Die Ächtung des Krieges (1930)

von Dr. Hans Wehberg

Ein Vortrag an der Haager Völkerrechtsakademie in Genf im Jahre 1930

III. Die Formen des Verbotes:


Vertrag und Verfassungsänderung

Die Förderung des Gedankens der Kriegsächtung durch die Regierungen darf sich nicht darauf beschränken, dass alle Staaten danach Streben, in einem internationalen Abkommen den Krieg in immer vollkommener Weise zu ächten. Wenn es den Staaten, woran wir nicht zweifeln, wirklich ernst ist mit ihren Eintreten für die Beseitigung des Krieges, dann müssen sie sich selbst vor die Frage stellen, ob sie bereit sind, den Verzicht auf das Mittel des Krieges in ihre Verfassung aufzunehmen. Stärker als durch alle Worte könnte die Bewegung zur Ächtung des Krieges neue Antriebe dadurch erhalten, das die Staatsmänner aller Staaten feierlich erklären: „Uns ist es mit dem Gedanken der Kriegsächtung heiliger Ernst. Wir wollen daher ohne jedes zaudern und ohne jeden Vorbehalt ein für allemal auf den Krieg verzichten und diesen Grundsatz auch in unsere Verfassung aufnehmen“.


§ 1. Das jus belli ac pacis in den nationalen Verfassungen


Fast alle Verfassungen der Welt sind in Bezug auf die Frage der Kriegsächtung außerordentlich verbesserungsbedürftig. Das jus ac bell galt bisher als ein unveräußerliches Recht des souveränen Staates, so dass selbst in den modernsten Verfassungen materielle Beschränkungen der Staatsgewalt in Bezug auf das Recht der Kriegserklärung im allgemeinen unterblieben ist. Immerhin gibt es eine Reihe von Ausnahmen, auf die ausdrücklich hingewiesen sei: So erklärte bereits auf Antrag Mirabeaus Art. 4 des später in die Verfassung vom 3. September 1791 aufgenommenen Dekrets der französischen Nationalversammlung vom 22. Mai 1790:

„L'Assemblée nationale déclare que la Nation Francaise renonce á entrprendre aucune guerre dans la vue de faire des conquétes et qu'elle n'emploiera jamais ses forces contre la liberté d'aucun Peuple“1)

Die damaligen Verhandlungen der Nationalversammlung waren von der Frage ausgegangen, wem die Macht über Krieg und Frieden zustehen solle. Die Männer der französischen Revolution begnügten sich jedoch nicht mit der Lösung dieses Problems. Aus der Debatte über die Frage „Wer darf im Namen Frankreichs Krieg erklären?“. Die damaligen Verhandlungen standen auf einer bemerkenswerten Höhe. Ohne näher auf sie einzugehen, sei in diesem Zusammenhang immerhin bemerkt, dass die Mitglieder der französischen Nationalversammlung von 1790 weit entfernt waren, bei einem Verteidigungskriege der vollziehenden Gewalt völlige Freiheit zu geben. Selbst im Falle der Verteidigungskrieges musste nach dem Dekret vom 22. Mai 1790 die Regierung unverzüglich dem gesetzgebenden Körper eine Anzeige erstatten (Art. 3), und wenn auf die betreffende Anzeige der gesetzgebende Körper entschied, dass der Krieg nicht geführt werden dürfe, so sollte die vollziehende Gewalt gehalten sein, auf der Stelle Maßregeln zu ergreifen, alle Feindseligkeiten einzustellen und weitere zu verhüten. (Art.5) Stellte es sich heraus, dass die bereits begonnenen Feindseligkeiten einen schuldhaften Angriff darstellten, so sollte der Urheber dieses Angriffs „comme coupable de lése Nation“ belangt werden. (Art. 4) Ebenso sollte der Schuldige zu Verantwortung gezogen werden, wenn die Einstellung der Feindseligkeiten nach der Anordnung des Parlaments nicht unverzüglich erfolgte. Das französische Volk hielt also gegenüber dem leichtfertigen Beginn eines Verteidigungskrieges stärkste Sicherungen für erforderlich.

Von diesem großem Programm einer Ächtung des Krieges hat sich die französische Revolution im weiteren Verlaufe ihrer Entwicklung wieder entfernt. Die Vorschriften des Dekrets von 22. Mai 1790 verloren in den Napoleonischen Wirren ihre verbindliche Kraft. Erst viel später wurde der 1790 zuerst unternommene Schritt fortgesetzt, und zwar durch südamerikanische Staaten.

