In Syrien ist Vermittlung angesagt - nicht Drohung oder Scharfmacherei!
von Christof Grosse, Sprecher von pax christi-Kommission Friedenspolitik
Als Mitglieder der Kommission Friedenspolitik der katholischen Friedensbewegung pax christi verfolgen wir die anhaltende Eskalation des Konflikts in Syrien zwischen dem Regime Baschar al Assads und der Protestbewegung mit Entsetzen und Besorgnis.
Abermals droht eine im Umfeld der arabischen Rebellion 2011 zunächst hoffnungsvoll in Gang gekommene Bewegung des gewaltfreien Widerstands gegen ein autoritäres Regime in einen Bürgerkrieg umzuschlagen.
Lange mag das massenmedial vermittelte Bild brachialer staatlicher Repressionsgewalt gegen wehrlose Demonstrant/innen weitgehend zutreffend gewesen sein. Inzwischen setzen aber auch Regimegegner Maschinengewehre und Raketen ein und provozieren damit ein noch brutaleres Zuschlagen der „Sicherheitskräfte“.
Westliche Politiker und „Leitmedien“, denen im Traum nicht eingefallen war, die gewaltfreie Bewegung rechtzeitig, zuverlässig und konstruktiv zu unterstützen, hören verstärkt auf unversöhnliche Rufe nach einem bewaffneten Eingreifen der „Weltgemeinschaft“ und drehen damit ihrerseits an der Eskalationsspirale. Verwirrende, nicht wirklich überprüfbare Gräuelmeldungen verschärfen die Gegensätze und sollen Interventionsbereitschaft schaffen und eine Intervention im Voraus rechtfertigen. In dieser Konfliktentwicklung zeichnet sich das gleiche Muster ab, das von anderen Konfliktkonstellationen, in die der Westen sich im vergangenen Jahrzehnt militärisch eingemischt hat, bestens bekannt ist. Kosovo, Afghanistan, Irak und Libyen sind die Hauptstationen.
Militärisches Eingreifen in augenscheinliche Unrechtsverhältnisse zur Destabilisierung von Herrschaftssystemen, die sich ohne Repression kaum halten können, die aber vor allem westlichen Mächten gegenüber die „geschuldete“ Hörigkeit vermissen lassen, führt zu unsäglich leidvollen Bürgerkriegen und zu erneuter Ausbeutung und Unterdrückung - dann durch Unrechtsregime von des Westens Gnaden. Was vor diesem Hintergrund jetzt in Syrien am allerwenigsten zu einer für alle Seiten halbwegs akzeptablen Konfliktregelung beitragen würde, ist eigeninteressengeleitete parteinehmende Einmischung von außen.
Der Westen insbesondere muss seine Politik korrigieren, darf sich nicht als Scharfmacher betätigen, kann bestenfalls als ehrlicher Vermittler hilfreich sein. Ein wichtiges Kriterium ehrlicher Vermittlung ist der Verzicht auf Doppelmoral, sowohl bei der Beurteilung und Bewertung der Konfliktparteien, wie bei den Leistungsanforderungen an sie. Darüber hinaus ist in den Revolutionswirren im arabischen Raum nicht nur das Ideal der Demokratie, der Selbstbestimmung der Völker zu verteidigen, sondern auch das damit zutiefst verbundene Ethos der zivilen Konfliktbearbeitung und der Gewaltfreiheit, mit dem die Aufständischen dort angetreten sind.
Wir erwarten von der europäischen und deutschen Außenpolitik, dass sie in die Konfliktlage in Syrien - und im Nahen und Mittleren Osten überhaupt - eine politische und diplomatische Vermittlungstätigkeit einbringt, die sich durch Fairness und durch kritische - und nicht zuletzt selbstkritische - Auseinandersetzung mit politischer Gewalt und Gewaltandrohung auszeichnet. Eine neue Wertschätzung des bewährten Instrumentariums der OSZE und dessen umfängliche Inanspruchnahme könnten unseres Erachtens die Eskalation stoppen, eine Deeskalation in Gang setzen und damit eine konstruktive Bearbeitung der Konflikte befördern.
Dagegen würde ein Rückgriff auf kriegerische Mittel - ein militärisches Eingreifen von außen - die destruktive Konfliktdynamik außerordentlich verschärfen und wie in Libyen zu einer wesentlich fataleren Opferbilanz und höchst fragwürdigem „Erfolg“ führen. Wir sind zutiefst überzeugt, dass nur auf dem Weg des Verzichts auf Gewalt und Zwangsmacht zufriedenstellende akzeptable Lösungen mit vergleichsweise geringen menschlichen Opfern zu erreichen sind.
Pforzheim, 17.01.2012
pax christi-Kommission Friedenspolitik
Christof Grosse, Sprecher