Die Waffen nieder!

Eine antimilitaristische Antwort auf Lena Rackwitz' Artikel
„Zu den Waffen, Genossen“, Jungle World 24, 14.6.2018

von Dr. phil. Bernd Drücke

Die taz druckt regelmäßig ganzseitige Bundeswehr-Propaganda ab. Diesen Verrat an ihren einst antimilitaristischen Positionen lässt sie sich immerhin von Frau von der Leyen gut bezahlen. Die Jungle World dagegen druckt kostenlos ganzseitige Werbung für die Wiedereinführung der „Wehrpflicht“ ab und zahlt dafür auch noch Zeilengeld.

Der am 14. Juni 2018 in der Jungle World 24 abgedruckte Artikel „Zu den Waffen, Genossen“ von Lena Rackwitz ist nicht als Witz gemeint, sondern blutiger Ernst. Die Autorin fordert eine „Volksbewaffnung“ und die „Wiedereinführung der Wehrpflicht“. Sie dürfte damit für Verzückung sorgen, bei Waffenhändlern, der Rüstungsindustrie, bei Kriegsstrategen und der einzigen im Bundestag vertretenen Partei, die offiziell und vehement die „Wiedereinführung der Wehrpflicht“ auf ihre blauen Fahnen geschmiert hat, der AfD.

Rackwitz möchte, dass in Deutschland wieder zigtausende junge Menschen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Diese Position ist reaktionär und menschenfeindlich. Endlich tut uns Antimilitarist*innen mal jemand den Gefallen, den aktuellen marxistischen Militarismus schriftlich und in erschreckender Ahnungslosigkeit und Menschenverachtung zu präsentieren. Danke, Frau Rackwitz! Und danke, Jungle World, Du bist vielleicht die einzige linke Zeitschrift in Deutschland, die einen solch zusammengestoppelten Unsinn abdruckt.

Zunächst etwas zur Klärung. „Wehrpflicht“ und „Wehrdienst“ sind militaristische Propagandabegriffe, die kaschieren sollen, dass es sich um Kriegsdienst handelt. Oder glaubt jemand, dass es bei den neoimperialistischen Kriegen, an denen sich die Bundeswehr seit dem NATO-Angriffskrieg gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien 1999 beteiligt, um „Verteidigung“ geht?

Die „Wehrpflicht“ wurde nicht, wie von Rackwitz behauptet, abgeschafft, sondern seit 2011 lediglich ausgesetzt. Dass es dazu kam, ist erfreulich für Menschenrechtsaktivist*innen, für die jeder Zwangsdienst ein Angriff auf die Würde des Menschen ist.

In der Zeit vom 1. Januar 2002 bis 31. Dezember 2012 sind bei den zuständigen Behörden insgesamt 1.179.691 Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer eingegangen. Davon waren 31.985 Anträge von Soldat*innen. Der Kriegsdienst ist also unpopulär. Gut so. Auch mit der Aussetzung der „allgemeinen Wehrpflicht“ ist die Kriegsdienstverweigerung aber nicht obsolet geworden.

Trotz der vielen Millionen Euro, die das „Verteidigungsministerium“ in Bundeswehr-Werbekampagnen steckt, fällt es den Werbern schwer, die von den Militärs angestrebte Zahl von zukünftigen Berufssoldat*innen zu rekrutieren. Kaum jemand möchte das Mordhandwerk bei der Bundeswehr lernen, um anschließend im Sinne deutscher Kapitalinteressen in vielen Ländern der Welt auf Befehl zu morden, selbst verstümmelt oder getötet zu werden.

Skrupellos wird deshalb massiv in Schulen, Zeitungen, Sozialen Netzwerken, bei Spielemessen und Stadtfesten Werbung für den Militärdienst bei der Bundeswehr gemacht. Dabei wird von den Werbern der Kriegsdienst als aufregendes Abenteuerspiel verklärt. Offensichtlich fruchtet die manipulative Werbung vor allem bei jungen, noch unerfahrenen Menschen. Seit 2011 hat sich die Zahl der Minderjährigen bei der Bundeswehr verdreifacht. Mehr Kindersoldaten als heute gab es in Deutschland wahrscheinlich zuletzt in den Tagen des „Volkssturms“ am Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Verpflichtungen von Minderjährigen seit Aussetzen der „Wehrpflicht“ sind kontinuierlich angewachsen, laut Spiegel vom 9. Januar 2018 von 689 im Jahr 2011 auf den bisherigen Rekordwert von 1907 im Jahr 2016 und nun erneut auf 2128. „Krieg ist ein gutes Geschäft, investiert eure Kinder!“, könnte man da den Eltern der jugendlichen Soldat*innen zurufen.

