Heinz Eulenfeder – Die Abenteuer des unbraven Soldaten Eulenfeder
Wie der Staat gestrickt ist, der da über uns wacht und regiert, erfährt man, wenn man einmal ernsthaft versucht, sich ihm zu widersetzen. Demütigung, Schikanen, völlig unsinnige Unterwerfungsrituale sind das, was man lange Zeit als zum “normalen” Lebenslauf eines jungen Mannes gehörig betrachtet hat. Wer sich der Demütigung widersetzt, erntet – schlimmere Demütigungen. Es ist schwer, unter diesen Umständen wenigstens eine innere Freiheit, einen Rest von Würde und Stolz zu bewahren. Unser Autor Eulenfeder dokumentiert in diesem in Grundzügen wahren Beitrag die Geschichte einer ungewöhlich radikalen Verweigerung. Ungewöhnlich nur im Umfeld des bösartigen Irrsinns, den als normal zu betrachten wir gewöhnt sind. Bei der Lektüre gewinnt man immer mehr den Eindruck, dass die Verweigerung des Ausnahmemenschen eigentlich das Normale, die Beugsamkeit der Mehrheit dagegen das Erstaunliche an dieser Geschichte ist. Viele “Eulenfedern” wären der Alptraum der Staatsmacht. Es wäre ein nicht abrichtbares, ein nicht zu brechendes, ein nie mehr für absurde und destruktive Zwecke verfügbares Volk. - Roland Rottenfußer (*1963)
Wehrzersetzung auf Oberpfälzisch – oder wie man eine ganze Kompanie besiegt
Eine der vielen guten Wesenseigenschaften der Oberpfälzer ist – nebst knurriger Verschrobenheit (hinter welcher aber ein Herz steckt) – die Tatsache, dass in jedem ein kleiner Anarchist zu hause ist. Etwas aufgezwungen zu bekommen, das mögen sie überhaupt nicht…
“hast du gewusst dass die eldjäger den Hubi geholt haben?” – “ehrlich Franzl?”, frage ich überrascht, “wann denn, heute?” – “nein, schon vorgestern, seine mutter hat’s mir gesagt, gestern.” “scheisse”, sage ich. “der Hubi, warum gerade ihn”. wir sitzen in unserer stammkneipe, ich bestell mir noch ein weissbier auf den schreck, und wir reden über diese ungerechtigkeit, bedauern es sehr. Der Hubi war einer, den man nur mögen konnte. mit ihm zusammen aufgewachsen in jener siedlung, auch einer mit diesem wunderbaren “leckt’s-mich-doch-alle-am-arsch-gefühl”. nicht negativ zu deuten, vielmehr eben der anarchische widerstand gegen zwänge jeglicher art. schon durchaus seelenverwandt waren wir, und wie es seine art war, hatte er diese unwichtigkeit der einberufung nie erwähnt, und logisch war er dieser auch nicht gefolgt. so sitzen wir also etwas bedrückt und reden über ihn. kurz vor mitternacht geht die tür auf, und wer kommt rein, mit einem grinsen im gesicht? der Hubi! wie von ihm gewohnt, in seiner sympathischen art – wohl kaum etwas konnte ihn wirklich aufregen -, beantwortete er unsere wissbegier nur mit seinem gewohnten lässigen schulterzucken: “ausgerissen bin ich halt und wieder heimgefahren”, als wär’s das selbstverständlichste. wunderbar, nun in fröhlicher runde noch einige weissbier zu vernichten – bis, kurz bevor unsere kneipe dicht machte, wieder die tür aufging und feldjäger hereinkamen! unseren Hubi haben wir dann 18 monate nicht mehr gesehen. vor einem zivilgericht wegen wiederholter fahnenflucht zu 18 monaten gefängnis verurteilt.
