USA - Die Würde von Leichen
von Robert C. Koehler
Die Zivilisation hat es noch nicht zu einer moralischen Grenze hinsichtlich der Heiligkeit des Lebens an sich gebracht, aber weil sie das menschliche Verhalten irgendwie eingrenzen muss, hat sie wenigstens Stellung bezogen zur Würde von Leichen.
Es ist ok, deinen Feind zu töten, aber nicht ok, auf ihn zu urinieren, zumindest nicht, nachdem er tot ist.
Es war fast so, als ob im Krieg, wo nichts heilig ist außer der Vormacht der Stärke – der überlegenen – das der Punkt ist, an dem die Macht endet und die Menschlichkeit beginnt: Du musst den toten Körper deines Feindes respektieren. Genauso steht es im Militärstrafgesetz.
Wenn ich allerdings darüber nachdenke, so scheint mir, dass mit größter Wahrscheinlichkeit in einer Zeit, in der die positive Imagebildung entscheidend ist für einen Kriegserfolg, der offizielle Standpunkt in der Verteidigung der Würde von Leichen nicht so sehr auf Achtung vor der Moral beruht als vielmehr auf Public Relations. Wenn das Aufspießen des Kopfes eines Feindes einem politischen Zweck dienen würde, würde die offizielle „Du sollst nicht“-Moral eine Lücke für ein solches Verhalten finden (es dient dem höheren Guten), und der letzte moralische Stand der Nation würde sogar noch weiter in Finsternis und Bedeutungslosigkeit hinab sinken.
Mein Punkt ist dieser: Moral kann es in der Kultur der Vorherrschaft mit der Notwendigkeit zu siegen nicht aufnehmen. Und der moralische Grundfels der Zivilisation besteht aus nichts als Sandstein.
Das ist kein Aufruf zu einer strengeren Moral, sondern zu einem Abgehen von der Beherrschungsmentalität, liege sie nun auf der individuellen, gesellschaftlichen oder geopolitischen Ebene – oder zumindest für öffentliche Aufmerksamkeit für den Preis, den wir bezahlen, wenn wir eine Nation aufbauen rund um die endlose Besiegung von Feinden, realen und eingebildeten.
„Wenn man von jungen Männern verlangt, dass sie ihren Lebensunterhalt damit verdienen, dass sie losgehen und Leute umbringen, braucht es einen Haufen Anstrengung, um so etwas in Schranken zu halten.“
Dieses Zitat stammt aus einer kessen Geschichte in Associated Press über den Pissvorfall und stellt die Leichenschändung in einen größeren Zusammenhang. Es kommt von einem Leutnant der Marine, „der die Marinesoldaten in Kriegsrecht unterrichtet, ehe sie nach Afghanistan geschickt werden.“ Dieser meint, dass wir diese Männer nicht zu streng beurteilen sollten.
Diese Meinung wird weiter unten in der Geschichte noch vehementer vertreten, wo die Reporter einen Vietnamveteranen zitieren, der sich lustig macht über die „Naivität“ der Öffentlichkeit in Sachen Krieg: „Ich habe in Vietnam noch viel schlimmere Sachen gemacht als auf irgendwelche toten Körper zu pissen,“ sagte er. „Wir schnitten linke Ohren ab und hängten sie uns um den Hals, um zu zeigen, dass wir Krieger waren, und wir wussten, wie wir zu Racheaktionen kamen.“
Das ist nur ein Teil der altehrwürdigen Kriegstradition, die sich seit Achilles und Hektor durch die blutgetränkten Jahrtausende zieht. Die AP-Geschichte liest sich wie die Schattenversion der Rede, die Präsident Obama vergangenen Monat in Fort Bragg hielt, wo er das Ende des Einsatzes im Irak verkündete: „Ihr seid Teil einer ununterbrochenen Kette von Helden, die sich über zwei Jahrhunderte hinzieht ...“
Wenn der Krieg nur bevorsteht – wie derzeit zum Beispiel gegen den Iran – reden wir darüber mit einer tatsachenbedingten Abstraktion und, natürlich, Dringlichkeit. Wir müssen es jetzt machen, oder ... oder ... der Iran wird Atomwaffen bekommen und dann wird's höllisch teuer. Und dann ziehen wir in den Krieg und es wird in der Tat höllisch teuer, aber wir zahlen mit einem Achselzucken und den ungesprochenen Worten: Was habt ihr erwartet? „Wenn man von jungen Männern verlangt, dass sie ihren Lebensunterhalt damit verdienen, dass sie losgehen und Leute umbringen, braucht es einen Haufen Anstrengung, um so etwas in Schranken zu halten.“
Solche Sprüche waren allerdings nicht zu hören in den Berichten über einen anderen ehemaligen Marinesoldaten, den 23 Jahre alten Itzcoatl Ocampo, der 2008 im Irak im Einsatz war und vergangene Woche wegen der Ermordung von vier obdachlosen Männern in Anaheim und Yorba Linda in Kalifornien verhaftet wurde.
Nach dem, was man hört, litt Ocampo nicht nur an schwerem und unbehandeltem PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) aufgrund seines Militärdienstes, sein Zustand war noch erschwert durch Armut. „Nach Beendigung seines Dienstes 2010 kehrte Ocampo zurück nach Orange County, wo er seinen Vater unter einer Brücke lebend fand,“ hieß es in einem KTLA-TV-Bericht. Sein Vater war obdachlos! Er liebte seinen Vater. Er begann, obdachlose Männer zu verfolgen und zu ermorden – und schändete ihre Leichen mit 40 und mehr Einstichwunden – und zeigte sogar seinem Vater ein Bild eines der Opfer und warnte ihn vor den Gefahren der Straße.
Das alles ist psychologisch unfassbar, aber „wenn man von jungen Männern verlangt, dass sie ihren Lebensunterhalt damit verdienen, dass sie losgehen und Leute umbringen, ...“
Hören wir auf, den Wahnsinn des Krieges – und ich meine das buchstäblich – hinzunehmen. Wir versuchen, diesen Wahnsinn mit flotter Rhetorik in den Griff zu bekommen, mit Disziplin- und Ehrenkodices, aber in der menschlichen Psychologie findet man das alles nicht.
Matthis Chiroux, ein Afghanistanveteran und Kriegsdienstverweigerer, führte vor kurzem in einem exzellenten Essay aus, dass das Phänomen der „Kriegspornografie“ – des fotografischen Festhaltens geschändeter Leichen – im Militär weit verbreitet ist und verstärkt wird durch unsere lang anhaltende, schleichende Niederlage im Krieg gegen den Terror: unser Unvermögen, unseren Willen einem lebenden Feind auf zu zwingen. „Historisch gesehen haben sich besiegte oder nahezu besiegte Armeen einiger der schlimmsten Gräueltaten schuldig gemacht,“ schreibt Matthis.
Wenn uns der Glanz des Sieges entschwindet, können wir unseren Willen nur an Leichen austoben.
Übersetzt aus dem amerikanischem von Klaus Madersbacher und veröffentlicht auf seiner Webseite http://www.antikrieg.com