Amtsgericht Koblenz verurteilt Atomwaffengegner für Flugblattverteilung
Theisen: „Es ist kafkaesk, das sich zwei Gerichte am selben Ort wiedersprechen“
von Hermann Theisen und Roland Blach
Das Amtsgericht Koblenz hat den Heidelberger Atomwaffengegner und Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Hermann Theisen zu einer Geldstrafe von 600 Euro (30 Tagessätze) verurteilt. Theisen hatte im März und April 2013 vor dem Fliegerhorst Büchel und dem Hauptbahnhof in Koblenz Flugblätter verteilt und damit zur Teilnahme an der im Sommer 2013 geplanten Blockade des Atomwaffenlagers Büchel aufgerufen. Dies erfülle den Straftatbestand der Aufforderung zu einer Nötigung (§ 111 StGB, § 240 StGB), so Amtsrichterin Anke van den Bosch.
Die Bundeswehr erstattete nach den Flugblattverteilungen zweimal Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs, obwohl die Flugblätter außerhalb des Militärgeländes verteilt worden waren, und in Koblenz beschlagnahmte ein Staatsanwalt die Flugblätter ohne richterliche Genehmigung wegen „Gefahr in Verzug.“ Zuvor hatte die Stadt Koblenz die Flugblattverteilung während der angemeldeten Kundgebung untersagt. Am 27.02.2014 entschied das Verwaltungsgericht Koblenz, dass „die Untersagung des Verteilens der Flugblätter auf der angemeldeten Kundgebung als ein tiefgreifender Grundrechtseingriff einzustufen ist.“ Zudem stellte es fest: „Die Kammer teilt nicht die Einschätzung der Beklagten (Stadt Koblenz), die Verteilung dieses Flugblatts hätte zu einer strafbaren öffentlichen Aufforderung zu einer Nötigung im Sinne der §§ 111, 240 StGB geführt.“ (1 K 628/13.KO)
Dem widersprach nun das Amtsgericht Koblenz. Die Verteilung des Flugblattes sei durchaus strafbar und die Auffassung des Verwaltungsgerichts Koblenz könne sie nicht nachvollziehen, so die Richterin. Für ein nahezu identisches Flugblatt (Aufruf zur Blockade des Atomwaffenlagers Hasselbach) wurde Theisen vor 25 Jahren schon einmal verurteilt und in Erzwingungshaft genommen, weil er die Zahlung der Geldstrafe ablehnte. Die Staatsanwaltschaft Mainz leitete daraufhin von Amts wegen ein Gnadenverfahren ein, worauf die Geldstrafe im Gnadenwege erlassen worden ist. Jahre später wurde das Urteil dann aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nachträglich aufgehoben, da es verfassungswidrig ergangen sei und für die Erzwingungshaft bekam Theisen Haftentschädigung. Jetzt sei ein solches Flugblatt aber wieder strafbar, da sich die Nötigungsrechtsprechung eben erneut geändert habe, so Staatsanwalt Christoper do Paco Quesado in seinem Plädoyer.
Der Atomwaffengegner zeigt sich erstaunt über die Verurteilung des Amtsgerichts Koblenz: „Da kommt einem unweigerlich die Komödie 'Und täglich grüßt das Murmeltier in den Sinn', auch wenn der Hintergrund des Strafverfahrens, die illegale Bereithaltung von Atombomben auf dem Fliegerhorst Büchel, alles andere als komödiant ist. Aber das sich an einem Gerichtsort gleich zwei Gerichte in ein und derselben Frage völlig widersprechen, das ist schon kafkaesk“, so Theisen. Auch Rechtsanwalt Martin Heiming (Vorsitzender des Republikanischen Anwältevereins), der die Klage vor dem Verwaltungsgericht Koblenz geführt hatte, ist erstaunt über die Entscheidung des Amtsgerichts Koblenz und wird Rechtsmittel dagegen einlegen.
Roland Blach (Bundessprecher der DFG-VK, Koordinator der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“) erklärt zur Entscheidung des Amtsgerichts Koblenz: „Es ist schon grotesk, dass sich so ein Schauspiel 25 Jahren nach den großen Protesten gegen die Atomrüstung wiederholt und befremdlich, wie engstirnig Staatsanwalt und Richterin am Amtsgericht Koblenz agierten. Gerade in dieser Zeit, in der neue Atomwaffen für Milliarden von Euro entwickelt werden und der Konflikt in der Ukraine in einen neuen Kalten Krieg münden kann und in dem Atomwaffen eine überaus gefährliche Rolle spielen, ist der gewaltfreie Protest auch mit Blockaden nicht nur gerechtfertigt – er ist geradezu notwendig.“