spät, aber leider doch noch, bekam ich ca. ein halbes jahr später selbst die einberufung. wut im bauch. wie schon gesagt, für den natural born anarchist eine ungeheure missachtung seiner selbstbestimmung und der festen antimilitärischen grundhaltung. niemand zwingt mich zu einem dienst, weder militär noch ersatzdienst. eine frechheit, über mein leben bestimmen zu wollen. aber was kann ich machen, um dem gefängnis zu entgehen? muss einen anderen weg gehen, und da hatte ich die idee: ich werde einrücken, aber dort dann alles verweigern. euch werd ich’s zeigen, zu was ein freigeistiger oberpfälzer dickschädel fähig sein kann. ihr werdet es erfahren müssen, denn ihr wollt es ja so.
also komme ich an dort bei der luftwaffe, ganz bewusst drei stunden zu spät als schon mal erstes zeichen des widerstandes, eine flasche jim beam im rucksack, half-gallon, übliche schmuggelware von den amis. war wohl der letzte neue “rekrut”, die reaktion des feldwebels, der als erstausrüstung decke, schlafanzug, bettzeug und anderes ausgab, liess keinen anderen schluss zu. laut mich anbrüllend: “wo kommen sie denn her, sind sie wahnsinnig? wissen sie, wie spät es ist!?” – “pass mal auf, freund” sage ich mit erhobenem zeigefinger, “wenn du mit mir in irgendeiner art und weise reden willst, dann musst du dir einen anderen ton einfallen lassen…” – noch lauter brüllend drohgebärdlich er: “was erlauben sie sich, ihnen werden wir schon noch manieren beibringen!” – ich gehe wieder raus aus dem gebäude, aus der kaserne richtung bahnhof. kurz vor dem bahnhof rast ein jeep heran, vier feldjäger springen raus und nehmen mich fest, bringen mich zurück, und ich stehe wieder vor diesem affen. diese meine erste erziehungsmassnahme hatte wirkung, derart, dass er mir ohne ein wort die sachen aushändigte und nur noch in normalem ton sagte: “gehen sie auf stube 16, um 20 uhr kommt der ausbilder.”
also komme ich in stube 16 und sehe 3 stockbetten, alle belegt – mhhh, naja – “befehl ist befehl” dachte ich mir mit einem grinsen, denn ich hatte schon die nächste gute idee, ging rüber auf stube 15, ein oberes bett war frei, schleppte dieses rüber in stube 16 und rückte es neben den tisch. eine riesige freude breitete sich im bauch aus, denn meine rache für diese zwangs-einberufung hatte begonnen, und welch eine genugtuung für mich, nun in verweigerung die kompanie zu bekämpfen. die anderen auf der eigentlich schon vollbesetzten stube fanden es lustig, erst recht als ich den whiskey hervorzauberte. es wurde eine fröhliche runde, bis 20 uhr jedenfalls. exakt zu jener stunde flog die tür auf und ein “ausbilder” kam herein in begleitung eines weiteren irgendwas darstellenden. er riss das maul auf, und wieder dieses unverschämte brüllen, das ich überhaupt nicht mochte. der whiskey hatte schon hervorragende wirkung auch. “was fällt ihnen denn ein! sind sie wahnsinnig!?” – “mir fällt vor allem ein, dass sie hier unverschämter weise hereinplatzen und unsere fröhlich runde stören”, sag ich noch in guter laune. “also bitte ich darum, die tür wieder zuzumachen und zwar von aussen’. der gute mann erstarrte, sowas hatte er noch nicht gehört von einem untergebenen. verdutzt stand er da, verwirrt auch irgendwie – um aber dann doch wieder loszubrüllen: “sie sind ja betrunken! und was wollen sie hier überhaupt in dieser stube, diese ist mit 6 mann schon voll belegt.” – “das interessiert mich einen scheissdreck” entgegne ich nun schon etwas gereizt. “ich habe einen befehl ausgeführt, sonst nichts – und nun schleich dich, wir wollen noch bischen feiern.” er zieht eine trillerpfeife aus der uniform und bläst hinein, schrill und laut hallt es durch die gänge, und kurze zeit später kommen zwei soldaten angerannt, wachbereitschaft wie ich später erfuhr. ich wurde aufgefordert, diese zu begleiten und landete in der zelle im wachbau, gleich hinter der einfahrt-schranke. befriedigt – schon wieder ein sieg – und mit der gewissheit, alles genau richtig zu machen, bin ich dann selig dort eingeschlafen.
