Die Freiheit zur Friedensbildung - Vom Ende staatlich verordneter Wehrerziehung
von Bernhard Nolz (Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden - PPF)
Die Ausgangslage – Was ist los?
Wenn die Regierenden die jungen Männer von der Wehrpflicht, d.h. von einem Zwangsdienst befreien, haben wir allen Grund, wachsam zu sein. Zunächst aber können sich alle über den Erfolg der Friedensbewegung freuen. Ein 55 Jahre dauernder Kampf gegen die Wehrpflicht wurde gewonnen.
Zuletzt sind die Wehrpflichtigen den Mächtigen lästig geworden. Mit „Staatsbürgern in Uniform“ lassen sich keine imperialistischen Kriege aus Wirtschaftsinteressen führen. Zudem wurde die Bundeswehr durch die Äußerungen eines Bundespräsidenten vollends ihres demokratischen Charakters entkleidet.
Die Reaktion der Jugend auf diese Sachlage war schon seit Längerem eindeutig: Immer weniger junge Männer waren bereit, sich zum Töten ausbilden zu lassen. Die Ablehnung des Krieges ist auch in den älteren und ganz jungen Generationen verankert. Kurt Tucholskys Wort „Soldaten sind Mörder“ hat bei Google Hochkonjunktur und mittlerweile kennen viele einen Ex-Soldaten aus Afghanistan, der traumatisiert zurück gekehrt ist.
Begründungsnot – Warum das alles?
Mit der allgemeinen Wehrpflicht kann die Bundeswehr nun nicht mehr begründen, warum sie in die Schulen will.
In den letzten Jahren war die Wehrpflicht zu einem staatlichen Instrument der Produktion von Ungleichheit mutiert, das nur noch ein Drittel aller Wehrpflichtigen aufnehmen wollte. So entzog sie sich selbst die Legitimationsgrundlage.
Man kann davon ausgehen, dass die Bundesregierung zusammen mit den Landesregierungen in militärpolitischer Voraussicht und im Geheimen eine neue Legitimationsgrundlage erfunden hat: die Kooperationsvereinbarung zwischen der Bundeswehr und den Schulministerien. Sie soll den uneingeschränkten und bevorzugten Zugang der Bundeswehr in die Schulen und in die Lehrerfortbildung sichern.
Weil die Regierenden wussten, dass eine Wehrerziehung nach dem Muster der Kooperationsvereinbarung auf den Widerstand von LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern stoßen würde, ist es nahe liegend, dass sie sich auf geheime Absprachen zur Überrumplung der Betroffenen verständigt haben. So erklärt sich auch, dass ein Bundesland nach dem anderen – und nicht alle auf einmal – die Kooperationsvereinbarung eingeführt hat. Die Regierenden wollen schrittweise „ein bisschen Krieg, ein bisschen Bundeswehr-Un-Bildung“ in den Schulen realisieren lassen, in der Hoffnung, dass sich auf diese Weise kein nennenswerter Widerstand entwickelt.
Mit dem Geheimhaltungscharakter lässt sich auch das sture Festhalten der Landesregierungen an den Kooperationsvereinbarungen erklären, selbst wenn ihnen die Argumente ausgehen und auch nach einem Regierungswechsel wie in Nordrhein-Westfalen. Sowieso gehören alle 16 für die Schulen verantwortliche MinisterInnen bzw. SenatorInnen Kriegs befürwortenden Parteien an.
Wir sollten die Kooperationsvereinbarungen als das nehmen, was sie sind: Vereinbarungen zwischen Bundeswehr-Generälen und Schulminsterinnen.
Sie wurden mit uns nicht geschlossen! Und die Gruppen und Organisationen der Friedensbewegung haben auch kein Interesse daran, dass der freie Zugang für die VertreterInnen der Friedensbewegung zu den Schulen durch Vereinbarungen mit den Schulministerien reglementiert werden sollte.
Lernfreiheit ohne Wehrpflicht – Was denn sonst?
Nach dem Ende Zwangs und des Drucks auf die Wehrpflichtigen ist die Schule wieder frei, den Frieden zu lernen und zu lehren.
Diesen Lernweg zum Frieden sollen die Schulen ohne die Bundeswehr gehen. Die Bildungs- und Lernziele der Schule stehen im Widerspruch zu den imperialistischen, nationalistischen und ökonomistischen Zwecken, zu denen die Bundeswehr von den PolitikerInnen eingesetzt wird.
