Michael Warschawski: Mit Höllentempo - Die Krise der israelischen Gesellschaft

Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg, 1. Auflage 2004, 126 Seiten,
ISBN 3-89401-448-2 Euro 10,90


Michael Warschawski wurde 1949 in Straßburg geboren und lebt seit 1965 in Israel. Laut Klappentext seines Buches beschreibt er die rasante Geschwindigkeit, mit der Repression und Gewalt der Besatzung in die israelische Gesellschaft zurückschlagen: die Zerstörung demokratischer Grundrechte, die Infragestellung demokratischer Normen im alltäglichen Leben, die perverse Gewöhnung an Gewalt und Tod. Er denunziert die verbale Verrohung von Medien und Politikern, den Einfluss des Kriegszustandes auf Schule, Universität und Kultur.


Hier einige Zitate:

"Diese missbräuchliche Verwendung des Begriffs Selbstverteidigung ist nicht nur im Zusammenhang mit der Entschlossenheit der israelischen Behörden zu sehen, die kolonialistische Unterdrückung in den besetzten Gebieten als Krieg auszugeben, sondern auch mit einer sehr eigenartigen Auffassung von Krieg, worin das Individuum, ob Zivilist oder Soldat, jede Art von Rechten verloren habe, einschließlich des Lebensrechts" (Seiten 22/23).

"Eine Bevölkerung von fast vier Millionen Menschen wird buchstäblich gefangen gehalten, um die Sicherheit der Israelis zu garantieren, vor allem aber, um diese Bevölkerung zur Kapitulation zu zwingen .... (Seite 27)

"Schon zwei Monate vor dem Massaker von Jenin schrieb Robert Fisk, Kriegskorrespondent des Independent, die israelische Armee sei keine moderne Armee mehr, sie bestehe "aus bewaffneten Gangs, die alles, was ihnen in den Weg kommt, verwüsten, und die man straflos plündern lässt." " (Seite 35)


"Das Symbol Israels ist nicht mehr der Davidstern (auf Hebräisch "Schild Davids"), sondern der Bulldozer" (Seite 41) Siehe hierzu auch die Aussagen des Moshe Nissim, der mit einem riesigen Bulldozer das ganze Zentrum von Jenin zerstörte und der sich brüstete, die Häuser platt gemacht zu haben, bevor die Bewohner sie verlassen konnten: "Die Soldaten haben die Bewohner über Lautsprecher gewarnt, dass sie das Haus verließen, bevor ich anfing. Aber ich hab keinem die Chance gelassen raus zu kommen. Ich hab nicht gewartet. ... Es waren viele Leute in den Häusern, als wir angefangen haben, sie ab zu reißen. .... Als die Kämpfe vorbei waren, haben wir den Befehl bekommen, den D-9 weg zu bringen, die Armee wollte nicht, dass die Journalisten und Photografen uns bei der Arbeit zusehen.“(Seite 34)

"Kapitulation oder Ausweisung, das ist die Alternative, vor die die Palästinenser von einer politisch-militärischen Klasse in Israel gestellt werden, für die Gewalt das einzige politische Mittel ist. Es ist kein Zufall, dass es in der Regierung nicht einmal eine Diskussion über den Friedensplan gegeben hat, der von der arabischen Liga einstimmig angenommen worden war und Israel im Austausch für den Rückzug aus den besetzten Gebieten Frieden mit der gesamten arabischen Welt anbot. Denn die israelische Regierung hat kein Interesse mehr an Frieden, nicht einmal an Frieden mit allen arabischen Staaten, nur noch an der Fortsetzung der Einverleibung des gesamten historischen Palästina." (Seite 42) „Doch die israelischen Generäle, ... sind wie alle betressten Trottel auf der Welt überzeugt, was mit dem Einsatz von Gewalt nicht erreicht wurde, sei durch den Einsatz von noch mehr Gewalt zu schaffen.“ (Dabei vertrauen sie darauf, dass die internationale Öffentlichkeit alle israelischen Maßnahmen verstehen und akzeptieren wird. (Seiten 44/45).

Lösungsvorschläge und Botschaften der rechten Israelis in Jerusalem: „Den arabischen Feind ausweisen“ (Plakat), „Tod den Arabern“ (Graffiti), „Juden – kauft nur bei Juden“ (Plakat), „Ich kaufe nur bei Juden“ (Plakat), „Der Frieden ist eine Katastrophe, wir wollen Krieg!“ (Aufkleber).

