palästinensischen Volkes und der palästinensischen Befreiungsbewegung zu sagen: Wir strecken unsere Hände der israelischen Regierung und dem israelischen Volk entgegen, um den Frieden zu stiften. Ich sage zu ihnen: Lasst uns dringend gemeinsam eine Zukunft für unsere Kinder aufbauen, in der diese Freiheit, Sicherheit und Wohlstand genießen können…
Trotz des nicht zu hinterfragenden Rechts unseres Volkes auf Selbstbestimmung und auf Unabhängigkeit unseres Staates, wie es in den internationalen Resolutionen niedergelegt ist, haben wir in den letzten paar Jahren geduldet, was uns als Test für unsere Glaubwürdigkeit, unser Engagement und unsere Vertrauenswürdigkeit erschien. Während der letzten zwei Jahre hat unsere nationale Verwaltung ein Programm auf den Weg gebracht, unsere staatlichen Institutionen aufzubauen. Trotz der außergewöhnlichen Situation und der auferlegten israelischen Hindernisse, wurde ein wahrhaft umfangreiches Projekt gestartet, das die Umsetzung der Pläne einschloss, das Rechtssystem zu stärken und weiter zu entwickeln: den Apparat zur Aufrechterhaltung der Ordnung und der Sicherheit, die Verwaltung, das Finanz- und Kontrollsystem, um die Leistungsfähigkeit der Institutionen zu verbessern, und die Selbstständigkeit zu fördern, um den Bedarf an fremder Hilfe zu reduzieren. Mit der dankenswerten Unterstützung der arabischen Länder und den Spenden freundlich gesinnter Länder, wurden eine Anzahl großer Infrastrukturprojekte ins Werk gesetzt, die sich auf verschiedene Bereiche der Verwaltung richteten, mit besonderer Aufmerksamkeit auf ländliche und randständige Gebiete.
Als Zersplitterung die Einheit unseres Heimatlandes, das Volk und die Institutionen traf, waren wir entschlossen, das Gespräch aufzunehmen, um unsere Einheit wieder herzustellen. Wir waren vor Monaten erfolgreich, eine nationale Versöhnung zu erreichen und wir hoffen, dass deren Verwirklichung sich in den kommenden Wochen beschleunigt. Die Hauptsäule der Versöhnung war, sich innerhalb eines Jahres durch Wahlen der Legislative und des Präsidenten an das Volk zu wenden, weil der Staat den wir wünschen, ein Rechtsstaat sein soll, charakterisiert durch die Regelung durch Gesetze, demokratisches Verfahren und den Schutz der Freiheiten und der Gleichheit aller Bürger ohne jegliche Diskriminierung; Machtwechsel bestimmt die Wahlurne.
Die kürzlich veröffentlichten Berichte der Vereinten Nationen, der Weltbank, des Ad Hoc Liaison Komitees (AHLC) und des Internationalen Währungsfonds bestätigen und begrüßen, was wir erreicht haben, indem sie es als bemerkenswertes und einmaliges Modell betrachten.
Es ist nicht länger möglich, den Abschluss von Friedensverhandlungen zu blockieren, mit den gleichen Mitteln und Methoden, die wiederholt versucht wurden und sich über den Verlauf der letzten Jahre als nicht erfolgreich erwiesen haben. Die Krise ist viel zu ausgeprägt, um weiter unbeachtet zu bleiben, und was noch gefährlicher ist, sind Versuche, sie einfach zu umgehen oder ihren Ausbruch zu verzögern.
Es ist weder möglich, noch praktisch, noch akzeptabel, zu einem Business-as-usual zurück zu kehren, so als ob alles in Ordnung sei.
Nun kommt das Moment der Wahrheit und mein Volk wartet auf die Antwort der Welt. Wird sie Israel erlauben, seine Besatzung fortzusetzen, die einzige Besatzung auf dieser Welt? Wird sie Israel erlauben, ein Staat über dem Recht und der Vertrauenswürdigkeit zu bleiben? Wird sie Israel erlauben, fortgesetzt die Resolutionen des Sicherheitsrates und der Generalversammlung der Vereinten Nationen und des Internationalen Gerichtshofes und die Haltung der überwältigenden Mehrzahl der Länder dieser Erde zurückzuweisen.