Rackwitz behauptet: „Seit der Abschaffung der Wehrpflicht steigt die Zahl der Nationalrevolutionäre, Nationalkonservativen und Islamisten in der Bundeswehr.“

Tatsächlich wurde die Bundeswehr mehr als zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst unter dem Namen „Neue Wehrmacht“ von ehemaligen Nazioffizieren gegründet. Sie stellte sich seit ihrer Gründung in die Tradition des deutschen Militarismus und war von Anfang an ein extrem patriarchalischer Männerbund und Tummelplatz für Nazis und andere Menschen mit menschenfeindlichen Ansichten.

Das liegt in der Natur der Sache. Ohne den von den Preußen übernommenen Militarismus des Deutschen Reiches, den Kadavergehorsam und die militaristische Prügelpädagogik, die schon aus kleinen Jungen anal autoritäre Zwangscharaktere machte, ist die Entstehung des Nationalsozialismus nicht zu verstehen. Wer den Militarismus als eine der wichtigen Quellen des Faschismus ausblendet, betreibt Geschichtsklitterung.

So wie Rackwitz, wenn sie behauptet „Um eine Faschisierung der Armee zu verhindern, bedarf es einer radikalen wehrpolitischen Wende in der Linken“.

Rackwitz blendet aus, dass das Militär eine Sozialisationsinstanz ist, die den Militaristen aller Couleur als „Schule der Nation“ gilt. Rackwitz‘ Forderung, Linke sollten zur Armee, ist absurd: Niemand ist Linke*r aufgrund der Gene, sondern „der Mensch“ ist laut Marx ein „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“. Das heißt, das Militär zieht nicht nur Rechte an, sondern es zieht auch Rechte heran, es macht aus „unpolitischen“ Menschen Soldaten, denen die Notwendigkeit einer Hierarchie, der Reiz von Uniformen, die Nation als entscheidende politische Einheit nicht hinterfragbar ist. Die Armee ist eine rechte Institution, die den Charakter junger Menschen verderben kann.

Wenn wir die Faschisierung der Armee also beenden wollen, sollten wir dem Militär keine weiteren Befehlsempfänger*innen beisteuern, sondern stattdessen dem Beispiel Costa Ricas folgen und die Armee endlich wieder abschaffen.

Aus meiner Sicht hätte das Land, das zwei Weltkriege mit zusammen über 70 Millionen Toten zu verantworten hat, nach dem Zweiten Weltkrieg nie wieder bewaffnet werden dürfen. „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“, die Parole, mit der nach dem Zweiten Weltkrieg auch gegen die deutsche Remilitarisierung und Wiedereinführung des Kriegsdienstes demonstriert wurde, bleibt aktuell. Erst recht in Zeiten, in denen Deutschland zu den fünf größten Waffenexporteuren der Welt gehört und die Rüstungsindustrie und ihre Kriegsstrateg*innen eine massive Aufrüstung für weitere „Kriegsabenteuer“ anstreben.

„Viele Linke wissen heute nicht mehr, dass die Forderung nach einer allgemeinen Wehrpflicht beziehungsweise einer 'Volksbewaffnung' im 19. und 20.  Jahrhundert eine linke Kernposition war“, schreibt Rackwitz. Sie fordert, dass die Linke ihre ablehnende Haltung gegen die Bundeswehr überdenken soll. Die „alte Forderung nach einer 'Volksbewaffnung' solle aufgegriffen“ werden und dem durch die „Forderung nach Wiedereinführung der Wehrpflicht Nachdruck“ verliehen werden. „Dies wäre nicht nur im Hinblick auf die Verhinderung einer sich faschisierenden Berufsarmee sinnvoll, sondern auch im Hinblick auf eine Stärkung der militärischen Kompetenz der Linken. Auch wenn im Augenblick keine Revolution zu erwarten ist, wäre die Wehrpflicht sinnvoll, um die eigenen analytischen Fähigkeiten zu stärken, etwa beim Umgang mit bewaffneten Konflikten.“

Ob Kriegsdienstpflichtige militärische Kompetenz und analytische Fähigkeiten in der Bundeswehr zur Lösung bewaffneter Konflikte erwerben können, darf bezweifelt werden. Aber es sind die Studien der Friedensforschungsinstitute aus denen man erfahren kann, dass es gerade der nicht bewaffnete Widerstand aus der Bevölkerung ist, der zu langfristigen friedlichen Lösungen von kriegerischen Konflikten führen kann.

Ich wünsche mir statt der Vorschläge von Rackwitz eine Stärkung der antimilitaristischen Kompetenz und unterstütze die Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aller Kriegsparteien. Offensichtlich haben militaristisch denkende Menschen wie Rackwitz noch nichts aus der Geschichte gelernt. Sie wissen weder, dass den deutschen Offizieren zu Beginn des Ersten Weltkriegs vom Geheimdienst „Anarchistenlisten“ übergeben wurden, damit sie die zum militärischen Zwangsdienst herangezogenen linksradikalen Soldaten als Kanonenfutter in die ersten Reihen schicken konnten. Der häufigste Grund für die Kriminalisierung anarchistischer Gruppen im militaristischen Deutschen Reich war ihr Antimilitarismus, der nicht zuletzt im Symbol des Zerbrochenen Gewehrs, in Blockaden, im Sabotieren von Kriegsgerät und in Desertionsaufrufen zum Ausdruck kam.

