Albert Fuchs: „Für Recht und Frieden“? - Beiträge zum pazifistischen Widerspruch.
Sozio-Publishing, ISBN 978-3-935431-21-7, 348 Seiten, 24,80 Euro
Der Autor Albert Fuchs geb.1937 hat sich als Pazifist (Pax Christi) viele Jahre seines Lebens, vor allem auf wissenschaftlicher Ebene, mit den Fragen von - Gewalt und Frieden - auseinander gesetzt. Das Buch ist als Sammelband seiner manigfaltigen veröffentlichten Beiträge der letzten 20 Jahre erschienen. Viele Beiträge wurden in der Zeitschrift Wissenschaft und Frieden veröffentlicht, davon jedoch einige in gekürzter Form. Die Beiträge wurden vom Autor nochmals durchgesehen und teilweise überarbeitet. Die einzelnen Kapiteln und Unterkapitel sind jeweils unabhängig voneinander lesbar. Jedes Kapitel beginnt mit einer Einleitung. Nach jedem Unterkapitel wird meist eine kurze Zusammenfassung gegeben, mit einem abschließenden umfangreichen Literaturnachweis.
Nach dem Vorwort, folgt der Beitrag Hintergrund – Wiedergänger Militärmacht Deutschland, in dem eine gute Zusammenfassung wiedergegeben ist: über die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland zur „neuen Militärmacht“, zum dritt größten Rüstungsexporteur und die Politik, die den Krieg wieder als normales Mittel der Politik hoffähig machen will dargestellt, bewertet und hinterfragt, sowie die offiziellen Rechtfertigungsmuster dahinter. Auch die Umwandlung der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer Armee im dauernden weltweiten Kriegseinsatz wird aufgezeigt und kritisch kommentiert. Doch fehlt mir im Unterkapitel „Nachrüsten der Seelen“ (Seite 27) ein wesentlicher Tatbestand, der in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird, dass die Bundesrepublik Deutschland parallel zur Erreichung der obigen Wandlung, eigens hierfür PR-Unternehmen beauftragt, um die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dies wird z.B. exemplarisch anhand der Balkankriege in dem Buch „Operation Balkan: Werbung für den Krieg“ von Jörg Becker und Mira Beham im Nomos-Verlag aufgezeigt und bewiesen.
Die folgenden 5 Kapitel im Buch beschreibt der Autor selbst wie folgt:
„Zunächst wird im ersten Kapitel die Diskussion um einige friedenswissenschaftliche Grundlagen aufgegriffen: um die Explikation des Gewaltbegriffs, die Bedeutung sozialer Repräsentationen und den heuristischen Wert von Mahatma Gandhis Satyagraha-Praxeologie. Das zweite Kapitel thematisiert unter der Leitfrage „Wie hältst du's mit der (neuen) Bundeswehr?“ entsprechende Fragen, die z.Z. teils „nur“ hintergründig relevant sind, teils im Zentrum der aktuellen Diskussion stehen: die Frage eines besonderen Ehrenschutz für Soldaten der Bundeswehr, das Problem rechtsextremistischer Gefährdung der deutschen Streitkräfte, die Kontroverse um zivil-militärische Zusammenarbeit, die anstehende Bundeswehr-Strukturreform, den Widerstand gegen den Afghanistankrieg. Das dritte Kapitel greift die Pazifismusdebatte auf, zunächst in Form einer kritischen Kommentierung „bellizistischer“ (aus Sicht des Autors) Einlassungen des Theologen Norbert Greinacher und des evangelischen Pfarrers Werner Dierlamm aus Anlass des Bürgerkrieges in Jugoslawien; sodann, in der Folge der Gegenkritik dieser beiden Autoren, in Form einer vertiefter Auseinandersetzung mit ihrem „Nuklear-“ bzw. „Polizeipazifismus“. Vor dem Hintergrund eigener Verwicklung in die betreffenden friedensethische und -politische Konfliktkonstellation im Zusammenhang der persönlichen Engagements wird in einem weiteren Beitrag die Möglichkeit eines konstruktiven Umgangs mit diesem Konflikt erörtert. Die Beiträge zum vierten Kapitel drehen sich um „des Pudels Kern“ der Pazifismus-Debatte, um die ethische Problematik „guter Gewalt“ - im Besonderen um den politisch-moralischen Gebrauchswert der wiederbelebten Bellum-iustum-Lehre (gerechter Krieg) aus analytischer wie aus erfahrungs-wissenschaftlicher Sicht. In einem weiteren Beitrag wird versucht, den friedensethischen und – politischen Gehalt von Hans Küngs Projekt Weltethos zu klären. Die im fünften Kapitel abgedruckten Beiträge kreisen teils mit offener Ich-Beteiligung, um die Rolle der Kirchen und des kirchennahen Milieus bei der erweiterten Remilitarisierung der Republik: Ein „Abschiedsbrief“ an Kardinal Meisner dokumentiert diesbezüglich persönliche Resignation. Des ungeachtet verdient und erfordert das kirchliche Milieu in friedensethischen und -politischen Belangen anhaltende Aufmerksamkeit – hier im weiteren überwiegend kritisch realisiert: in Form eines vielleicht etwas (zu) polemischen Kommentars zu den „rechtethischen Überlegungen“ des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zum Kosovo-Krieg, einer Defizit-Analyse zu Stellungnahmen aus Kirchenkreisen zum Irak-Krieg und eines Blicks „von außen“ auf die sog. Friedendenkschrift der EKD vom Oktober 2007.“
Die verschiedenen Beiträge sind inhaltlich interessant und zeugen von der ehrlichen, ausgewogenen Auseinandersetzung des Autors mit dem jeweiligem Thema.
