Jutta Seifert - Jeder Regentropfen war ein glühender Funke - Dresden 13.02.1945
Ich möchte von meinen Erlebnissen erzählen, die ich als kleines Mädchen in Dresden hatte im letzten Kriegsjahr. Es war der 13. Februar 1945. Ich war 8 Jahre alt und es war Fasching. Wir spielten mit Luftschlangen und Konfetti. Wir durften uns nicht verkleiden und es durfte auch keine Faschingsfeier stattfinden wegen des Krieges. Wir gingen abends wie gewöhnlich um 8 ins Bett, legten uns schlafen und wurden kurz vor 10 durch eine Alarmsirene geweckt. Das war für uns nichts Besonderes, denn wir kannten das schon, nahmen das gar nicht so schwer, zogen uns an. Aber das änderte sich !
Denn es kam nach ganz kurzer Zeit, nach ungewöhnlich kurzer Zeit, bereits der Hauptalarm und wir mussten also notdürftig angezogen in den Keller. Mein Bruder hatte nur einen Schlafanzug an und den Mantel drüber und so mussten wir uns in den Keller setzen. Es dauerte gar nicht lange, da erzählten uns schon die Männer, die draussen waren, dass ganze Geschwader von Flugzeugen auf Dresden angeflogen kamen. Die Leute drinnen waren alle aufgeregt. Ich wunderte mich, dass grosse erwachsene Frauen plötzlich anfingen zu schreien und sich unter dem Tisch verstecken wollten, weil sie in der Ferne irgendwelche Explosionen, Detonationen, Einschläge von Bomben hörten. Diese Einschläge und diese Detonationen, die kamen aber näher und es wurde dann so laut, dass die Wachmänner unten im Keller uns zuriefen und sagten: „Stellt Euch unter die Gewölbe ! Dort seid Ihr sicher !“. Und: „Mund auf- und Ohren zuhalten !“. Das mussten wir gegen das Platzen der Trommelfelle machen, weil diese Detonationen so unwahrscheinlich laut waren.
Unser Haus stand an einer großen Kreuzung. Drei Eckhäuser dieser Kreuzung waren bereits durch Sprengbomben getroffen worden. Die Häuser waren also regelrecht eingefallen und man kann sich gut vorstellen, wie unmittelbar dieser Krach dann auf uns gewirkt hatte. Wir hatten wirklich Angst. Es fielen ausser den Sprengbomben auch Brandbomben, das waren Stabbrandbomben, die waren etwa 40 Zentimeter lang, hatten einen Zünder und waren mit einer brennbaren Flüssigkeit gefüllt, die sich sofort entzündete, wenn die Brandbomben auf die Erde fielen oder auf irgendetwas Festes. Diese Brandbomben wurden auf die Häuser geworfen, die durchschlugen das Dach und auf den Böden oben fing es dann an zu brennen. Die Fensterscheiben waren durch die Sprengbomben geplatzt und außerdem fielen noch grosse Napalmkanister. Das waren grosse Würfel, ich schätze mal so einen halben Meter im Kubik, die enthielten also ebenfalls solche brennbaren Flüssigkeiten, aber natürlich in viel, viel größerer Menge. Es sind unendlich viele dieser Napalmkanister auf Dresden gefallen und noch viel mehr diese Stabbrandbomben. Die Häuser entzündeten sich durch diese Brandbomben, es entstand dadurch ein Funkenregen. Wenn Häuser brennen entsteht auch ein starker Wind durch den Luftzug. Und der Wind nahm jedesmal kleine Funkenteilchen mit sich, und es war wie ein starker Regen, nur dass die Regentropfen eben aus Funken bestanden und dann dazu dieser Sturm.