Für Kurt Tucholsky und andere Antimilitarist*innen war die Dominanz des Militärischen eine Ursache für den deutschen Untertanengeist, der emanzipatorische Entwicklungen behinderte. Nach Ende des Ersten Weltkrieges machten Antimilitarist*innen den preußischen Militarismus auch für die katastrophalen Zustände an der Front verantwortlich. Tucholsky stellte damals klar: „Worauf es uns ankommt, ist dies: den Deutschen, unsern Landsleuten, den Knechtsgeist auszutreiben.“

Der Anarchopazifist Ernst Friedrich verweigerte im Ersten Weltkrieg den Kriegsdienst aus Gewissensgründen. Da er sich weigerte, eine Uniform anzuziehen, wurde er in eine „Irrenanstalt“ zwangseingewiesen. Wegen Sabotage in einem kriegswichtigen Betrieb wurde er 1917 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. 1924 formulierte er in seinem Buch „Krieg dem Kriege“: „Der Generalstreik sei die erste Waffe! Die Männer werden den Dienst verweigern! Das wahre Heldentum liegt nicht im Morden, sondern in der Weigerung den Mord zu tun!“

Natürlich gab es in der Geschichte der etatistischen Linken unzählige Militaristen. Auch das liegt in der Natur der Sache. Wer keine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, sondern eine Diktatur (der Partei) anstrebt, braucht den Militarismus, um seine Ziele durchzusetzen. Ähnlich wie heute Rackwitz, empfahlen in den 1970ern die K-Gruppen ihren Jüngern zum olivgrünen Bund zu gehen, um sich fit zu machen für den bevorstehenden „Klassenkampf mit der Waffe“. Damals wie heute sträubten sich bei den anarchistischen Antimilitarist*innen die Nackenhaare. Den meisten Menschen dürfte heute klar sein, dass der Marsch durch die militärischen Institutionen auch aus Linken Befehlsempfänger, aber keine Revolutionäre macht.

Zur Revolution haben die Aufrufe des KB nicht geführt und wird auch Lena Rackwitz‘ Aufruf nicht führen. Das Revolutionsverständnis von Rackwitz ist nicht emanzipatorisch, sondern eine grausame Gewaltfantasie vom bewaffneten Aufstand. Dieser steht hierzulande nicht auf der Agenda. Und das ist gut so.

Wohin die Realisierung ihrer Forderung nach „Volksbewaffnung“ führen würde, können wir erahnen, wenn wir einen Blick Richtung USA werfen. Dort besitzen mehr Menschen Schusswaffen als in jedem anderen Land der Welt. Eine Revolution ist dort trotz umfassender Volksbewaffnung nicht in Sicht. Stattdessen gibt es kein Land, in dem so viele Schulmassaker und Morde verübt werden. Mit Revolution hat das nichts zu tun. Im Gegenteil: „Je mehr Gewalt, desto weniger Revolution“, wusste schon der Anarchist Bart de Ligt.

Rackwitz Volksbewaffnungsthesen erinnern an die Politik der Waffenlobby in den USA. Die National Rifle Association (NRA) ist für Waffenkult, Volksbewaffnung und Blutbäder in den USA mitverantwortlich. Ihr mächtigster Lobbyist sitzt im Weißen Haus und kann die Welt mit einem Knopfdruck pulverisieren. Das wäre dann die zu Ende gedachte Konsequenz des Waffenfetischismus.

Nein, Frau Rackwitz, da streue ich lieber Sand in den Tank des Militarismus, rufe alle Soldat*innen zur Desertion auf, organisiere Gelöbnixe, fordere ein Ende aller Waffenexporte, die Abschaffung aller Armeen und halte es ansonsten mit Albert Einstein. Der wusste schon vor 80 Jahren: „Wenn einer mit Vergnügen zu einer Musik in Reih und Glied marschieren kann, dann verachte ich ihn schon; er hat sein großes Gehirn nur aus Irrtum bekommen, da für ihn das Rückenmark schon völlig genügen würde. Diesen Schandfleck der Zivilisation sollte man so schnell wie möglich zum Verschwinden bringen. Heldentum auf Kommando, sinnlose Gewalttat und die leidige Vaterländerei – wie glühend hasse ich sie, wie gemein und verächtlich erscheint mir der Krieg; ich möchte mich lieber in Stücke schlagen lassen, als mich an einem so elenden Tun beteiligen! Töten im Krieg ist nach meiner Auffassung um nichts besser als gewöhnlicher Mord.“

Statt „Zu den Waffen, Genossen“ ist heute Bertha von Suttners Ruf aktueller denn je: „Die Waffen nieder!“

Dr. phil. Bernd Drücke ist Soziologe und Redakteur der anarchistisch-antimilitaristischen Monatszeitschrift Graswurzelrevolution.