Folter á la Amerika
von Hugh Gusterson (USA)
Als Anthropologe bin ich fasziniert von dem Begriff „enhanced interrogation“ („höherwertige Vernehmung“). Er muss sicher einen Ehrenplatz einnehmen im amerikanischen Lexikon der Regierungseuphemismen für Gewalt, gemeinsam mit Wendungen aus dem nuklearen Diskurs wie „Kollateralschaden“ (für die massenhafte Tötung von Zivilisten), „Ereignis“ (für eine atomare Explosion), „Gegenschlag“ (für die atomare Zerstörung einer Stadt), „chirurgischer Schlag“ (ein gezielter Schlag mit Atomwaffen) und „saubere Bomben“ (Atomwaffen, die angeblich weniger Strahlungswirkung als Sprengwirkung haben). Wie Carol Cohn in ihrem klassischen Artikel über die Sprache von Atomstrategen „Sex and Death in the Rational World of Defense Intellectuals“ (Sex und Tod in der rationalen Welt von Intellektuellen im Bereich der Verteidigung) bemerkt, bilden „saubere Bomben“ wohl die perfekte Metapher für die Sprache der Verteidigungsanalysten und Waffenkontrolleure. Diese Sprache hat eine enorme destruktive Kraft, aber ohne emotionalen Niederschlag.“
Dasselbe trifft zu, wenn es um „höherwertige Vernehmung” („enhanced interrogation“) geht. Mein Wörterbuch sagt mir, dass „to enhance“ „verbessern in Wert, Qualität, Erwünschtheit oder Attraktivität“ heißt. Das Wort „enhanced“ wird üblicherweise verwendet für Bilder, Lebensmittelaromen und Elektronik, warum also nicht auch für Folter? Der Rest der Welt verwendet die klassische Folter, mit Elektroden, Zangen, Knüppeln und Blutflecken. Die Vereinigten Staaten von Amerika, die ja exzeptionell sind, setzen höherwertige Folter ein, zu der rektale Fütterung (anders gesagt anale Vergewaltigung), eine Woche langer Schlafentzug, „beleidigende Ohrfeigen,“ eiskalte Bäder, Stresspositionen, 18 Stunden in eine Kiste einsperren, Wasserfolter (waterboarding) und Drohungen, deiner Mutter die Kehle zu durchschneiden gehören. Aber keine Blutflecken.
„Höherwertige Vernehmung“ ist Folter á la Amerika. Exzeptionelle Folter. Folter, die behauptet, keine Folter zu sein. Post-Folter?
Diese einzigartig amerikanische Art von Folter hat sechs kennzeichnende charakteristische Eigenschaften:
Erstens, sie vermeidet Werkzeuge, die im Mittelalter oder in Kerkern der Dritten Welt benutzt werden (ausgenommen die Jahrhunderte alte Technik des waterboardings). Wenn wir nicht die klassischen Werkzeuge des Folterhandwerks einsetzen – Elektroden an die Genitalien, Knüppel auf die Rippen – dann, so die Theorie, kann nicht Folter sein, was wir tun. Darüber hinausgehend darf es kein Blut, Verbrennungen oder Narben geben, nachdem das die Zeichen der klassischen Folter sind. Amerikanische Folter ist innovativ und sauber. Sie hinterlässt keine verräterischen Spuren.
Zweitens müssen amerikanische Foltertechniken von wissenschaftlichen Experten entwickelt sein, damit sie nachweislich modern, vernünftig und wissenschaftlich sind. In diesem Fall waren es die Doktoren der Psychologie James Mitchell und John Bruce Jessen, deren Firma für die Perfektion der glänzenden neuen Vernehmungstechniken von den Steuerzahlern der Vereinigten Staaten von Amerika 81 Millionen Dollars kassiert hat.
Drittens wird die amerikanische Folter medizinisch überwacht. Der Hippokratische Eid – füge keinen Schaden zu – verleiht den Folterern ein Feigenblatt der Straflosigkeit, obwohl die Doktoren der CIA, die bei den Folterungen anwesend waren, von der American Medical Association wegen Verrats an ihrer Berufsehre verurteilt worden sind. In einer bizarren Aufsplitterung ihrer widersprüchlichen Verpflichtungen gegenüber den Opfern und deren Folterern sorgten diese Ärzte dafür, dass Gefangene, die der Agonie ausgesetzt wurden, ihre Arme stundenlang in schmerzhaften Stellungen gefesselt zu haben, dabei sitzen konnten, wenn sie gebrochene Knochen in ihren Füßen hatten, dass die Nahrung von Gefangenen so eingestellt wurde, dass sie nicht auf Dauer deren Speiseröhre schädigen würde, wenn sie sich während des waterboarding erbrachen, und dass Tylenol (ein Schmerzmittel) verabreicht wurde, um die Schmerzen der Folter zu mildern.
