Leben unter ständiger Bedrohung durch Drohnen

Drohnen der Vereinigten Staaten von Amerika kreisen über Dörfern in Pakistan, wobei die Menschen dort nie wissen, wann sie zuschlagen werden

von Jennifer Gibson (USA)

Letzte Woche veröffentlichten die Universitäten Stanford und New York eine größere Studie über den Einsatz von Drohnen in dem immer wieder auflodernden, aber nie endenden Krieg gegen den Terror. Leider begriffen viele Kommentatoren nicht die Schlüsselbotschaft der Studie: Drohnen terrorisieren eine gesamte zivile Bevölkerung.

 

 

Ich gehörte zum Feldforschungsteam dieser Studie und verbrachte einige Wochen in Pakistan, wo ich mehr als 60 Menschen aus Nordwaziristan interviewte. Viele von ihnen hatten Angriffe überlebt. Andere hatten geliebte Menschen und Familienmitglieder verloren. Alle von ihnen leben unter der ständigen Drohung der Auslöschung.

Was meine Kollegen und ich von diesen ungenannten und unbekannten Opfern von Amerikas Drohnenkrieg erfuhren, gab der Studie ihren Titel: „Leben unter Drohnen.“

Leute in den Vereinigten Staaten von Amerika stellen sich vor, dass Drohnen ein Ziel anfliegen, ihre tödlichen Raketen mit chirurgischer Präzision abfeuern und zu einer hunderte oder tausende Meilen entfernten Basis der Vereinigten Staaten von Amerika zurück fliegen. Aber Drohnen sind ständig präsent am Himmel über dem nordwazirischen Stammesgebiet in Pakistan, wo bis zu sechs von ihnen gleichzeitig über den Dörfern kreisen. Die Menschen hören sie bei Tag und bei Nacht. Sie bilden eine unentrinnbare Präsenz, das drohende Gespenst des Todes, der von oben kommt.

Diese Präsenz zerstört fortwährend ein Gemeinwesen, das zweimal so groß ist wie Rhode Island (d.i. 2x4.000 km²). Eltern haben Angst, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Frauen haben Angst, auf den Markt zu gehen. Familien haben Angst, zu Begräbnissen von Menschen zu gehen, die durch frühere Angriffe getötet wurden. Fahrer haben Angst, Lebensmittel aus anderen Teilen des Landes zu liefern.

Das Alltagsleben wurde völlig über den Haufen geworfen. Zweifellos unschuldige Menschen verstecken sich in ihren Häusern, weil sie Angst haben, sich auf den Straßen zu versammeln. „Doppelschläge“ oder nachfolgende Angriffe auf das gleiche Ziel haben dazu geführt, dass die Bewohner den Verwundeten nicht mehr zu Hilfe kommen. Eine führende humanitäre Einrichtung wartet erstaunliche sechs Stunden bis zum Hilfseinsatz.

Diese Situation wird noch dadurch erschwert, dass niemand den Menschen in diesen Gemeinwesen sagen kann, was sie tun können, um selbst in Sicherheit zu sein. Niemand weiß, wer auf der amerikanischen Todesliste steht, niemand weiß, wie er auf diese gekommen ist und niemand weiß, was er tun kann, um von dieser herunterzukommen. Alles ist erschreckend dem Zufall überlassen. Plötzlich, und ohne Warnung, kommt eine Rakete daher und löscht jeden innerhalb eines Radius von 15 m aus.

Natürlich behauptet die Obama-Administration, dass sie nur auf Militante schießt. Aber wenn wir irgendetwas seit dem 9/11 gelernt haben, dann das, dass wir alle das Kleingedruckte lesen müssen. Was den Menschen gar nicht passt, ist dass die Administration alle Männer im Militäralter, typischerweise also die zwischen 18 und 65, als Militante definiert. Dazu kommt, dass dadurch, dass die Vereinigten Staaten von Amerika generell nicht die Namen von Menschen bekannt geben, die von ihnen getötet worden sind, wir nicht wissen können, ob die Opfer tatsächlich Militante waren oder einfach als Militante behandelt wurden, weil Washington sagt, dass sie es waren.

In der Tat findet sich in dieser gesamten Angelegenheit das gleiche Schema, das schon das Inhaftierungsregime im militärischen Gefängnis in Guantánamo Bay, Kuba, gekennzeichnet hat. In Afghanistan zahlte die Bush-Administration enorme Prämien, um zu Informationen zu kommen. In Gebieten, in denen Stammes- und Familienstreitigkeiten grassierten, war das Ergebnis absehbar: hunderte unschuldige Menschen wurden fälschlich als Taliban oder al Qaeda verdächtigt, und viele von diesen verbrachten Jahre in Guantánamo oder anderen amerikanischen Gefängnissen in Übersee.

Jetzt bieten die Vereinigten Staaten von Amerika ähnliche Anreize für Leute in Nordwaziristan, welche versprechen, Militante zu identifizieren. Die Häuser der angeblichen Militanten werden dann mit GPS-Geräten versehen und später, wenn der Informant weit genug entfernt ist, in Fetzen zerschossen. Und weil niemand weiß, wer die Informanten sind, getrauen sich die Menschen kaum noch, Nachbarn in ihre Häuser einzuladen. Die gesamte Gemeinschaft zieht sich aus dem öffentlichen Bereich zurück, aus Angst hinauszugehen, aber gleichermaßen auch aus Angst, die Außenwelt ins Haus zu bringen.

Das ist es, was es bedeutet, unter Drohnen zu leben. Es hat Nordwaziristan in das größte Gefängnis der Welt verwandelt, eine massiv okkupierte Zone. Ein humanitärer Helfer, der am 9/11 in New York war und jetzt in Nordwaziristan arbeitet sagte uns, dass die Atmosphäre in den beiden Orten sich kaum unterscheidet. Das ständige Gefühl des Terrors ist ein Gefühl, das keine Grenzen kennt.

Natürlich sollten wir fragen, ob Drohnen legal sind nach dem Internationalen Recht. Meine Ansicht ist, dass sie das nicht sind. Natürlich sollten wir fragen, ob Drohnen kontraproduktiv sind. Meine Ansicht ist, dass sie das sind.

Keine Diskussion erfasst jedoch auch nur annähernd das Wesen dieser Sache, wenn wir nicht begreifen, was es bedeutet, unter Drohnen zu leben.

Übersetzt aus dem amerikanischem von Klaus Madersbacher und veröffentlicht auf seiner Webseite http://www.antikrieg.com