Wenn ich im Allgemeinen die Ansichten, Stellungnahmen und Einwände des Autors teile, so gibt es doch eine Stelle, die ich gar nicht nachvollziehen kann. Befremdlich finde ich die Ansicht des Autors auf Seite 84, das die sinnvolle Unterscheidung von personaler und struktureller Gewalt nach Galtung kaum tragfähig ist und mit einem Satz abtut:„Was zunächst der ersten Problematik betrifft (der Versuch zu differenzieren), so ist beispielsweise Galtungs grundlegende Unterscheidung von personaler und struktureller Gewalt kaum tragfähig, da Strukturen letztendlich immer nur wirksam werden durch Handlungen und Unterlassungen von individuellen oder kollektiven Akteuren, diese Handlungen und Unterlassungen aber auch kaum zerlegbar sind in persönliche und gesellschaftliche Elemente“. Es macht doch gerade das Wesen der strukturellen Gewalt aus, das sie eben nicht individuell zurechenbar ist (z.B. Gesellschaftsordnung bzw. Wirtschaftsordnung), weshalb eine Unterscheidung von personaler und struktureller Gewalt nach Galtung meines Wissens sinnvoll, nachvollziehbar und auch notwendig ist.
Im Kapitel 1-3 wird der Autor die selbst erzeugte Erwartungshaltung, mit dem Untertitel - Zum Anteil der Bevölkerung am „Krieg gegen die Bevölkerung“ (Seite 108) nicht ganz gerecht. Er hat zwar einige wesentlichen Aspekte angesprochen, vor allem die grundsätzliche Akzeptierung der Gewalt in der Gesellschaft und deren Unterschiede. Die eigentliche Ursache der Gewaltverherrlichung, bzw die einseitige Kultur der Gewalt in den Medien, der die Menschen seit ihrer frühesten Kindheit ausgesetzt sind, kommt dabei jedoch deutlich zu kurz. Dies ist, vor allem, auf Grund der Kürze dieses Beitrages (7 Seiten) aber zwangsläufig.
Fazit:
Aufgrund der wissenschaftlichen intellektuellen Ausprägung des Autors, sowie seinem Hang zu langen Sätzen mit Einwänden und Nebensätzen, ist das flüssige lesen erschwert und macht das Buch deshalb nicht gerade zur einfachen Lektüre. Das Buch „Für Recht und Frieden“? - Beiträge zum pazifistischen Widerspruch. - von Albert Fuchs ist empfehlenswert für Intellektuelle, die sich mit aktuellen Friedensfragen, abseits von politischen, weltanschaulichen Strömungen, informieren wollen. Darüber hinaus ist es auch für religiös orientierte Leser interessant. Vor allem, wenn sie sich mit den Kirchen, mit ihrer zwiespältigen, verklausulierten Sprache zur Frage des „gerechten Krieges“ (Bellum-iustum-Lehre) auseinander setzen wollen. Der Autor selbst ist aus der katholischen Kirche ausgetreten als Folge dieser Auseinandersetzung. Die Grundhaltung des Autors als echten Pazifisten findet sich durchgehend im Buch wieder: Frieden kann man nur mit friedlichen Mitteln erreichen!
Dieter Riebe (Nov. 2011)