Der Parlamentsvorbehalt wird abgeschafft
Schritt für Schritt und unter selbstgeschaffenen Vorwänden
von Jascha Jaworski (http://www.maskenfall.de)
Die Bundesrepublik soll nun wieder ein Stück „moderner“ werden. Die ganz Große Koalition unternimmt nämlich einen weiteren Schritt, um das Parlament von solchen Entscheidungen zu befreien, bei denen ohnehin feststeht wie sie ausgehen sollen. Eingebracht ins Plenum wird eine Gesetzesinitiative zur sog. „Fortentwicklung der parlamentarischen Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland im Zuge fortschreitender Bündnisintegration“.
Eine Armee zur „Landesverteidigung“ ist die Bundeswehr freilich schon länger nur noch für diejenigen, die die „Sicherheit Deutschlands“ „am Hindukusch verteidigt“ sehen (welches Land belegt noch den 2. Platz der meisten Menschen, die vor Kriegsfolgen in die EU fliehen?) oder die eben davon überzeugt sind, dass „Landesverteidigung“ auch in Hinblick auf die Bananenregale im Supermarkt keinen Halt machen kann.
1994 hatte das Bundesverfassungsgericht in Anbetracht zunehmender Einsätze außerhalb des NATO-Gebiets mit seinem „Out-of-area“-Urteil zwar die Möglichkeit derartiger Einsätze aus dem Grundgesetz herbeiinterpretiert und damit sicherlich einen verheerenden Dienst für die Rolle Deutschlands in einer imperialen Welt geleistet. Doch zumindest noch das Parlament sollte dem durch sein Vorbehaltsrecht vorgeschaltet sein, im Urteil heißt es:
„Das Grundgesetz verpflichtet die Bundesregierung, für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte die grundsätzlich vorherige konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen.“
Ausnahmen gibt es gemäß Urteil wiederum einerseits bei „Gefahr im Verzug“, wobei gilt, dass „jedoch in jedem Fall das Parlament umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz [zu] befassen [ist]“. Andererseits lautet eine zweite Ausnahme im Urteil:
„Nicht der Zustimmung des Bundestages bedarf die Verwendung von Personal der Bundeswehr für Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland, sofern die Soldaten dabei nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind.“
Doch diese Verpflichtungen wollen die Parteieliten aus CDU/CSU und SPD mit ihrem jüngsten Bestreben nun auch noch abschütteln, indem sie das Parlamentsbeteiligungsgesetz zu ändern beabsichtigen. In diesem heißt es in § 1 Abs. 2:
„Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes bedarf der Zustimmung des Bundestages.“
Über die Definition von „Einsatz“ werden hierbei bislang die Ausnahmen gemäß Urteil des BVerfG von 1994 geregelt. Was den jetzigen Änderungsentwurf der Bundesregierung anbelangt, so sollen fortan nicht mehr allein „humanitäre Hilfsdienste und Hilfsleistungen“ der Bundeswehr keiner Parlamentszustimmung mehr bedürfen, sondern ebenso eine ganze Palette weiterer Unternehmungen, so auch Ausbildungsmissionen (von Kampfeinheiten), solange es sich um ein „sicheres Umfeld“ handelt, wie es heißt, oder die Mitwirkung in militärischen Stäben und Hauptquartieren (von EU und NATO). Zudem war von „Einsatz“ bisher die Rede, wenn für die Bundeswehr eine „Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist“. Fortan heißt es dann, wenn eine „konkret zu erwarten ist“.
Als Zuckerstück für die Abgabe seiner Entscheidungsverantwortung wird dem Bundestag dabei angeboten, ihn fortan „besser“ zu informieren, wie es aus Koalitionskreisen heißt und im Änderungsentwurf ausgeführt wird.