am nächsten morgen aus der zelle entlassen und zum kompaniechef geführt, immer noch in meinen zivilen klamotten, meint dieser mir eine strenge belehrung vortragen zu müssen. “was haben wir denn da für einen! ich hoffe so etwas kommt nicht mehr vor und ich hoffe wir haben uns verstanden!” – “das glaub ich kaum, dass wir uns verstehen” entgegne ich mit einem grinsen. “raus mit dem kerl”, schreit er. ich werde nach stube 15 begleitet, das entliehene bett war wieder da, ein ausbilder kommt und erklärt den ablauf der abmeldung zum zapfenstreich. danach verdrück ich mich, schaue mich um, es muss eine kantine geben. finde sie und lass mich vollaufen.
kurz vor 22 uhr gehen alle, ich folge torkelnd, finde die stube und irgendwie war die stimmung angespannt dort. ich erkannte die gewisse angst der anderen vor diesem ersten abmelden. “könnt euch ruhig ins bett legen, ich mach das schon”, sage ich. inzwischen waren schon stahlhelme und anderer blödsinn ausgeteilt worden. ich ziehe mich nackt aus – splitternackt – und setze mir den stahlhelm auf, warte der dinge die da kommen, vorfreudig, erinnere mich an jenen spruch, der nun wohl aufzusagen war, wenn die abmeldung dann stattfand. die tür wird wild aufgerissen, ein herrischer typ in feldwebel-uniform bricht herein, einem feldherren gleich. ich stehe in nur einem meter abstand nackt vor ihm, mit dem stahlhelm auf dem besoffenen schädel, lege die grusshand an diesen und sage vorschriftsmässig: “flieger fröhlich, stube gereinigt und gelüftet, fünf mann in den betten, einer beim abmelden”, lasse die hand zackig wieder nach unten fahren. der typ reisst das maul auf, aber irgendwie wollen keine worte folgen, kein geschrei zunächst mal. er glotzt ungläubig, schaut mich von oben nach unten an, dann reisst er die trillerpfeife raus und bläst wild hinein. wieder kommen zwei von der bereitschaft angerannt, nach einer decke wird befohlen, diese mir übergeworfen, festgenommen und wieder in die zelle, die ich schon kannte. und wieder mit genugtuung dort friedlich eingeschlafen. mein feldzug der verweigerung hatte begonnen.
erst gegen mittag am nächsten tag wurde aufgesperrt, etwas zum anziehen gebracht, und es folgte erneut die begleitung zum kompanie-chef. “sie sind wohl völlig wahnsinnig geworden!”, brüllt der oberaffe im beisein einiger ausbilder. “ist ihnen klar wo sie hier sind?” – “ja”, entgegne ich ruhig. “dort wohin man mich gezwungen hat. aber wenn sie meinen, sie könnten mir meine wertvolle lebenszeit mit diesem schwachsinn stehlen, dann haben sie sich getäuscht. jedenfalls müssen sie nun schauen, wie sie mit mir zurecht kommen, und nicht umgekehrt.” – “abführen!”, brüllt er rot vor zorn, und ich lande wieder in der zelle. denke nach über die mir längst bewusst gewordene hilflosigkeit dieser trottel, hilflos in ihren strafmassnahmen, die ja keine waren für mich – eher befriedigung. und ich wollte nun tatsächlich gänzlich herausfinden und auch erfahren, was sie wohl machen, wenn ihnen dann wirklich bewusst wird, dass man mich nicht bestrafen kann, dieses unterdrückungs-system nicht funktioniert, wenn man sich nicht unterdrücken lässt, ganz einfach. totschlagen konnten sie mich nicht, strafen berührten mich nicht, egal was ihnen da alles einfiel. und wie lächerlich hilflos sie dann zunehmend wurden, nicht mehr wussten, was sie machen sollten mit diesem stur verweigernden oberpfälzer.