Viertens, der Anschein der Legalität muss aufrecht erhalten werden. Kein Problem, dass die „black site“(schwarze Orte)-Praxis der Einrichtung von geheimen Gefängnissen, um dort zu foltern, nach Auffassung der meisten Juristen klar gegen die Genfer Konvention und die Konvention gegen Folter (1994 von den Vereinigten Staaten von Amerika ratifiziert) verstieß. Washington musste Juristen finden, die bestätigten, dass die neuen Vernehmungstechniken keine Folter sind, denn der Anschein von Legalität, egal wie lachhaft, ist von entscheidender Bedeutung. So bescheinigten John Yoo und James Bybee vom Rechtsbüro in George W. Bushs Justizministerium, dass, solange es nicht zu Tod oder bleibendem Organschaden kam, es keine Folter war, wenn man einen Gefangenen wiederholt an den Rand des Todes durch Ertrinken brachte, ihn gefesselt in schmerzhaften Stellungen beließ, ihm tagelang den Schlaf vorenthielt oder Gegenstände in seinen Anus einführte. Die Vernehmungsbeamten konnten dann sagen, dass sie es schriftlich hätten, dass sie keine Folterer waren. Daher konnte der CIA-Beamte Jose Rodriguez zu Fox News sagen: „Alle diese Techniken wurden von den Juristen genehmigt.“ Eine gefolterte Interpretation des Gesetzes übertrumpft den gesunden Menschenverstand.
Fünftens, Hand in Hand mit amerikanischem Exzeptionalismus wird die Folter als eine Ausnahme präsentiert, aber als eine, die die Regel bestätigt. „Wir foltern nicht,“ sagte Präsident George W. Bush. „Wir foltern keine Menschen. OK?“ sagte George Tenet, Bushs CIA-Direktor. Das ist die Artikulation der Regel, deren beharrliche Verkündung mit ihrer Annullierung in der Praxis einhergeht. Daher sagen uns die Apologeten, dass die Tage nach den Attacken von 9/11 eine verzweifelte Zeit waren, in der „harte Methoden“ ausnahmsweise zulässig waren, um sicherzustellen, dass es zu keinen neuen Attacken kommen wird, während uns Führer sagen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika nicht foltern. Und seit 9/11 haben die Vereinigten Staaten von Amerika sich wiederholt auf ihren Status als zu Menschenwürde und Freiheit verpflichtete exzeptionelle Nation berufen, um im Ausland und an schwarzen Orten Aufhebungen von Menschenwürde und Freiheit zu erlauben – eine Kette von Aufhebungen, die eine uneingestandene de facto Umkehrung der „wir foltern nicht“-Regel bilden.
Zuletzt, sechstens, werden Spindoktoren herangeschafft, um Sprachschöpfungen wie „höherwertige Vernehmung“ zu kreieren, die als phraseologische Wolke verdecken, was darunter liegt. „Höherwertige Vernehmung“ ist ein Madison Avenue-Begriff wie „neu und besser,“ der etwas als neuer erscheinen lassen will, während er seine Mängel vernebelt. Und, wie alle Euphemismen, die geistige Qual derjenigen abstumpft, deren Arbeit es ist, anderen Schmerzen zuzufügen. Es ist ein Werkzeug für das, was der Anthropologe Didier Fassin als „moralische Anästhesie“ bezeichnet. „Höherwertige Vernehmung“ ist eine aus einer ganzen neuen Familie euphemistischer Phrasen, die uns der „Krieg gegen den Terror“ beschert hat – ein Cousin anderer bösartig farbloser Neologismen wie „ungesetzlicher Kämpfer“ (ein Guerilla ohne Uniform), „außergewöhnliche Überstellung“ (illegale Entführungen durch den Staat), und „persönlicher Treffer“ (die absichtliche Tötung per Drohne von Menschen, deren Identität nicht bekannt ist).
Während Länder wie Ägypten und Myanmar die Folter Strolchen überlassen, die die Körper ihrer Opfer in fensterlosen Zellen bearbeiten, haben die Vereinigten Staaten von Amerika in der Erwartung, neues aus dieser Arbeit zu machen, Psychologen, Ärzte, Juristen und Spindoktoren hinzugezogen, um daraus eine nach bürokratischen Regeln funktionierende Folter zu machen, die so beschaffen ist, dass sie mit plausiblen Kriterien abgestritten werden kann. Das ist Folter im amerikanischen Stil.
Euphemismen wie „höherwertige Vernehmung” sind aber auch ein Zeichen für unterdrücktes Schamgefühl. Die Zuflucht zum Euphemismus verrät die Scham über das, was nicht ehrlich benannt werden kann. Jetzt kehrt endlich die Ehrlichkeit zurück. Nachdem mehr Kommentatoren und Politiker offen das altmodische Wort „Folter“ verwenden, wird die Hohlheit des Euphemismus offenkundig, und er verliert seine Kraft, zu vernebeln, was in den versteckten Orten der CIA getan worden ist. Jetzt findet sich „höherwertige Vernehmung“ zunehmend in ironischen Anführungszeichen und vermittelt ein Gefühl von Starrheit und Absurdität der Sprecher der Regierung, die darauf bestehen, diesen Begriff weiterhin zu verwenden.
Der erste Schritt bei der Konfrontation mit den Verbrechen, die in unserem Namen begangen worden sind, ist die Zurückforderung unserer Sprache. Hören wir auf, von „höherwertiger Vernehmung“ zu reden, und wenn Amerikaner verteidigen wollen, was ihre Regierung getan hat, dann sollen sie zumindest Folter bei ihrem wahren Namen nennen.
Übersetzt aus dem amerikanischem von Klaus Madersbacher und veröffentlicht auf seiner Webseite http://www.antikrieg.com