Was wird hier gemacht? Genau, es wird der erste gesetzliche Schritt zur Abschaffung des Prinzips der sog. Parlamentsarmee unternommen, ein Schritt auch mit psychologischer Wirkung. Die noch einigermaßen schmalen Ausnahmen, bei denen der Bundestag für Auslandseinsätze bisher nicht abstimmen musste, werden stark ausgeweitet und so kann eine weitere Desensibilisierung dahingehend stattfinden, dass die Bundesregierung die Streitkräfte immer häufiger und immer weiter über dem Globus verteilt, natürlich nur, um „den Frieden zu sichern“. Der Bundestag bräuchte dann in vielen Fällen nicht einmal mehr eine Debatte führen, an deren Ende eine Entscheidung zumindest als Symbol der Verantwortungsübernahme stünde (was man aus Verantwortung macht, ist freilich eine andere Sache).
Bei dem jüngsten Anliegen der Regierung handelt es sich um eine Empfehlung der Rühe-Kommission, die genau das Ziel hat, das Parlament aus Auslandseinsätzen mehr und mehr herauszuhalten, pardon, man nennt es: die „Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“.
Es ist ja bekannt: die politischen Eliten haben noch viel vor. Das lässt sich jedenfalls im Beschluss der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter dem Titel „Eine Sicherheitsstrategie für Deutschland“ nachlesen oder in dem von uns schon häufiger behandelten Papier „Neue Macht Neue Verantwortung“, das einen wilden „Risiko“klumpen in der Welt definiert, dem es immer mehr mit „militärischer Gewalt“ zu begegnen gilt, wobei diese in der Verschmelzung mit anderen Maßnahmen (Geheimdienste, Diplomatie, Entwicklungshilfe) möglichst mehr und mehr „von einer Hand“ und mit „europäische[r] Hebelkraft für Deutschlands globale Ordnungsideen“ ausgeübt werden soll (siehe erneut unseren Artikel dazu). „Neue Verantwortung“ meint hier offenbar, dass man dem Bundestag Verantwortung nehmen muss, um bestimmten Kreisen „neue Macht“ zu verschaffen. Denn genau von derartigen „Rückrufvorbehalten“ an Stelle eben von regulären Parlamentsentscheidungen ist in diesem Papier (ebenso wie in älteren) auch schon die Rede gewesen:
„Die Parlamentsbeteiligung an Einsätzen ist zu flexibilisieren – etwa in Form eines Rückrufvorbehalts bei gleichzeitig früherer Einbindung des Parlaments durch die Exekutive und Informationsaustausch mit den Parlamenten der Verbündeten.“
(Neue Macht Neue Verantwortung, SWP & GMF, 2013)
Vorhandene langfristige Pläne werden nun also nur umgesetzt, Schritt für Schritt, so wie es der gute Freund der Bundesregierung Jean-Claude Juncker, bezogen auf die EU-Politik, einst offen ausdrückte:
„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert […] Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“
(Jean-Claude Juncker, zitiert im Spiegel, 27.12.1999)
Eigentlich braucht man ja nur in derartigen Strategiepapieren nachlesen, um zu schauen, was als nächstes gemacht wird, ohne dass die Öffentlichkeit dabei merken soll, was eigentlich die Konsequenzen sind. Neben der kompletten Abschaffung des Parlamentsvorbehalts in Sachen Bundeswehreinsätze wird in „Neue Macht Neue Verantwortung“ als eine Variante etwa auch der Verzicht auf UN-Mandate für Kriegseinsätze vorgeschlagen, wenn es sich eben um „engst gefasste Ausnahmen“ handelt, Stichwort: „Humanitäre Intervention“. Jugoslawien war hier ja der Präzedenzfall in Sachen Angriffskrieg der neuen Bundesrepublik, doch schon für Syrien brauchte man faktisch nicht einmal mehr derartige Konstruktionen, indem man einfach so tat, als wäre die Frage nach dem UN-Mandat bereits uninteressant. Wie war das gleich noch mit der Krim und dem teuflischsten aller Völkerrechtsbrecher? Aber wen interessiert das schon?