Die Verfassung Venezuelas (Art. 13 Nr. 8 und Art. 112 vom 28. März 1864; Art. 142 vom 13. Juni 1893; Art 120 vom 27. April 1904 und Art. 138 vom 4. August 1909). Ecuador (Art. 116 vom 31. März 1878) sowie der vorübergehend 1895 begründeten zentralamerikanischen Republik zwischen Nicaragua, Honduras und Salvador (Art. 4 des Amapa-Unions-Vertrags vom 30. Juni 1895) haben die Schiedsgerichtsbarkeitsidee durch die Bestimmung anerkannt, dass in die internationalen Verträge der betreffenden Staaten die Klausel der unbeschränkten Schiedsgerichtsbarkeit (unter Ausschluss jedes Krieges) aufgenommen werde. Weiter ging die Verfassung von San Domingo (Art. 20 vom 20. Mai 1880; Art. 101 vom 12. Juni 1896; Art. 102 vom 20. März 1908), indem sie anordnete, dass kein Krieg erklärt werden dürfe, ohne dass vorher die schiedsgerichtliche Erledigung des Streits versucht worden sei. Sie sah außerdem die Aufnahme einer Klausel in alle internationalen Verträge des Inhalts vor, dass zunächst ein Schiedsgericht angeboten werde müsse, bevor gekämpft werde. An politisch bedeutungsvollsten sind aber von südamerikanischen Verfassungsbestimmungen wohl die Grundsätze der brasilianischen Konstitution vom 24. Februar 1891. Nach Art. 31 Nr. 11 darf der Bundeskongress die Regierung nur dann ermächtigen, Krieg zu erklären, wenn die Anrufung der Schiedsgerichtsbarkeit nicht möglich gewesen oder gescheitert ist. Art. 88 enthält ferner die Bestimmung, dass Brasilien sich in keinem Falle an einem Eroberungskriege beteiligen darf, weder direkt noch indirekt, sei es aus sich selbst heraus, sei es auf Grund eines Bündnisses mit einer anderen Nation. Später hat Uruguay in Art. 79 seiner Verfassung vom 15. Oktober 1917 die Bestimmung des Art. 31 Nr. 11 der brasilianischen Verfassung übernommen.

Von europäischen Mächten ist diesem Beispiel zuerst Portugal gefolgt. Art. 26 Nr. 14 seiner Verfassung vom 21. August 1911 hat den Kongress nur für den Fall zu einer Kriegserklärung ermächtigt, dass die Anrufung eines Schiedsgerichts nicht in Betracht kommt oder erfolglos geblieben ist, es sei denn, dass es sich um einen drohenden oder bereits erfolgten Angriff durch fremde Streitkräfte handelt. Außerdem wird in Art. 73 das Prinzip der Schiedsgerichtsbarkeit als die beste Art der Erledigung internationaler Streitigkeiten erklärt, vorbehaltlich der in Bündnisverträgen enthaltenen Verpflichtungen.

Beachtenswert ist schließlich Art. 57 des niederländischen Verfassungsgrundgesetzes in der durch das Gesetz vom 10. November 1922 veränderten Form. Danach soll der König versuchen, „de résoudre les conflits avec les Puissances étrangères par la voie judiciaire et d'autres moyens pacifiques“.

Sonstige Vorschriften der Verfassungen, die materiellrechtliche Schranken für das Recht der Kriegserklärung enthalten, gibt es meines Wissens nicht. Ein im schwedischen Reichstag 1916 gestellter, sehr weitgehender Antrag, das Recht der Kriegserklärung in § 13 der Verfassung zu streichen fand nur in der ersten Kammer Zustimmung, während er in der zweiten abgelehnt wurde.

Wenn man auch zugeben muss, dass alle Verfassungsbestimmungen nicht ideal sind, so bedeuten sie doch einen erheblichen Fortschritt gegenüber dem Recht der meisten anderen Staaten. Nicht zu Unrecht haben sich eine Reihe von Staaten bei den Verhandlungen der Völkerbundversammlung zu wiederholtem Male zum Beweis für ihre völkerbundfreundliche Politik auf die erwähnten Verfassungsvorschriften berufen.

Es sei zum Schluss hervorgehoben, dass in formaler Hinsicht noch folgende beide Staatgrundgesetzte beachtenswerte Garantien für die Aufrechterhaltung des Friedens enthalten. Einmal sieht Art. 43 der lettischen Verfassung vom 15. Februar 1922 vor, dass der Präsident der Republik, wenn er die nötigen Maßnahmen zur Verteidigung des Landes ergreift, gleichzeitig die Landesvertretung einberufen muss, die über Krieg und Frieden zu entscheiden hat. Ferner ist nach Artikel 33 der tschechoslowakischen Verfassung vom 29. Februar 1920 zur Kriegserklärung eine Mehrheit von drei Fünftel aller Mitglieder in der Kammer notwendig.