die unehrenhafte entlassung war mein ziel zunächst.
dieses militärkasernen-konstrukt ist ein derartiger schwachsinn, dass man eigentlich kaum glauben kann, dass es so etwas überhaupt gibt. ich jedenfalls hatte so viel schwachsinn an einem ort noch nie gesehen. es funktioniert innerhalb eines belohnungs- und bestrafungssystems. die mittels dienstgraden belohnten wurden zunehmend schwachsinniger, die bestraften schienen etwas normaler zu sein. so leicht dies zu erkennen war, so leicht war es natürlich auch zu durchschauen. die meisten rekruten hatten angst, nicht am wochenende nach hause fahren zu dürfen. diese erste strafandrohnung, die man den “auszubildenden” warnend zukommen liess, hatte eben diese wirkung, dass sie sich brav zu soldaten machen ließen. undenkbar am wochenende nicht nach hause fahren zu können und der liebsten nicht sein leid klagen zu können – und so funktionierten sie halt (durchaus auch verständlich diese angst). derartige druckmittel zur gefügigmachung gab es sehr viele. mal ein paar aufgezählt, die man mir angedeihen liess, und zwar auf dauer und von anfang an: kein ausgang, kein sold (bis auf einen kleinen lächerlichen betrag den sie wohl gesetzlich ausbezahlen mussten, reicht gerade so für tabak, für bier kaum), die zelle die ein ort der ruhe für mich war – bis zu sieben tage, kantinenverbot (die wirtin war sympathisch, hat mir immer zugezwinkert und weggeschaut). weitere strafmassnahmen wie liegestützen, kniebeugen, robben und vieles mehr wurden von mir ja verweigert, jegliches anschreien hatte ich ihnen verboten – was wieder andere strafmassnahmen zur folge hatte.
aber wie schon geschildert, waren es keine strafen, sondern blanke genugtuung für mich. einen sieg nach dem anderen konnte ich feiern, stolz war ich. freilich gaben sie nicht so leicht auf. “bisher haben wir noch jeden klein gemacht”, war wohl deren überzeugung. aber sie hatten eben noch keinen unbeugsamen wie mich in der kaserne, und zunehmend wurden sie hilfloser. keine strafmassnahme wirkte, die mittel wurden knapper. wenn man durchblickt, dass der ausbilder auch nicht ins wochenende heimfahren kann, solange sich einer widersetzt, naja dann wartet man halt einfach bis dieser entnervt und entmutigt aufgibt, damit er heimfahren kann. zunehmend wurden solche versuche, mich zu einem soldaten zu machen, auch seltener. mehr und mehr gingen die ausbilder und auch höhere idioten mir aus dem weg, auf die andere strassenseite sogar – wussten sie doch inzwischen, dass jeglicher versuch, mir irgendetwas zu befehlen, in einer katastrophe endete, die sie auszubügeln hatten, nicht ich! auch der kompaniechef hatte längst aufgegeben, eingesehen dass bei mir hopfen und malz verloren schien, viele “gespräche” gab es weiterhin – nach verweigerungen diverser arten, aber nun unter vier augen, ruhiger ton, fast schon ein bittendes belehren, aber vergeblich. ich kleidete mich wie ich wollte, liess die hände in den hosentaschen, grüsste nicht, reagierte nicht.
