Atomwaffen und orientalische Verhältnisse
von Tarak Barkawi (USA)
Wieder einmal droht der verrückte Herrscher des Einsiedlerreichs – Nordkorea – mit Atomkrieg. Zumindest wollen die Medien, dass wir das so glauben.
BBC und andere Nachrichtenfirmen veröffentlichen Landkarten mit konzentrischen Kreisen, die die mutmasslichen Reichweiten der altersschwachen nordkoreanischen Raketensysteme angeben. Eine nie getestete Rakete könnte möglicherweise bis nach Alaska kommen und dort Sarah Palin und die Eisbären erschrecken.
Die von den Medien und Sprechern der Vereinigten Staaten von Amerika gelieferte Grundidee geht davon aus, dass orientalischen Despotien – als welche der Iran und Nordkorea regelmäßig dargestellt werden – unmöglich getraut werden kann, was Atomwaffen betrifft.
Dem entsprechend ist es die Politik der Vereinigten Staaten von Amerika, der sich die UNO und ein großer Teil der Welt verschrieben haben, dass sie eine iranische oder nordkoreanische Atombombe „nie akzeptieren“ werden. Während vernünftige Menschen eine Atomwaffe niemals einsetzen würden ausser in Umständen, in denen dies vernünftig ist, könnten unausgeglichene, verrückte Typen beschließen, ihre nuklearen Arsenale zu entfesseln, oder sie an Terroristen weiterzugeben, oder was noch ...
Es hat den Anschein, dass nur vernünftigen Ländern wie den Vereinigten Staaten von Amerika zugetraut werden kann, dass sie verantwortungsvoll mit Atomwaffen umgehen.
Wenn wir die Bilder von verrückten Mullahs und asiatischen Despoten beiseite lassen, dann gibt es offenkundige Gründe, warum der Iran und Nordkorea Atomwaffen haben wollen. In erster Linie ist eine Atomwaffe eine Garantie dafür, dass sie nicht dasselbe Schicksal erleiden werden wie der Irak 2003. Einer der wenigen Zeitpunkte, an dem atomare Drohungen vernünftig und glaubwürdig angebracht sind, ist die Situation einer existenziellen Krise – wenn das Überleben des Regimes auf dem Spiel steht.
Aus diesem Grund marschiert niemand ein oder geht zu weit gegenüber einer Macht, die mit Atomwaffen ausgestattet ist.
Würden der Iran oder Nordkorea eine atomare Waffe unter anderen Umständen einsetzen, würden sie ihre Vernichtung riskieren. Nachdem Atomwaffen bis zu ihrerm Ursprung zurückverfolgt werden können, wäre es für diese Länder selbstmörderisch, solche Waffen an Terroristen weiterzugeben. Im Gegensatz zu den Führungen des Iran und Nordkoreas haben solche Gruppierungen kein Land zu verlieren.
Wenn sich also herausstellt, dass der Iran und Nordkorea vernünftige Gründe dafür haben, Atomwaffen zu erlangen, und sich in etwa der gleichen Realität der nuklearen Abschreckung unterwerfen müssen, die die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion im Kalten Krieg gezügelt hat, wie steht es dann um die Vernunft der Politik der Vereinigten Staaten von Amerika?
Zum einen ist es absurd, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika sagen, sie würden „nie akzeptieren,“ was bereits Realität ist: Nordkorea hat die Bombe. Es muss jetzt als eine Atommacht behandelt werden.
In weiterem Ausmaß betrachtet zeugt die jüngste Geschichte der Außenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika nicht gerade von Vernunft. Als Reaktion auf eine terroristische Attacke, die etwa 3.000 ihrer Bürger tötete, marschierten die Vereinigten Staaten von Amerika in zwei Länder ein, indem sie Kriege entfesselten, die Hunderttausende das Leben kosteten. Zehn Jahre danach haben sie beide Kriege verloren und ihr Budget verludert.
Glücklicherweise reagiert nicht jedes Land, das unter Terrorismus leidet, mit solchen tödlichen und unsinnigen Krämpfen von Rache und Blutrausch.