§ 2. Der Aufruf der Interparlamentarischen Union


Die bedeutsame Aufgabe einer Ächtung des Krieges durch die Verfassungen der einzelnen Staaten ist unter dem Eindruck der Erfahrungen des Weltkrieges bereits früh erkennt worden. In dem von der „Zentralorganisation für einen dauernden Frieden“ herausgegebenen „Recueil de Rapports sur les différents points du Programme-Minimum“ hat der Schwede Carl Lindhagen im Jahre 1928 verlangt: „Nach dem Kriege muss der Begriff „Krieg“ als Ungehöriges, das nicht in Frage kommen kann, aus den Verfassungen ausgemerzt werden“. Bald darauf hat Prof. C. van Vollenhoven (Leiden) eine berühmte, gleichzeitig in vier Sprachen erschienene Schrift „Die drei Stufen des Völkerrechts“ herausgegeben, worin er als entscheidend für die Zukunft des Völkerrechts die Frage erklärte: „Bist du, souveräner Staat, bereit, zugleich mit den anderen, aus deiner Verfassung das Recht der Kriegserklärung völlig auszutilgen und deine Streitmacht als ausschließlich bestimmt zum Schutz verletzter Rechte auf Grund von Weltverträgen zu bezeichnen?“ Weiter führte van Vollenhoven aus: „Wer auf diese Frage „von ganzem Herzen Ja“ sagt, der will den Völkerbund und den dauerhaften Frieden; aber wer auf diese Frage antwortet „Ja, sehen Sie einmal, das möchte ich ja gerne, aber meine Angriffskriege sind immer reine Abwehr, und mein souveränes Recht kann nicht bestehen ohne die Kraft meines souveränen Schwertes“, der zieht sich selbst die Maske vom Gesicht, der brandmarkt sich selbst, der will nicht ewigen Frieden, sondern die ewige Anarchie Vattels". (Vattels = Niemandsland)

Wohl unter dem Einfluss der Schrift van Vollenhovens hat dann die offizielle niederländische Expertenkommission in den von ihr aufgestellten „Völkerbundprinzipien“ (Januar 1919) erklärt: „Le droit de faire la guerre est inconciliable avec la Ligue des Nations“

Im gleichen Jahre machte Wilhelm Kaufmann, Professor an der Universität Berlin, in einem Aufsatz „Völkergemeinschaft und Verfassung des deutschen Volksstaates“ den Vorschlag, in die neue deutsche Reichsverfassung einen Artikel folgenden Inhalts aufzunehmen:

„Ausdrücklich erkennt der deutsche Volksstaat an, dass unter den heutigen Verhältnissen das Unternehmen oder die Herbeiführung eines Angriffskrieges eines Volkes innerhalb der Völkergemeinschaft ein furchtbares Verbrechen gegen die Völkergemeinschaft ist“

Einen sehr starken Antrieb hat die Bewegung auf verfassungsrechtlichen Ächtung des Krieges dann durch die amerikanische Bewegung zur Ächtung des Krieges erhalten. Die Ächtung des Krieges durch die Verfassungen der einzelnen Staaten ist insbesondere ein Kernstück des Werkes von Morrison „The Outlawry of war“. Allerdings will Morrison die Verfassungsänderung davon abhängig machen, dass auch die anderen Nationen diesem Beispiel folgen. Bedingungslos hat dagegen ein von Senator Franzier am 23. April 1926 und neuerdings am 9. Dezember 1927 dem Senate unterbreiteter Vorschlag der „Women's Peace Union“ die Ächtung des Krieges in der amerikanischen Verfassung beantragt. Viel Beachtung hat schließlich der Vorschlag des amerikanischen Botschafters Houghton gefunden, die Entscheidung über Krieg und Frieden von einer Volksabstimmung abhängig zu machen,

Ihre Krönung haben aber alle diese Bestrebungen durch den Beschluss der XXII. Interparlamentarischen Konferenz zu Bern vom 25. August 1924 erhalten, Damals nahm die Union, ohne dass von irgendeiner Seite Widerspruch geäußert wurde, nach dem Referat von Prof. Walther Schücking folgende Entschließung an:

„Sie empfiehlt den nationalen Gruppen, ihren Parlamenten Entwürfe zu einer Verfassungsänderung vorzulegen, die abzielt:

  • a) auf das Verbot, irgendwelche kriegerische Entscheidung auszurufen, vorbehaltlich der Verpflichtungen, die nach dem Wortlaut des Artikels 16 der Völkerbundsatzung eingegangen sind;

  • b) auf die Verpflichtung, ein Schiedsgericht anzurufen oder andere Mittel gütlicher oder rechtlicher Entscheidung für die Lösung von Zwistigkeiten mit anderen Staaten, in allen Fällen, in denen eine gütliche Verständigung durch unmittelbare Verhandlungen nicht geglückt sein sollten.