nach dem letzten nun dreitägigen zellenaufenhalt – in der stube hatte ich bisher noch nicht geschlafen – wurde die vereidigung angekündigt. ich machte klar, dass ich nicht zu vereidigen sei, wurde dann vorsorglich von feldjägern in handschellen in jenen raum gebracht, wo die vereidigung stattfand. ein offizier sprach den text und alle – bis auf mich natürlich – sagten: “ich schwöre”. mein mund blieb zu, zwangsvereidigung nannte man das. eine neuerliche frechheit, die mich zu höchstform anspornte, und nun suchte ich noch mehr die konfrontation, ärgerte mich ab und zu, dass sie mir aus dem weg gingen. also musste ich etwas ausbildung schon mitmachen, um wieder gründe zur verweigerung zu haben, weitere siege feiern zu können. und solches geschah unter anderem wie folgt beschrieben: “wenn ich sage, dass der schnee schwarz ist, dann ist der schnee schwarz – verstanden”. wieder einer dieser blödsinnigen versuche eines ausbilders macht auszuüben. – “man muss schon völlig farbenblind sein, wenn man weißen schnee für schwarz hält”, war meine antwort. “wenn alle singen, flieger fröhlich, dann singen sie auch mit!” ich hielt ihm provozierend meinen geschlossenen mund hin, und das wiederholte sich, bis er aufgab. strafmassnahme die folge. nach meiner ersten nacht auf der stube früh am morgen ein furchtbares geschrei auf dem gang: “raustreten, in reihe und glied antreten!” die anderen überstürzten sich geradezu diesem befehl nachzukommen – ich blieb erst mal liegen, wartete ab bis das gewusel vorbei war und kam dann als letzter, beim durchzählen vermisster: in unterhose und meinen roten privatsocken und stellte mich in die reihe. was für ein köstliches bild. verhaftung, weil nicht zu anderem zu bewegen und wieder in der zelle. diesmal vier tage.
am späten nachmittag entlassen, mächtigen durst verspürend, suchte ich sofort die kantine auf – kein geld. naja wird schon irgendwie gehen. dann geschah wunderbares: ich komme rein und alles beginnt zu jubeln, zu klatschen, schulterklopfen. man stritt sich fast darum, wer mir als erster ein bier ausgeben kann. ich war zu einem bewunderten helden geworden, was für eine auszeichnung! die armen tröpfe waren neidisch auch, war ich doch inzwischen fast allem militärischen drill entzogen, machte was ich wollte. sie trauten sich nicht, aber ich hatte verständnis. mein ruhm nahm etwas ab, als “vorgesetzte” das letzte mittel auspackten, das sie noch zur verfügung zu haben glaubten: die kollektivstrafe. das tat mir für den einen oder anderen leid, denn der gesamte ausbildungszug durfte wegen mir nicht ins wochenende heimfahren – aber ich konnte meine haltung nicht ändern. somit war auch dieses letzte mittel ausgeschöpft, und sie versuchten mich mittels wachdienst gefügig zu machen. fehlgeschlagen, denn dazu braucht man einen waffenschein, eine ausbildung an waffen. meine frage an denjenigen, der solchen auszustellen hatte: “sind sie sicher, dass sie mir eine waffe geben wollen?” genügte, dass ich eben keinen waffenschein und damit auch keine waffe bekam, und so war ich auch vom allgemein gehassten wachdienst (2 stunden wache, 4 stunden schlafen, und das 3 monate lang ) befreit – letztendlich zu rein gar nichts zu gebrauchen.
wo bleibt die ersehnte unehrenhafte entlassung? werde beim kompaniechef mal nachfragen, ihm klar machen, dass er sich eine menge ärger ersparen würde damit. aber die kam nicht, und so musste ich drastischer zu werke gehen. morgens wird die fahne hochgezogen, abends wieder eingeholt, von der fahnenstange – ein feierliches, schwachsinniges ritual, streng vorgeschrieben. da sah ich eine chance für einen wirklichen entlassungsgrund und stellte mich direkt neben diese zeremonie, abends als die fahne heruntergelassen wurde. einer zieht an dieser schnur, die fahne kommt runter (deutschlandfahne mit reichsadler). während diesem vorgang hat jeder in der kaserne stillzustehen und in richtung fahne zu grüssen), und normalerweise wird sie dann von zwei soldaten säuberlichst in rituell vorgeschriebener art und weise gefaltet bis auf eine bestimmte grösse, um sie dann feierlich wegzutragen. ich nehme die fahne an mich, schmeisse sie auf den boden und trete drauf, wisch mir die schuhe ab. Sieben tage arrest. alle anderen strafmassnahmen zudem noch laufend, alle ausgeschöpft, kein geld, kein ausgang, strafbereitschaft an den wochenenden, die ich aber verweigerte. nun müssen sie doch bald mal begreifen, dass die entlassung die einzige möglichkeit war mich loszuwerden.