Mein Volk wünscht, ein normales Leben führen zu können, wie der Rest der Menschheit. Sie glauben, was der große Dichter Mahmoud Darwish sagte: Hier bleiben, dauerhaft hier, ewig hier bleiben und wir haben ein Ziel, eins: zu sein. (…)
Ihre Unterstützung für die Errichtung eines Palästinensischen Staates und den Beitritt zu den Vereinten Nationen als Vollmitglied, ist der größte Beitrag zur Schaffung des Friedens im Heiligen Land. ( dt. gekürzt: Gerhilde Merz)
Abi Melzer - Vorstand der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost
Anlage 3 -
Auszüge aus der Rede von Benjamin Netanjahu vor der UN am 23. 9. 2011
Sehr verehrte Damen und Herre,
Israel hat seit Beginn seiner Errichtung vor 63 Jahren seine Hand zum Frieden ausgestreckt.
Im Namen Israels und des jüdischen Volkes strecke ich heute wieder meine Hand aus. Ich reiche meine Hand dem ägyptischen und jordanischen Volk …
Aber ganz besonders reiche ich meine Hand dem palästinensischen Volk, mit dem wir einen gerechten und anhaltenden Frieden suchen.
… In Israel ist unsere Hoffnung auf Frieden nie verschwunden. Unsere Wissenschaftler, Mediziner … helfen, die Welt von morgen zu verbessern. Unsere Künstler, unsere Schriftsteller bereichern das Menschheitserbe. Ich weiß dass dies nicht genau des Image Israels ist, wie es in diesen Hallen dargestellt wird. Schließlich wurde es hier 1975 - nachdem es nach Jahrhunderte langem Sehnen meines Volkes, unser nationales Leben in unserer alten biblischen Heimat wieder herzustellen – dies schändlicher Weise als Rassismus gebrandmarkt wurde. Und es war 1980 genau hier, dass das historische Friedensabkommen mit Ägypten nicht gelobt, sondern denunziert wurde.
Und es ist hier, wo Jahr um Jahr Israel ungerecht zur Verurteilung ausgewählt wird…. 21 von 27 Resolutionen der UN-Vollversammlung verurteilen Israel – und dabei ist es die einzige Demokratie im Nahen Osten.
Hier in der UN entscheiden also automatisch Mehrheiten über alles. Sie können darüber entscheiden, dass die Sonne im Westen aufgeht und im Westen untergeht … Sie können auch entscheiden, dass die Klagemauer in Jerusalem, die heiligste Stätte der Juden besetztes palästinensisches Gebiet ist …..
Als Israels Ministerpräsident kam ich nicht hierher, um Applaus zu bekommen. Ich kam hierher, um die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit ist, dass Israel Frieden wünscht. Die Wahrheit ist, dass ich Frieden wünsche. Die Wahrheit ist, dass im Nahen Osten zu allen Zeiten, aber besonders während dieser turbulenten Zeiten der Frieden in Sicherheit verankert sein muss. Die Wahrheit ist, dass wir nicht durch UN-Resolutionen den Frieden erreichen können, sondern nur durch direkte Verhandlungen zwischen den Parteien. Die Wahrheit ist, dass die Palästinenser bis jetzt sich weigerten zu verhandeln. Die Wahrheit ist, dass Israel mit einem palästinensischen Staat Frieden wünscht – die Palästinenser aber einen Staat ohne Frieden wünschen. Und die Wahrheit ist, dass Sie (UN) dies nicht zulassen sollten etc. etc.
( so geht das über 8 Seiten ER)
Und dazu ein Kommentar von Marc Ellis ( jüdischer Theologe , USA)
„Ich will hier gar nicht erst versuchen, mich bei der UN-Rede von Israels Ministerpräsident Netanjahu aufzuhalten. Sie war schlimmer als die Rede von Obama. Viel schlimmer. Eine Schande." …. Aus Marc Ellis Klagegesang zu Rosh Hashana. (mondoprint.wordpress.com)
(dt. Ellen Rohlfs)