Wer Soldat/Soldatin wird, verzichtet automatisch auf Grundrechte

Der Preis des Status Soldat - 

"(Staats)Bürger/innen in Uniform“

von Christian Neumann (Oberleutnant) im Juni 2014

Wer mit den Gedanken spielt Soldat/Soldatin zu werden, sollte über die sich daraus ergebenen Konsequenzen informiert sein.

Freiwillig Wehrdienstleistende, Wehrübende, Eignungsübende, Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten, die sich im aktiven Wehrdienstverhältnis befinden, werden in der Kategorie "Staatsbürger/in in Uniform" zusammengefasst. Der Begriff geht auf Generalmajor Wolf Graf von Baudissin zurück. Dieser sprach sogar von der Demokratisierung der Armee und nicht nur von der Armee in der Demokratie. Dieser Umstand wird in heutiger Argumentation gerne von offizieller Seite verdrängt.

„(Staats)Bürger/innen mit Uniform" (Reservist/in):
Diese Kategorie prägte der ehemalige Bundesminister der Verteidigung Dr. Thomas de Maizière im Jahre 2011 für sein Reservistenkonzept. Die Bezeichnung fand Verwendung im Rahmen der Debatte einer Veteranenpolitik. Mit Ausnahme der Verschwiegenheitsplicht die sowohl für aktive Soldatinnen und Soldaten als auch für aus dem Dienst Ausgeschiedene oder Reservistinnen und Reservisten gilt, tritt der Status Soldat für Staatsbürger/innen mit Uniform erst mit der Beorderung zum Dienst ein.

Prolog:
Allgemein wird zwischen Menschen-, Grund- und Bürgerrechten bzw. „Freiheits“-Rechten unterschieden. Die ersten 20 Artikel des Grundgesetzes (GG) werden als Grundrechte bezeichnet. Eine Teilmenge davon aber nicht abschließend sind Menschenrechte. Diese sind in 30 Artikeln der

  • a) Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte/ Resolution 217 A (III) der Generalversammlung der United Nations Organization (UNO) vom 10. Dezember 1948
  • b) Europäischen Menschenrechtskonvention des Europarates (EMRK) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 in Artikel 2 bis 18
  • c) 8 Millenniumszielen der UNO vom September 2000 niedergeschrieben und größtenteils identisch

Die Menschenrechte aus a) entfalten ihre Gültigkeit durch Mitgliedschaft des jeweiligen Staates in der UNO. Die Rechte aus b) greifen bei Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) und zu schaffende Rechte aus c) ergänzen a).

Alle Menschenrechte von a) bis c) sind – soweit anerkannt – grundsätzlich unter keinen Umständen einschränkbar, es sei denn, Sie sind Soldat/Soldatin. Die Menschenrechte gelten für jeden Menschen, gleich welchen Alters, Geschlechts, Abstammung, Herkunft und Wohnort am Ort seines Aufenthaltes gem. oben abgegrenzten Gebietszugehörigkeiten. Anders verhält es sich bei Bürgerrechten. Diese sind Bestandteil einer Verfassung eines bestimmten Staates, stehen im Bedeutungsrang den Menschenrechten nach und können durch verfassungsrechtliche Verfahren geändert bzw. abgeschafft werden. Grundrechte sind eine Kombination aus Menschen- und Bürgerrechten.

Hauptteil:
§ 6 Satz 2 Soldatengesetz (SG) schränkt für Soldatinnen und Soldaten im deutschen Militärdienst die Grundrechte aus GG Art. 2 I, Art. 2 II, Art. 5 I 1 Halbsatz 1 und Art. 8 II sowie Art. 11 ein.

  • Recht auf die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit;
  • Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit;
  • Recht, eigene Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten;
  • Versammlungen unter freiem Himmel;
  • Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

Das seit 01.01.2005 geltende Soldatengleichstellungsgesetz (SGleiG) regelt Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst, darunter:

  • §12 Familiengerechte Arbeitszeiten und Rahmenbedingungen;
  • §13 Teilzeitbeschäftigung und familienbedingte Beurlaubung;
  • §14 Wechsel zur Vollzeitbeschäftigung, beruflicher Wiedereinstieg;
  • §15 Benachteiligungsverbot bei Teilzeitbeschäftigung und familienbedingter Beurlaubung.