Als der erste Angriff stattfand, der dauerte vielleicht eine Stunde, da brannte schon ein großer Teil von Dresden, wir waren immer noch im Keller. Es trat dann eine Pause ein. Ich weiss, da lief meine Mutter die Treppen hoch und sah, was in der Wohnung nun alles los war. Die Scheiben waren kaputt. Und durch diesen Funkenflug entstanden also immer wieder Brandherde und es entzündeten sich die Gardinen und die Möbel usw.. Es musste in jeder Wohnung jede Menge von Wasserbehältern stehen und Sandkästen. Meine Mutter versuchte in der Wohnung zu löschen, aber das schien unmöglich. Nach einer kurzen Pause, in der keine Bomben fielen, gab es erneut Alarm. Die Sirene heulte und es kam der zweite Angriff. Der war viel schlimmer, als der erste. Er setzte noch die Häuser in Brand, die vom 1. Angriff verschont wurden. Ebenfalls fielen wieder Sprengbomben, sodass wieder Häuser in sich zusammenfielen. Dazu der Brand. Als dieser zweite Angriff vorbei war, merkten wir, dass unheimlich viel Rauch in den Keller eindrang, wir überlegten uns, was wir machen. Meine Mutter sagte: „Wir müssen jetzt hier raus!“. Wir wussten, dass wir in eine grosse Gefahrensituation kamen, die Mutter gab uns grosse Betttücher, die sie vorher in Wasserfässer tauchte und hing die uns um. Wir mussten Schutzbrillen aufsetzen und wagten uns so bewaffnet nach draussen.
Wir stiegen also die Kellertreppe hoch und da sah ich, dass vor dem Kellereingang ein Napalmkanister lag. Dieser Brei, der aus dem Napalmkanister quoll, lief die Kellertreppe herunter, wir konnten nur an der Seite in einem ganz schmalen Stück der Treppe dort hinauf. Es wäre tödlich gewesen, wenn wir mit den Füssen in diesen Brei hineingetreten hätten. Wir mussten also die Kellertreppe hoch, das gelang. Wir mussten dann durch den Hausflur. Da war links und rechts je eine Wohnung. Aus diesen Wohnungen kamen meterhohe Flammen quer über den Hausflur. Wir mussten dort durch und mit Hilfe der nassen Tücher, die wir umgehängt hatten, gelang uns das auch. Anschliessend durch eine Windfangtür, dann ging es ein paar Treppen runter, dann kam die Haustüre und vor der Haustüre waren drei Stufen und vor diesen Stufen lag wieder ein grosser Napalmkanister. Ich seh‘ noch, wie er an einer Seite geplatzt war und dort dieser Brei herausquoll. Alles brannte und wir mussten vorsichtig drum herum laufen. Wir gingen dann auf die Mitte der Strasse und konnten unser Haus von unten aus nach oben besichtigen und wir sahen, dass aus allen Fenstern grosse Flammen schlugen. Jetzt mussten wir über diese Kreuzung, danach mindestens noch 10 Minuten diese Strasse entlang, die also auf jeder Seite diese selben grossen Häuser hatte. 4 Stockwerke hoch, nicht etwa ein Grünstreifen dazwischen. Die Häuser mündeten also direkt auf dem Fussweg und wir mussten inmitten der Strasse laufen, damit wir nichts von oben abbekamen. Es fielen dauernd Balken herunter und ich kann mich noch genau erinnern, ich hab mir diese brennenden Häuser angeguckt: In manchen Häusern brannten nur die Möbel und da hingen noch die Lampen. Die Lampen, die pendelten alle ganz gespenstisch. In anderen Häusern waren die Decken bereits herabgestürzt. Da kann ich mich noch an die glühenden Schornsteine erinnern, die von unten nach oben, vom Erdgeschoss bis zum 4. Stock herauf glühten. Es war schrecklich. Dieser Feuersturm, der dort herrschte, diese Funken, die auf uns einwirkten. Wir mussten aufpassen, dass wir unsere Schritte so setzten, dass wir nicht auf eine Brandbombe traten, denn die lagen dort überall herum, genauso diese Kanister. Und der Feuersturm: Wir mussten Angst haben, dass wir in die Flammen hineingeblasen wurden. Es war ganz fürchterlich. Wir gingen dann noch um die nächste Straßenecke herum und dann auf einen freien Platz. Dort standen Bänke, das war eine kleine Grünanlage, es gab Beete in der Mitte. Dort konnten wir erstmal wieder etwas Luft holen und konnten etwas durchatmen. Wir setzten uns auf eine Bank und überlegten: Wo gehen wir jetzt hin ? Um uns herum brannte alles. Wir mussten sehen, dass wir irgendwo dem Brand entgehen konnten.
