Vom Soldaten zum gewaltfreien Kämpfer

Die oft zitierte Unterscheidung Max Webers zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik trifft auf Menschen wie Gandhi, King oder die Brüder Daniel und Philip Berrigan nicht zu. Sie sind sowohl Gesinnungs- als auch Verantwortungsethiker, denn sie verteidigen ihre Angehörigen, ihr Land, die Demokratie und die Menschenrechte mit der "Waffe" der Gewaltfreiheit. Sie verbinden die positiven Eigenschaften des Soldaten und des Pazifisten und vermeiden deren negative Eigenschaften.

Zu den positiven Aspekten des Soldaten rechne ich seine Entschlossenheit, gegen feindliche Angriffe Widerstand zu leisten, seine Tapferkeit, seine Disziplin und seine Opferbereitschaft. Zu den positiven Eigenschaften des Pazifisten rechne ich seine entschiedene Ablehnung des Krieges, seine moralische Integrität und seinen Friedenswillen. Zu den negativen Eigenschaften des Soldaten zähle ich seine Phantasielosigkeit im Hinblick auf die konstruktiven Methoden der Konfliktlösung und seine Unfähigkeit zu erkennen, dass militärische Gewalt ihn immer tiefer in den Sumpf der Unmoral hineinführt. Die negativen Eigenschaften des Pazifisten wiederum sind seine Hilflosigkeit gegenüber Gewaltandrohung und -anwendung, seine Passivität und sein mangelnder Mut, gewaltfreien Widerstand zu leisten.

Gewaltfreie Aktivisten, wie sie Gandhi, King und anderen vorschwebten, sind folglich eine Art gewaltfreie Kämpfer, Krieger oder Soldaten. Damit ist auch die jahrhundertealte Frontstellung zwischen Bellizisten (Menschen, die den Krieg als letztes Mittel der politischen Konfliktaustragung befürworten) und Pazifisten (Menschen, die den Krieg bedingungslos ablehnen) erledigt. Der Weg vom Soldaten zum gewaltfreien Kämpfer ist nicht weiter als der Weg des Pazifisten zum gewaltfreien Krieger. Wenn es für die Welt noch eine Rettung gibt, dann auf dem von Gandhi gewiesenen Weg.

Friedensarbeit beginnt bei uns selbst. Wir können anderen Menschen nur den Frieden bringen, den wir selbst erworben haben. Andererseits wäre es aber falsch, sich aus der Welt zurückzuziehen, um mit sich selbst in Frieden zu leben. Ein Friedensmacher (Pazifist) sollte wie ein ins Wasser geworfener Stein sein, der kreisförmig sich ausbreitende Wellen erzeugt. Der Friede, der von ihm ausgeht, sollte sein unmittelbares soziales Umfeld, die regionale und die nationale Gemeinschaft und schließlich die ganze Welt erfassen. Buddha, Sokrates, Jesus und Gandhi waren, jeder auf seine Weise, solche Friedensstifter und Friedensmacher. Auch wenn wir uns mit ihnen nicht messen können, so ist doch jeder Schritt auf diesem Weg nicht vergebens. Bekanntlich beginnt ja auch der längste Weg mit einem ersten Schritt. Den können und sollen wir tun.

Wolfgang Sternstein (*1939)