Mit dem Hunger und der Liebe war wohl für zu lange Epochen der Urzeit die Bereitschaft zur Vernichtung des Konkurrenten - sei es im Kampf um Nahrung, sei es im Kampf um Geschlechtsfreuden - untrennbar verbunden. Es besteht wohl kein Zweifel daran und jeder tieferer psychologischer Betrachtung Fähige wird das zugeben: wir werden in der Bekämpfung des Krieges niemals einen bemerkenswerten Schritt weiter kommen, solange wir diese psychische Belastung des Menschen durch den Hass, durch die Grausamkeit nicht in Betracht ziehen. Man kann gleiches nur mit gleichem bekämpfen. Gegenüber letzten Erkenntnissen, rationalen Erwägungen brauchen wir Erkenntnisse und Erwägungen. Gegenüber bewussten Instinkten gebrauchen wir ihre Verdrängung nicht nur durch Bewusstmachung dieser Instinkte, sondern noch sicherer vielleicht verdrängen wir sie durch andere, stärkere, aber weniger verhängnisvolle Instinkte. Und das ist, scheint mir, nun unsere Aufgabe. Zu versuchen, zu erforschen, zu erproben, wie und auf welchen Wegen diese Mord- und Vernichtungsinstinkte in bejahende Lebensströmungen umgebogen werden können. Helene Stöcker (1869-1943)