Wir gingen zuerst in Richtung Grosser Garten, das ist eine Grünanlage, ein grosser Park in Dresden, wo wir hofften, dass es dort ruhiger war. Das war aber ein Irrtum ! Viele Leute hatten das gehofft und viele Leute hatten sich in den Park geflüchtet. Dort waren ganz unwahrscheinlich viele Bomben hineingefallen. Wir mussten dann eine lange Strecke, viele Kilometer, nach Laubegast laufen. Das war ein Ort am Rande der Stadt, wo unsere Grosseltern wohnten. Wir hofften, dass wir dort unterkommen konnten. Wir wussten nicht, ob dieses Haus schon betroffen war. Wir liefen also die ganze Nacht und trafen dann früh, als es hell wurde, in Laubegast ein und sahen unsere Grosseltern, die nach Wasser anstanden, weil nichts mehr funktionierte. Kein Wasser, kein Strom, kein Telefon, es war alles kaputt, aber das Haus stand noch. Wir wurden dort aufgenommen, wir kriegten schnell irgendwas zu essen. Ich konnte nichts essen, ich hatte eine Rauchvergiftung. Mir war schrecklich elend und wir wurden in die Betten gesteckt.
Mittags um 1 wurden wir geweckt wieder durch eine Alarmsirene. Jetzt kam der nächste Angriff, der nicht nur die Innenstadt treffen sollte, sondern der auch die Vororte treffen sollte, wir mussten also wieder in den Keller. Weil es mir aber so schrecklich elend war, sagte meine Mutter: „Ich leg das Kind oben in der Wohnung in der ersten Etage aufs Sofa, es wird schon nicht so schlimm werden“. Gut, ich wurde auf das Sofa gelegt. Wir hörten auch von dort die Flugzeuge brummen. Es waren wieder Geschwader von Flugzeugen, die ganz tief über die Vororte von Dresden hinweg flogen. Und plötzlich, genau, als sie über uns brummten, sah ich aus dem Fenster. Dort stand ein Baum, der sich plötzlich in zwei Hälften spaltete. Um Gottes Willen, ich erschrak, da fiel irgendwas. Schnell vom Sofa runter, meine Mutter hinter mir her. Türe zu, aus der Wohnung raus, ins Treppenhaus. Dort hörten wir den Krach der Detonation. Das ganze Haus schwankte. Ich beobachtete sorgenvoll die Wände, aber wir gelangten heil in den Keller und nach Ende dieses Angriffs konnten wir wieder hoch in die Wohnung gehen. Da erst sahen wir, dass das halbe Haus kaputt war. Das Zimmer, in dem ich gelegen hatte, war total zerstört. Auch das Sofa, auf dem ich gelegen hatte, lag draußen auf der Straße. Durch eine Sprengbombe war das halbe Haus zerstört.
Das sind meine Erlebnisse von dieser Nacht. Später habe ich erfahren, dass 2 meiner Schulfreundinnen zwischen diesen brennenden Häusern bei lebendigen Leibe verbrannt sind. Eine 3. Erzählte mir, dass sie bewusstlos war und auf einem Leichenberg, der verbrannt werden sollte, wieder zu Bewusstsein kam und noch gerettet werden konnte. Es wäre noch viel mehr zu erzählen gewesen.
Rückblickend und gleichzeitig die Gegenwart reflektierend sollte man sich im Klaren sein, dass ähnliche Erlebnisse auch diese vielen Flüchtlinge haben, die jetzt zu uns kommen. Sie kommen aus Kriegsgebieten und denen ist es ähnlich schlecht gegangen.
Jutta Seifert 2015
Eine Kurzfassung findet man in der: „Sächsische Zeitung, Ausgabe Radebeul, 13.2.1997, S.12 / Jutta Seifert: Jeder Regentropfen war ein glühender Funke“.