Friedensgedicht – Für das Leben!

"Bist du das Gesicht?"

Bist du das Gesicht
dass ich kürzlich,
während der Tagesschau
für zwei Sekunden in der
Fotogalerie des Todes -
zum traurigen Medien-Star
aufleuchten sah?

Bald vier Jahre ist es nun her:
Ich stand vor dir
im Zug nach Berlin.'
Es war ein sonniger, schöner Tag.
Du schautest mich an:
Lachend, mit stolzem Gesicht.
Fest eingedrückt in Kameraden-Schar.
Spiel-Karten in der Hand . -
Wie alle jungen Soldaten vor dir
aus den letzten hundert Jahr.
in vollgestopften Zügen, die sie
nicht schnell genug aus dem Frieden
fortreißen konnten.

Du hast mich erinnert
an meinen Sohn,
der jetzt wohl so alt ist
wie du damals warst.

Ich hielt dir die Liste
zum Unterschreiben hin -
gegen den Krieg und sprach
zu dir gegen den Wahn.

Dein Gesicht strahlte
jugendliche Unbekümmertheit,
strahlte Zuversicht aus:
Mir passiert schon nichts.
Flieg von Berlin
nach Afghanistan.
Ich bin doch geschützt
von der Bundeswehr.
Auch wärs sonst Verrat
an der Demokratie
für mich als Soldat -
Und außerdem -
wie solln denn sonst
freie Wahlen
in dem Lande entstehn?

Ich setzte zum Diskutieren an.
Und wusste schon bald:
Gegen kasernierte, infiltrierte Droge
von Soldatentaumel im Gepäck
und Gruppenzwang
kommst du allein nicht an.

In Ausflugslaune, mit guter Stimmung
wurde weiter gezockt.-
Sie wussten von nichts.
Derweil haben Menschen
in ihren brennenden Häusern
geschrien
bis zuletzt.

Deine Kameraden und du
'ihr ließet mich
ohne Unterschrift gehn.
Die meisten von euch
werden bald alle
vor Kriegsbildern fliehn
und verstehen
bis zuletzt.

Ein paar Reihen weiter im Zug
'zogen sich hastig
adernreiche, alte, zitternde Hände -
aus dem Schoß, der nicht mehr
fruchtbar war.
beiderseits blickten wir uns
ohne viel Worte
verstehend an und griffen
zu Stift und Papier.

Die Listen füllten sich schnell.

Warum nur
warum wart ihr nicht im selben Abteil!


Warum nur
warum wart ihr so stumm?

Hättet mit wunden,
faltigen Seelen
von Tod und Ascheregen,
verzweifelt und schreiend
in Schützengräben
nach einem Stück Brot und Wasser
suchend
doch erzählen können.

Hätten Mütter und Väter,
Schwestern und Brüder
doch bloß festgehalten!
Zum Ausprobieren
ist keine Zeit -
Da bleibt nur die Ewigkeit.

Wie viel traurige Medien-Stars
wolln wir noch sehn?

Wie viele Wirtschafts- und
Rüstungslobbyisten dürfen noch
mit humanitärem Nebelgesäusel
Verbrechen begehen?

Wie viele Jahre noch
dürfen Mandatsträger,
Grundgesetz und Völkerrecht
brechend
für Profitgier und Macht
in Amt und Würden
stehn?


Es stirbt sich kein
Heldentod
für Demokratien im
Unrechtsstaat.
Denn Krieg ist Verrat!
An der Zukunft, der Jugend,
der Menschlichkeit!
Ist Verrat an
diesem jungen Gesicht!

Es wollte leben und glaubte,
dass etwas Gutes geschehe
aus diesem Staat.

Wer jetzt noch
die Hand hebt im Parlament
und verlängert die Qual -
dem wünscht ich wohl tausendmal:
In ihren Träumen
die erloschenen Augen
die vielen Gesichter
des ganzen Elends zu sehn!


© Monika Riemer (*1952)