aber es kam anders: jeglicher militärischer funktion enthoben, steckte man mich in die schreinerei der stov (standortverwaltung mit schreiner, elektriker, schlosser – privatleute vom handwerk ). der Franz, der alte freundliche schreinermeister, freute sich diese berühmtheit als gehilfen zu bekommen. er war begierig alles von mir zu erfahren, zeigte seine sympathie für mich. er war ebenso angewidert vom diesem schwachsinn, machte halt seinen job als schreiner, mehr nicht. “komm bazi”, sagte er immer, und dabei legte er seinen arm väterlich auf meine schulter. “gehen wir runter in die kantine und trinken wir eine halbe”. diese halbe zumindest war der preis, den er gerne zahlte, um von mir meine neuesten streiche als erster erfahren zu können, und er kam aus dem lachen kaum mehr heraus. ich mochte diesen sympathischen, freundlichen und urgemütlichen oberfranken.
eines morgens, war gerade auf dem weg in die schreinerei – ausgeschlafen, denn früh antreten oder anderes unsinnige war ja für mich nicht notwendig, längst gemütlich eingerichtet, keine ordnung oder sonstig militärisch vorgeschriebenes, keine versuche mehr mir ordnung beibringen zu wollen. links liegengelassen irgendwie, was mich zugegeben etwas ärgerte. war das ein trick, um mich trotz allem hier behalten zu können? aber hier gehörte ich nicht hin. die entlassung wollte ich erzwingen, war weder aktiver, noch geduldeter inaktiver soldat.
an jenem morgen nun wurde ich von zwei seltsam erscheinenden typen in mantel und hut aufgehalten. man bat mich ihnen in einen raum zu folgen, ein kleiner raum mit einem kleinen tisch und einem stuhl, auf den ich mich zu setzen hatte. die tür war nur von außen zu öffnen, vor der tür ein wachsoldat. schon seltsam irgendwie. die beiden weisen sich als offiziere vom MAD aus (militärischer abschirmdient). einer holt seine dienstwaffe aus dem mantel und legt sie vor mich auf den tisch. schweigen, abwarten. “ihr haltet mich nicht für so blöd, dass ich nach der waffe greife oder?”, frage ich. etwas mulmig wurde mir schon, sie warten ab und schweigen zunächst, stehen vor mir und wirken bedrohlich. der waffenbesitzer nimmt die pistole, zieht das magazin heraus, zeigt mir, dass es leer ist, lädt durch und gibt einen blindschuss an die wand ab, um mir zu zeigen, dass die waffe tatsächlich nicht geladen ist. aber der andere hatte mit sicherheit auch ein waffe.
“können sie die waffe bitte zerlegen”, so der andere in einem befehlston. “denke gar nicht daran”, meine antwort. wollen die meine fingerabdrücke auf der waffe? er nimmt sie wieder und zerlegt sie blitzschnell bis auf jenen kleinen metallkasten, in welchem der schlagbolzen liegt. “was soll der zirkus?”, frage ich – “was meinen sie, kann man den schlagbolzen zerbrechen?” fragte der andere wieder. – “woher soll ich das wissen
ich antworte nicht mehr, beginne zu begreifen, dass die mir irgendwas unterschieben wollen, eine sache bei der der spass wohl aufhört. “sie waren letztes wochenende in der zelle, und der stellvertretende wachhabende hat sie nachts aus der zelle gelassen, sie haben dann im wachlokal mit anderen karten gespielt, bier getrunken!” – stimmt, aber ich weigerte mich dies zu bejahen. jener gute typ hatte mich tatsächlich rausgelassen und erst früh am morgen wieder eingesperrt, wollte ihm nicht schaden. “sie wissen doch bescheid, dass die RAF kasernen überfällt, um an waffen zu kommen. in dieser nacht waren beim wachsoldaten, beim stellvertreter und beim wachoffizier die schlagbolzen ihrer dienstwaffen zerbrochen, unbrauchbar gemacht.” – “lasst mich im ruhe mit diesem blödsinn”, sage ich bestimmt. sie versuchen noch was zu erfahren, mich zu aussagen zu bewegen und geben irgendwann auf. ich kann diesen speziellen verhörraum verlassen und verdrück mich in die kantine. ganz schön linke tour, denke ich mir, aber ich muss weiter an meiner entlassung basteln, einschüchtern lass ich mich nicht.