Deshalb fällt es Schülerinnen und Schüler nach der Befreiung von der „Wehrpflicht-Keule“ auch leicht, sich für die Teilnahme am Zivilen Friedensdienst zu begeistern und sich frei für ein Engagement für Frieden, Völkerfreundschaft und Menschenrechte zu engagieren:
Das Ende der Wehrpflicht in der Demokratie stellt einen wichtigen emanzipatorischen Schritt dar. Die von der Wehrpflicht Befreiten müssen sich nicht länger einen Untertanengeist aufzwingen lassen, der sie entmündigt und ihnen die Duldung von Unterdrückung, Gehorsam und Misshandlung auferlegt.
Jetzt ist die Jugend frei vom Zwang zum Kriegsdienst! Nur wer töten will, wird von nun an von der Bundeswehr aufgenommen, solange es sie noch gibt.
Nach der Befreiung von der Wehrpflicht kann die Friedensbildung in der Schule erneut den Blick auf die internationale Solidarisierung und die Völkerfreundschaft richten. Sie ist gängige Praxis an vielen Schulen. Nur kommt es darauf an, Schul- und Städtepartnerschaften eindeutig friedenspädagogisch zu begründen und in den Dienst des Friedens zu stellen:
Klassenfahrten und Austauschprogramme unterscheiden sich ja gerade dadurch von privaten Urlaubsplanungen, dass sie (friedens-) pädagogische Ziele verfolgen. Wobei es auch den privaten Urlaubsplanungen nicht schaden könnte, wenn sie an demokratischen und friedenspolitischen Aspekten orientiert wären. Dann wären Urlaubsreisen nach Ägypten oder Tunesien seit 30 Jahren unterblieben.
Mit dem Ende der Wehrpflicht hat die Schule die Möglichkeit, die Ablehnung von Krieg und Gewalt zu einem bestimmenden schulischen Thema zu machen und die neue Freiheit in die Gesellschaft zu tragen.
Es geht auch darum zu erkennen, dass der Kampf der Kulturen, der Kampf der Religionen oder der Kampf der Ethnien gegeneinander Erfindungen derjenigen sind, die ein Interesse am gegenseitigen Kampf haben. Die meisten Menschen sind auf Dialog und auf Zusammenarbeit eingestellt. Ihr Verhalten ist von gegenseitiger Achtung und von Respekt geprägt.
Dazu gehört auch die Erinnerung an die gemeinsame Vergangenheit, die sich nicht in besser wisserischen Vorwürfen erschöpfen darf. Die Erinnerung kann dem Kampf um Gleichheit und um gerechte Lebensverhältnisse eine Glaubwürdigkeit verleihen, die zu aktivem Handeln motivieren kann. Wie sonst sollten wir uns – angesichts aktueller Diskriminierungen - für die Rechte von Sinti und Roma in Europa engagieren.
Der Kampf um die Gleichheit muss auch in den Schulen geführt werden, weil gleiche Bildungs- und
Lebenschancen in Deutschland schon lange nicht mehr gewährleistet sind.
Sozialer Friede – und mehr!
Es ist der Kampf zur Herstellung des sozialen Friedens in der Gesellschaft. Es ist ein emanzipatorischer Kampf und er wird global ausgetragen. Wir haben allen Grund, unsere Schülerinnen und Schüler mit denjenigen Entwicklungen in der Welt vertraut zu machen, die emanzipatorische, friedliche und solidarische Ziele verfolgen.
Während das Ende der Wehrpflicht in Deutschland aus der Sicht der Herrschenden als wichtiger Schritt für robuste Auslandseinsätze in einem permanenten Kriegszustand angesehen wird, rufen die Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden dazu auf, die Arbeit für den Frieden in der Schule und in der Gesellschaft wieder gezielt und gemeinschaftlich aufzunehmen.
Zehn Jahre staatlicher Krieg gegen den Terrorismus sind auch für die deutsche Gesellschaft genug! Zu viel Freiheit und Demokratie sind dabei verloren gegangen. Jetzt kommt es darauf an, dem Widerstand der Zivilgesellschaft gegen Krieg und Gewalt in gemeinsamen Aktionen für Frieden und Gerechtigkeit, für Menschenrechte und für den Schutz von Klima und Natur innerhalb und außerhalb der Schule neue Impulse zu geben.
Dabei nehmen wir uns die Freiheit, der Bundeswehr und ihrer Wehrerziehung die Tür zu versperren, und setzen uns ein für einen Frieden mit friedlichen Mitteln, der überall auf der Welt Geltung erhalten soll.
Bernhard Nolz (66) ist Lehrer i.R. und Träger des Aachener Friedenspreises sowie des Preises für Zivilcourage der Solbach-Freise-Stiftung. Sprecher der Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden (PPF), Vorsitzender des Bundes für Soziale Verteidigung und Geschäftsführer des Siegener zfk Zentrum für Friedenskultur.; Vorstandsmitglied der Zeitschrift „Wissenschaft & Frieden“ und Mitglied des Kooperationsrates der Kooperation für den Frieden.
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31.01.11