In der jüngeren Geschichte hat Nordkorea unter der blindwütigen Destruktivität der Politik der Vereinigten Staaten von Amerika gelitten. Diese Tatsache muss man vor Augen haben angesichts der in den Medien kolportierten Bilder von Nordkoreas angeblich irrationalem Militarismus und Aggressivität.
In den drei Jahren des Koreakrieges brannte die Luftwaffe der Vereinigten Staaten von Amerika in den Worten von General Curtis LeMay „jede Stadt in Nord- und Südkorea nieder“. Die Vereinigten Staaten setzten 6-Tonnen-„Tarzan“-Bomben ein, bis es keine Ziele mehr für diese gab, zusätzlich zu den tausenden und abertausenden Bombenangriffen. 500kg Napalm-Bomben wurden von B-29-Bombern abgeworfen, um an taktisch wichtigen Orten „alles Leben auszulöschen“. Gegen Ende des Krieges bombardierten die Vereinigten Staaten von Amerika die Dämme Nordkoreas. Eine der daraus resultierenden Flutwellen „säuberte“ ein 50km langes Tal.
Mehr noch – es sind die Vereinigten Staaten von Amerika, die wiederholt nukleare Drohungen gegen Nordkorea ausgestoßen haben, ungeachtet der Tatsache, dass Nordkorea nie eine ernsthafte Bedrohung der Vereinigten Staaten von Amerika darstellte. Der Einsatz von Atomwaffen - taktischer wie strategischer - wurde im Koreakrieg einige Male erwogen. Im April 1951 wurden B-29-Bomber mit Atombomben nach Guam verlegt, einsatzbereit für den Fall, dass China seine konventionelle Beteiligung an dem Krieg verstärkte. Später im Krieg simulierten einzelne B-29 atomare Angriffsflüge gegen Pyongyang. Im Verlauf des Krieges wurde eine Million nordkoreanische Zivilisten von Kräften der Vereinigten Staaten von Amerika, der Vereinten Nationen und Südkoreas getötet.
Diese Geschichte bietet eine Sicht auf die jüngste Krise, die nicht mit nordkoreanischen Drohungen begann, sondern mit Kriegsspielen und Manövern der Vereinigten Staaten von Amerika und Südkoreas. In deren Rahmen gab es auch Übungseinsätze von zwei atomwaffenfähigen B-2-Tarnkappenbombern über Südkorea, lautstark angekündigt in den Medien, um nicht die Wirkung auf die Führer Nordkoreas zu verfehlen.
Nordkorea reagierte bombastisch unter anderem mit der unglaublichen Ankündigung, dass es eine amphibische Invasion der Vereinigten Staaten von Amerika vorbereite. Guam, noch immer eine Basis für Bombenflugzeuge mit Atomwaffen der Vereinigten Staaten von Amerika, wurde mit Nordkoreas zusammengebastelten Raketen „bedroht“. Im Gegenzug stationierten die Vereinigten Staaten von Amerika ihr gleichermaßen nutzloses, aber um ein Vielfaches teureres THAAD-Raketenabwehrsystem in Guam.
Man fragt sich, was lächerlicher ist: die Idee, dass Nordkorea einen Fleck im Pazifik wie Guam treffen könnte oder dass der Nachfolger von Ronald Reagans Star Wars-Hokuspokus wirklich funktionieren könnte.
Nicht lächerlich hingegen ist die Tatsache, dass es die Vereinigten Staaten von Amerika sind, die ein durchgehendes Muster der Drohung mit dem Einsatz – einschließlich des Ersteinsatzes – von Atomwaffen aufweisen. Niemand bezweifelt, dass die Atomwaffen der Vereinigten Staaten von Amerika tatsächlich funktionieren. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind zudem die einzige Macht, die Atomwaffen mutwillig eingesetzt hat. Insbesondere setzten sie diese in einer Situation ein, in der sie selbst nicht mehr bedroht waren.
Die nordkoreanische Atombombe ist vielleicht ein unangenehme Realität. Aber das ist auch die Bombe der Vereinigten Staaten von Amerika. Und niemand von uns sollte sich zu irgendwelchen einfachen Mutmaßungen in Hinblick auf die Vernünftigkeit der Führung eines der beiden Länder hinreissen lassen.
Übersetzt aus dem amerikanischem von Klaus Madersbacher und veröffentlicht auf seiner Webseite http://www.antikrieg.com