weihnachten! ich als einziger in der kaserne, außer wachbereitschaft niemand da. überlege was ich anstellen könnte: was neues, geniales, und da kam mir eine geniale idee. am 1. weihnachtsfeiertag, so hatte ich mitbekommen, gab’s eine weihnachtsfeier für die offiziere, samt kompaniechef, im grossen speisesaal. also gehe ich dorthin. mein erscheinen unterbricht abrupt die feierliche stimmung – stille. es riecht verführerisch nach glühwein und stollen, die tische an den wänden aneinandergereiht, festliche tischdecken, kerzen, grünzeug, stollen, plätzchen. offiziere samt ehefrauen glotzen mich erstarrt an, ein alptraum wohl. kein einziger dort, der nicht schon mal das missvergnügen hatte mich kennenzulernen. gleich links neben der eingangstür sitzt der kompaniechef mit seiner frau. ich setz mich neben ihn, sag “servus leute”. keiner rührte sich. die gefahr, dass ich irgendeinen blödsinn machen würde und damit die schöne feier zerstöre, war wohl gross, sie waren irgendwie gelähmt. ich zog einen stiefel aus, langte nach der grossen metallenen kanne, aus der glühwein dampfte, stellte den stiefel auf den tisch, goss ihn voll, hob ihn feierlich, blickte ebenso feierlich in die runde und sagte: “prost meine damen und herren!”
der eine oder andere war schon geneigt – um des friedens willen -, es mir gleichzutun. ich saugte mich voll mit dem köstlichen glühwein, rum auch drin. da löste sich die knisternde spannung, als einer die nerven verlor: “was fällt ihnen eigentlich ein!?” das war dann das signal für die anderen, ebenfalls loszuschimpfen. Zwei mutige kamen ihrem chef pflichtbewusst zuhilfe, und man befahl mir, den raum sofort zu verlassen. ich trinke den stiefel leer und winke gelangweilt ab. ein tapferer offizier packt mich am arm. “finger weg!”, sage ich. “keiner langt mich an!” sie langen zu zweit zu, ich stehe auf und wehre mich. ein händel entsteht, und ich serviere einem der offiziere einen sauberen oberpfälzer rundschlag. er streckt sich, andere stürzen sich auf mich. ich werde überwältigt. die inzwischen heranpreschende wachbereitschaft samt wachoffizier schleppt mich in meine zelle – 7 tage diesmal. welchen grund sollte es geben, mir selbst etwas vorzuwerfen? keinen natürlich – hatte ich doch lediglich freundlich eine feier besucht und ein prosit ausgerufen.
einige wochen später zivilverhandlung am amtsgericht, der saal voll mit offizieren, ich der einzige in zivil. presse. ein schauprozess. befehls- und gehorsamsverweigerung in 121 fällen, sachbeschädigung, wehrzersetzung, tätlicher angriff auf einen offizier, körperverletzung, beleidigung, unehrenhaftes verhalten, verunglimpfung staatlicher symbole, unbelehrbarer, hoffnungsloser fall. 18 monate gefängnis auf bewährung zunächst. die bewährung wurde später widerrufen. es gab für mich keinen anlass mich bewähren zu müssen.
für mich ein sieg auf der ganzen linie, erhobenen hauptes, ungebrochen, stolz, frei …
Heinz Eulenfeder (*?)