"Jeder Ausländer, der an der israelischen Grenze auftaucht, ist a priori verdächtig und wird einem strengen Verhör unterzogen, was ihn nach Israel führt: den israelischen Behörden scheint bewusst zu sein, dass Israel kein Ort ist, den ein normaler Mensch besucht wie etwa London oder Katmandu." .... Das Innenministerium macht keinen Hehl daraus, dass es die Grenzen für Leute geschlossen halten will, die einer "propalästinensischen Einstellung" verdächtigt werden." (Seiten 52/53) Eine der führenden Persönlichkeiten des Stellvertretenden Rats der jüdischen Einrichtungen in Frankreich rät, Goebbels-Methoden einzusetzen, um die pro-israelische Propaganda wirkungsvoller zu machen! (Seite 50)

„Der Bau des Trennungszauns hat am 16. Juni 2002 begonnen. Die Breite der Sicherheitszone beträgt beiderseits des elektronischen Zauns mindestens 100 Meter, oft sehr viel mehr. Innerhalb dieser Zone werden die Palästinenser enteignet und alles, was sich dort befindet, Ansiedlungen und Äcker, zerstört. Der Zaun selbst wird durchschnittlich 3 Meter hoch und mit elektronischem Schnickschnack bestückt, auf der ganzen Länge wird auf beiden Seiten eine Straße für Militärpatrouillen gebaut, dazu kommt noch ein 4 Meter tiefer Graben. Weiter im Süden ... wird der Zaun von einer Mauer abgelöst: 8 Meter hoch und von Wachtürmen überragt.“ (Die Kosten des Zauns und der Mauer werden zum Teil vom amerikanischen Steuerzahler bezahlt, wie der Autor schreibt.) (Seiten 56/57)

"Ohne kritische Medien, ohne einen Obersten Gerichtshof, der über die Einhaltung der elementaren Menschenrechte und demokratischen Normen wacht, mit einem Erziehungssystem, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Gesellschaft zu militarisieren, und einem dicht geknüpften, omnipräsenten Polizeinetz - der israelischen Gesellschaft sind die Zügel verloren gegangen, die noch verhindern können, dass eine zivilisierte Gesellschaft, ein Rechtsstaat zum Staat einer Gang degeneriert, in dem Gewalt und Willkür herrschen. Gewalt und Willkür der Besatzung haben die israelische Gesellschaft schon schwer beschädigt, und wenn sich der Verfallprozess in den nächsten Jahren weiter beschleunigt, ist das Risiko groß, dass dieser Staat sich strukturell in ein faschistisches Regime verwandelt, das sich um demokratische Ansprüche und rechtsstaatliche Normen nicht mehr kümmern muss." (Seite 71/72)

"Die gegenseitige Versöhnung, die den Kern der Oslo-Vereinbarungen bildet, hieß für Israel de fakto: Wir erkennen eure Existenz an, und ihr akzeptiert unsere Vorherrschaft und vertraut in allem , was zwischen uns strittig ist, auf unsere Großzügigkeit. Was die Großzügigkeit angeht: Die Palästinenser haben während des siebenjährigen "Friedensprozesses" eine 40prozentige Steigerung der jüdischen Siedlungstätigkeit erleben müssen, auf das Land, das Israel sich verpflichtet hatte innerhalb von fünf Jahren zu räumen." (Seite 79)

"In einem Land, das seine Grenzen ständig und gegen jedes internationale Recht ausweitet, für das Ziel, d.h. der jüdische Staat, alle Mittel rechtfertigt, ist es nicht überraschend, dass es ungeheuer schwierig ist, interne Regeln durchzusetzen. .... Die Straflosigkeit, die Israel in der Völkergemeinschaft genießt, bedeutet nicht nur, dass den Opfern seiner ständigen Aggression Gerechtigkeit verweigert wird: Sie ist auch einer der Gründe für die innere Korrosion der israelischen Gesellschaft." (Seite 101)

"Das Verhalten Israels auf der internationalen Bühne macht den jüdischen Staat in der ganzen Welt verhasst, gar nicht zu reden von den Vorwänden, die es Antisemiten aller Couleurs liefert, ...... Die bedingungslose Identifikation der Führer der jüdischen Gemeinden in Nordamerika und in Europa mit Israel droht für die Gemeinden verhängnisvoll zu werden, die zu vertreten sie vorgeben." (Seite 114)

"Ist die Katastrophe unausweichlich? Nichts ist unausweichlich. Und darauf setzen die israelischen Dissidenten, die marginalisiert, aber entschlossener denn je sind ...." (Seite 114)

Siegfried Ulmann - Januar 2012