Fried auf Erden, Fried und Liebe!
Also tönt's in Kirchenhallen,
Wenn das Jahr sich neigt zu Ende
Und die Weihnachtsglocken schallen.
Und in Hütten und Palästen
tönt es "Friede! Friede!" wieder
Und der Menschen Bruderliebe
Feiern viele tausend Lieder.
Doch was ist's, das dumpf und drückend
Dennoch auf den Völkern lastet?
Und wem gilt Eisenwerk die
Arbeit, welche nimmer rastet?
Wozu muss man noch Kanonen,
Panzerplatten, Kugeln gießen?
Sollen stets noch auf dem Schlachtfeld
Ströme Bruderblutes fließen?
Sollen Recht und Frieden walten
Nur wo Stammesbrüder wohnen?
Sterben Recht, Gesetz und Frieden
Bei dem Grenzpfahl der Nationen?
Gilt das Wort: "Du sollst nicht töten!"
Nur von einer Einzelfehde?
Wandelt sich's in: "Du sollst töten!"
Wenn von Völkern ist die Rede?
Wenn im Streit der Interessen
Staaten sind die Kampfparteien,
Gibt es da kein friedlich Schlichten?
Nur ein blutiges Entzweien?
Was im kleinen streng verboten,
Ist's im großen Pflicht und Ehre?
Das Gebot der Bruderliebe,
Ist es falsche Lehre?
"Ja," so hör' ich da und dorten,
"Krieg muss sein auf dieser Erden,
Weil die Menschen Zücht'gung brauchen,
täten allzu gottlos werden."
- Liebe Freunde, lasst den Himmel,
Lasst das Schicksal dafür sorgen!
Schicksal kann genug uns zücht'gen,
Brauchen nicht den Arm ihm borgen.
"Aber Heldentum, Gehorsam,
können nur im Krieg gedeihen!
Ist es groß nicht, einer großen
Sache Gut und Blut zu weihen?"
- Groß ist's eine großen Sache
Ganz und frei sich hinzugeben,
Selbstverleugnend alles opfern,
Sonderwillen, Gut und Leben. -
Aber sollte nur dem Kriege
Echtes Heldentum entsprießen?
Blühen Hochsinn, Selbstverleugnung
Denn nur unter Blutvergießen?
Ist auf dieser weiten Erde
Sonst kein Platz für große Taten?
Kann Unsterblichkeit denn einzig
Wachsen unter Kugelsaaten?
Muss man des Gehorsams willen
Sich erniedrigen zum Würger?
Kann man nicht die Heimat lieben
Friedlich als ein Weltenbürger?
Wir, wir glauben, dass es möglich
Wenn auch erst in fernen Zeiten;
Und wir möchten diesem Glauben
Eingang überall bereiten.
Wollt ihr bei dem Werk uns helfen?
Ist er uns auch nicht beschieden,
Wird doch einst der Tag erscheinen,
Da erblüht der Völkerfrieden.
Marie Springer (1865-?), aus Friedens-Blätter, 1906