In seinem Berichte an die Konferenz hatte Professor Walther Schücking u. a. ausgeführt:

„Der Beschluss der Rechtskommission wendet sich in einem zweiten Teile dann gegen die Angriffskriege und stellt auch hier das Postulat auf, dass solcher Möglichkeit in dem Staatsgrundgesetz jedes Staates ein Riegel vorgeschoben wird, unter Bezugnahme darauf, dass in dem Garantiepakt, der auf Grund eines Beschlusses der vierten Völkerbundversammlung allen Regierungen zur Äußerung vorgelegt ist, der Angriffskrieg als ein internationales Verbrechen gekennzeichnet worden ist. Auch in dieser Erkenntnis sind wir seit der Katastrophe des Weltkrieges wesentlich weiter gekommen. Nach der herrschenden Lehre des Völkerrechts vor Beginn des Weltkrieges war Krieg ein erlaubtes Mittel zur Rechtsverfolgung, wobei dann der Unterschied zwischen Rechten und Interessen in der Praxis nicht immer eingehalten, gelegentlich sogar in der Theorie aufgegeben wurde. Den Unterschied zwischen einem gerechten und einem ungerechten Kriege hatte die Wissenschaft des letzten Jahrhunderts fallen lassen, weil es an einer Instanz fehlte, die diese Frage entscheiden könne. Demgegenüber hat der Pakt des Völkerbundes den großen Fortschritt gebracht, dass wenigstens nach ganz bestimmten rechtlichen Gesichtspunkten ein Unterschied zwischen einem erlaubten und einem unerlaubten Kriege gemacht wird. Aber genau so wie im Mittelalter auf die Einschränkung des Fehderechts durch die treuga dei ein absolutes Verbot der Fehde gefolgt ist, das im Ewigen Landfrieden von 1495 die Gewalt schlechthin zum Verbrechen stempelte, genau so sind heute in der ganzen Welt schon Kräfte am Werke, die von einem erlaubten Kriege nicht mehr wissen wollen und den Appell an die Gewalt durch den einzelnen nur noch als Verbrechen werten. Es entspricht den historischen Traditionen unserer Union in diesem Kampfe voranzugehen.


Unter diesem Gesichtspunkt empfehlen wir die Aufnahme einer Bestimmung in die Verfassung, die grundsätzlich den Krieg verbietet, selbstverständlich unter Vorbehalt der Verpflichtungen aus dem Pakt des Völkerbundes, nach denen die Mitglieder auf der Grundlage des Artikels 16 zu internationalen Exekutionen gegen Rechtsbrecher beizutragen haben. Die Aufnahme einer derartigen Bestimmung geht weit über alle Schranken hinaus, die bisher einzelne Staaten für die Möglichkeit der Kriegserklärung geschaffen haben, indem sie z. B, Kriegserklärungen von einer Zustimmung des Parlaments abhängig gemacht haben. Die große juristische Tragweite der Aufnahme eines Verbots von Kriegserklärungen in die Verfassung läge auch für solche Staaten, nach deren Verfassung heute schon Kriegserklärung der Form des Gesetzes bedarf, wie in Deutschland, immer noch darin, dass dann zur Kriegserklärung die besonderen Formen eingehalten werden müssten, deren Wahrung für eine Verfassungsänderung in den meisten Staaten notwendig ist. Das letzte gilt übrigens schon heute nach der Verfassung der Tschechoslowakei (Art. 33)“:


Bei den Verhandlungen der juristischen Kommission der Interparlamentarischen Union am 3. und 4. April 1924, welche die Beratungen im Plenum vorbereiteten, hatte die Anregung einer Ächtung des Krieges durch die Verfassungen der einzelnen Staaten gleichfalls keinen Widerspruch gefunden. Eine Diskussion fand lediglich über die Anregung von La Fontaine (Belgien) statt, unter a) statt „étant réservée les obligations contractées par les Etats membres de la Société des Nations á téneur de l'art. 16 du Pacte“ zu sagen „sous réserve des obligations générales ou régionales contractées par les Etats pour leur défense mutuelle en cas d'agression armée“. Dieser Vorschlag wurde jedoch abgelehnt und die ursprünglichen Form angenommen.