Und währenddessen baut man weiter an einer Welt, von der man sagen kann:
„Die Globalisierung hat jedoch die Privatisierung und Individualisierung der Gewalt – etwa in Form von Terrorismus und organisierter Kriminalität – beschleunigt. Sie hat zudem ein breites Spektrum grenzüberschreitender Risikofaktoren hinzugefügt, die oft gehäuft auftreten, sich gegenseitig verstärken, und gegen die staatliche Hoheitsgewalt nur wenig auszurichten vermag: Klimawandel, demografische Entwicklung, unkontrollierte Migration, Ressourcen- und Nahrungsmittelknappheit, Pandemien, schwache und versagende Staaten. Damit ist neben der Gefahrenabwehr das Risikomanagement zum neuen Paradigma der Sicherheitspolitik geworden.“(Neue Macht Neue Verantwortung, SWP & GMF, 2013)
Und wie man die „Risiken“ wie Terrorismus und „unkontrollierte Migration“ selbst schaffen kann, unter deren Nennung sich schließlich all die „innovativen“ Ideen in Sachen Militarisierung umsetzen lassen, das macht wiederum ein Beitrag im Deutschlandfunk deutlich, auf den hier noch ergänzend verwiesen werden soll:
„Vor der Deutschen Botschaft in Kumasi stehen die Ghanaer Schlange. Wenn man da hingeht, sieht man Leute, die mal sehr viel produziert haben auf ihren Farmen, sie haben Tomaten geerntet für den Ghanaeschen Markt. Irgendwie wurde während der letzten dreißig Jahre der Ghanaesche Tomatenmarkt mit Europäischen Tomaten überschwemmt und diese Leute wurden vom Markt gedrängt. Die einzige Möglichkeit, die ihnen bleibt, ist nach Europa zu emigrieren. Wenn man heute nach Süd-Italien geht, südlich von Neapel, findet man tausende Menschen aus Ghana, die dort Tomaten pflücken. Und diese Tomaten kommen dann zurück nach Ghana und überschwemmen und zerstören dort den Markt.“
(EPAs – Freihandelsabkommen zwischen Europa und Afrika, Deutschlandfunk, 26.1.2016)
Aber, ich wiederhole mich, wen interessiert das schon? Die überwältigende Mehrheit der Parlamentsabgeordneten jedenfalls nicht. Sie können später ja immer noch dafür abstimmen, sich weitere Abstimmungsrechte und somit Verantwortung entziehen zu lassen, um auf diese Weise andere leichter gegen die mitverantworteten „Risiken“ vorgehen zu lassen, die besonders aus einer solchen Armut schaffenden „Globalisierung“ resultieren.
Eigentlich genügt aber die Aufhebung des Parlamentsvorbehalts bei Militäreinsätzen zur Sicherung von Rohstoffen, Handelswegen und Absatzmärkten für europäische Unternehmen nicht. Wie stellt nämlich Boniface Mabanza von der Arbeitsstelle Südliches Afrika im Beitrag des Deutschlandfunk auf die Frage, welche Nachteile eine derartige Handelspolitik wiederum für Europa hat, treffend fest:
„Ich würde sie in zwei Bereiche unterteilen, die ökonomische Fixierung, zu der uns die neoliberalen Denker geführt haben, führen uns dazu, dass wir oft Nachteile nur im ökonomischen Bereich sehen. Aber es gibt andere Nachteile. … Die Macht der Unternehmen. … Alle Modelle, die in Ländern, die als schwach gelten ausprobiert werden, irgendwann erreichen sie uns auch in Europa. In den achtziger und neunziger Jahren, als wir sagten, die Strukturanpassungsprogramme töten uns, konnten die wenigsten … ahnen, dass Länder der Europäischen Union auch durch Strukturanpassungsprogramme gehen würden. Wir haben sie, in Griechenland. […]“
(EPAs – Freihandelsabkommen zwischen Europa und Afrika, Deutschlandfunk, 26.1.2016)
Die Abgeordneten sollten vielleicht noch darüber abstimmen, auch die Etats zur Aufrüstung nicht nur an den europäischen Außen-, sondern eben auch Innengrenzen auszubauen. Bei einer derartigen unverantwortlichen Gesamtpolitik sind die Rechten nämlich, wenn schon nicht menschenfreundlicher, so doch aber konsistenter.
APO, wo bleibst Du?