Allerdings gelten diese Vorteile automatisch nicht mehr, sobald der Spannungs- oder Verteidigungsfall ausgerufen wurde. Im Rahmen von besonderen Auslandsverwendungen gilt dieses Gesetz nur solange bis das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) erklärt, dass zur Gewährleistung der Sicherheit oder Einsatzbereitschaft der eingesetzten Truppen das Soldatengleichstellungsgesetz (SGleiG) nicht mehr anwendbar ist. Es genügt die Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch das Bundesministerium der Verteidigung.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14.08.2006 gilt für Soldatinnen und Soldaten nicht, weil sie in § 24 Sonderregelung für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse nicht erwähnt sind. Stattdessen wurde das Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetz – SoldGG vom 14.08.2006 mit Änderung durch Artikel 4 des WehrRÄndG 2008 vom 31. Juli 2008 Stand 09.08.2008 geschaffen.

Der Haar- und Barterlass geregelt durch Zentrale Dienstvorschrift A-2630/1 „Das äußere Erscheinungsbild der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr“ findet seit 01.02.2014 Anwendung:

  • Die Haare von Soldaten müssen kurz geschnitten sein. Ohren und Augen dürfen nicht bedeckt sein. Das Haar ist so zu tragen, dass bei aufrechter Kopfhaltung Uniform- und Hemdkragen nicht berührt werden.
  • Bärte sind gepflegt und gestutzt zu halten. Will sich der Soldat einen Bart wachsen lassen, muss er dies grundsätzlich während seines Urlaubs tun.
  • Die Haartracht von Soldatinnen darf die Augen nicht bedecken. Haare, die bei aufrechter Körper- und Kopfhaltung die Schulter berühren würden, sind am Hinterkopf komplett gezopft auf dem Rücken oder gesteckt zu tragen. Dabei sind Form und Farbe der Haarspangen/Bänder dezent, d.h. unaufdringlich, nicht auffallend, feinfühlig, taktvoll, vornehm-zurückhaltend zu wählen.

Körpermodifikationen und Körperbemalungen sind mit folgenden Einschränkungen erlaubt:

  • Tunnel im Ohrläppchen nur zulässig bis zu einem Durchmesser von 15mm (1-Cent-Münze) und muss durch eine hautfarbene Abdeckung im Dienst vollständig kaschiert werden.
  • Ohrstecker sind für Männer trotz der Genderfreizügigkeit tabu. Frauen dürfen zum Dienstanzug Grundform mit seinen Ergänzungen/ Abwandlungen zusätzlich einen dezenten Ohrstecker aus Edelmetall oder Perlmutt je Ohr (im Ohrläppchen) tragen.
  • Soweit Körpermodifikationen und Körperbemalungen beim Tragen einer Uniform sichtbar sind (insbesondere im gesamten Kopfbereich einschließlich des Mundinnenraumes, im Bereich des Halses bis zum geschlossenen Hemdkragen, an den Unterarmen und an den Händen), sind abnehmbare Körpermodifikationen abzulegen. {Diese Auflage folgt aus einschlägigen Arbeitsschutzvorschriften, die in fast allen Fertigungsbetrieben Anwendung finden.}

Darüberhinaus bundeswehrspeziell:

  • Tätowierungen sind in geeigneter und dezenter Weise; z.B. durch hautfarbende Mullbinden, abzudecken.

Die Gehorsamsmaxime leitet sich aus dem Treueverhältnis i.V.m. dem Tapferkeitsgebot (§ 7 Soldatengesetz SG) ab. Die Tapferkeitspflicht muss zwingend in den folgenden Fällen erfüllt werden:

  • Wachdienst;
  • Verteidigungsfall;
  • Katastrophenhilfe;
  • Einsatz im erweiterten Aufgabenspektrum (EAS) --> Kollektive Sicherheit;
  • Äußerer Notstand;
  • Innerer Notstand.

Den Rahmen für die Gehorsamspflicht spannt der § 11 Soldatengesetz in 2 Absätzen auf.
Soldatinnen und Soldaten müssen ihren Vorgesetzten gehorchen. Wer Vorgesetzte sind, beschreibt die Vorgesetztenverordnung (VorgV) in einschlägigen 6 §§. Vorgesetzte haben nur dann Anspruch auf Gehorsam, wenn sie einen Befehl erteilen. Der Befehl definiert sich nach § 2 Nr. 2. Wehrstrafgesetz (WStG). Jeder, der einen Befehl erhält, hat die Pflicht selbigen auf dessen Ausführbarkeit zu prüfen. Im Ergebnis stellt sich die eigene Gehorsamspflicht wie folgt dar:

  • Befehl rechtmäßig verbindlich --> muss befolgt werden;
  • Befehl rechtswidrig verbindlich --> darf befolgt werden (Abwägung Verhältnismäßigkeit);
  • Befehl rechtswidrig unverbindlich --> braucht nicht befolgt werden; z.B. Verstoß gegen Menschenwürde § 11 I SG, fehlender dienstlicher Zweck § 11 I SG, Unzumutbarkeit
  • Befehl gegen HVR und StGB --> darf nicht befolgt werden; z.B. Aufforderung zu einer Straftat § 11 II SG, schwerer Verstoß gegen Humanitäres Völkerrecht (HVR), hier Haager Landkriegsordnung, Genfer Abkommen (GA) und Zusatzprotokolle (ZP) zu GA.

Prinzip / Möglichkeiten / Handlungsspielräume

  • Beschwerderecht gem. Wehrbeschwerdeordnung
  • Eingaberecht beim Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (parlamentarische Kontrollinstanz)
  • Klagerecht in best. Fällen (z.B. Feststellungsklage Verwaltungsgericht)
  • Beschwerderecht in Angelegenheiten der Wehrdisziplinarordnung (WDO)
  • Rechtsbefehle in Angelegenheiten verfügter Verwaltungsakte

Anspruch und Wirklichkeit

  • (Ver)Ruf im Kameradenkreis
  • Mobbing: Spannungsfeld Zusammenhalt & Indivualismus
  • ungünstig gesteuerte Beurteilungen sorgen für Ende der Karriere (EdeKa)
  • Uniformierungszwang (Soldatinnen und Soldaten sind zum Tragen einer genau definierten Uniform verpflichtet. Es gibt verschiedene Uniformen, z.B. den Feldanzug Grundform, den kleinen oder großen Dienstanzug, den Sportanzug, den Gesellschaftsanzug, den Boardgefechtsanzug u.s.w. Abwandlungen durch selbstbeschaffte Uniformteile vom freien Markt sind nur selten geduldet. Insofern schränkt der Dienstherr die freie Wahl der Kleidung in gewisser Weise ein.)

Erschwernis Dienst / Treueverhältnis

  • jederzeitige Versetzbarkeit
  • jederzeitige Kommandierung / Abordnung / Abstellung
  • Auslandseinsatzfähig / -willigkeit
  • Impfpflicht durch Befehl (vgl. Eingriff in die körperliche Unversehrtheit)
  • Einteilung zu Sonderdiensten insbesondere an Wochenenden / Feiertagen

Zusammenfassung
Es mag vielfältige und augenscheinlich gute Gründe für den Dienst in den Streitkräften als Soldat oder Soldatin geben. Jedem sollte jedoch vor seiner / ihrer Entscheidung einer längeren Verpflichtung klar sein, in welcher Form seine / ihre Freiheitsrechte durch das eingegangene besondere Beschäftigungsverhältnis eingeschränkt werden.

Die Netto-Verdienste in der Bundeswehr liegen auf die Tätigkeit bezogen vergleichsweise höher als in der Wirtschaft und im Handwerk, weil ein Soldat weniger staatliche Abzüge hat. Doch der Schein trügt. Rentenbeiträge werden von einem vergleichsweise niedrigen Brutto-Verdienst am Ende einer Dienstzeit von Zeitsoldaten abgeführt. Das bringt nur sehr wenige Rentenpunkte. Für Überstunden gibt es finanziellen Ausgleich erst nach bürokratisch aufwendiger Papierlage und Freizeitausgleich ist vorrangig, d.h. Geld gibt es nur in Ausnahmefällen.

Durch die letzten Reformen der Streitkräfte haben immer weniger Soldaten Aussicht auf Lebenszeit eingestellt zu werden, mit der daraus folgenden Aussicht auf Pension. Lebensdienstzeiten werden meist nur noch verlängert. Eine gesetzliche Dienstzeitregelung existiert nicht. Die wöchentliche Rahmendienstzeit beträgt 46 Stunden. Zahlreiche Stellen bleiben aus vielen verschiedenen Gründen unbesetzt. Dienstposteninhaber müssen eine hohe Arbeitsbelastung bewältigen, nicht selten die Aufgaben von zwei Stellen übernehmen. Die zunehmende Häufigkeit von immer gefährlicher werdenden Auslandseinsätzen (auf Afghanistan folgt nun Afrika) mögen Abenteuerlustige anfangs noch verkraften. Danach kommt aber nicht selten die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), oft verzögert, z.B. erst nach 7 Jahren, nach dem auslösenden Moment.

87,4% der Führungskräfte der Bundeswehr würde ihnen nahe stehenden Personen (z.B. Ihren Kindern, Verwandten, Freunden) den Dienst in den Streitkräften nicht empfehlen. Quelle: (DBwV-Umfrage_07-09-2012)

Mein eigener Antrag auf Umwandlung des Dienstverhältnis, mit dem Ziel der Entlassung nach 15 Dienstjahren, wurde abgelehnt. In die Bundeswehr rein kommen ist einfacher als wieder raus kommen. Welche Auswirkungen ein vom BMVg für Herbst 2014 angekündigtes Attraktivitätsgesetz haben wird, wird abzuwarten sein.