Sicherlich wäre es ein großes Verdienst der Regierungen, wenn sie sich die Anregungen der Interparlamentarischen Konferenz von 1924 zu eigen machten.

 

§ 3. Die Ächtung des Krieges in den nationalen Verfassungen.

Kein Zweifel, dass eine gute Formulierung der Ächtung des Krieges, die in die Verfassungen aller Staaten aufgenommen werden kann, nicht leicht ist. Es treten hier dieselben Schwierigkeiten auf, die zwischen dem amerikanischen Staatssekretär Kellog und dem französischen Außenminister Briand zu Meinungsverschiedenheiten geführt haben. Das „Deutsche Friedenskartell“, die Vereinigung der pazifistischen Organisationen Deutschlands, hat sich kürzlich unter meiner Mitwirkung mit dieser Frage befasst und am 30. April 1928 beschlossen, in einer Eingabe an den Reichstag und die Reichsregierung zu empfehlen, wonach Kriegserklärung und Friedensschluss durch Reichsgesetz erfolgen, durch folgende Bestimmungen zu ersetzten:

  1. „Das Deutsche Reich verzichtet fortan auf das Mittel des Krieges. Internationale Streitigkeiten müssen ausschließlich auf friedlichem Wege erledigt werden: entweder durch Vergleichsverhandlungen oder durch Schiedsgericht oder durch Anrufung des Weltschiedsgerichts

  2. Die Rechte und Verpflichtungen aus Art. 16 der Völkerbundsatzung bleiben unberührt. Militärische Maßnahmen im Einklang Art. 16 der Satzung können nur durch Reichsgesetz erfolgen, und zwar müssen sie mit der bei Verfassungsänderungen erforderlichen Mehrheit beschlossen worden sein.

  3. Kriegerische Handlungen, die im Widerspruch mit diesen Vorschriften angeordnet worden sind, werden hierdurch zu Verbrechen erklärt. Ein besonderes Gesetz bestimmt die über die verantwortlichen Personen in solchem Fall zu verhängenden Strafen und die Formen des gegen sie anzuordnenden Verfahrens.“


Dieser Vorschlag, der in entsprechende Weise auf die Verfassungen anderer Länder auszudehnen wäre, soweit sie dem Völkerbund angehören, geht von dem geltenden Recht aus. Er will keine ideale Regelung des Problems herbeiführen. Eine solche ist erst möglich, wenn auf internationalem Wege größere Fortschritte als bisher erzielt worden sind. Da es aber nützlich erscheint, den Krieg in den Verfassungen der einzelnen Staaten sobald wie möglich und unabhängig von dem Zustandekommen eines internationalen Pakts zu ächten, muss man das geltende Recht zugrunde legen. Durch die Berufung auf Art. 16 sind Verteidigungskriege gestattet, und auch Bündnisverpflichtungen, die lediglich zur Ergänzung des Art. 16 ins Leben gerufen sind, werden in vollem Umfang aufrecht erhalten. Die Vorschrift, wonach Angriffskriege verfassungsrechtlich verboten sind und Verteidigungs- und Sanktionskriege nur mit qualifizierter Mehrheit der gesetzgebenden Organe beschlossen werden dürfen, wäre von ungeheurer Bedeutung. Denn bisher haben die Verfassungen zur Führung eines Verteidigungskrieges die Genehmigung der Volksvertretung im allgemeinen nicht vorgesehen. Die militärische Macht darf vielmehr regelmäßig ohne Befragung der gesetzgebenden Faktoren eingesetzt werden, Wenn fortan der Beginn sogar des Verteidigungskrieges von der Genehmigung der Volksvertretung abhängig gemacht wird, ja diese Genehmigung mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden muss, so ist dem leichtsinnigen Beginn eines Verteidigungskrieges ein Riegel vorgeschoben. Dieser würde noch erheblich verstärkt werden, wenn eines Tages in einen Kriegsächtungspakt allgemein die Bestimmung aufgenommen würde, dass ein Verteidigungskrieg unzulässig ist, ohne dass seine Voraussetzungen von einer internationalen Instanz festgesetzt sind. Je furchtbarer irgendein Ereignis die Menschheit zu schädigen imstande ist, mit um so stärkeren Schutzmaßnahmen sucht sie sich zu umgeben. So ist es natürlich, dass auch gegen die Gefahren eines modernen Krieges, welche die Völker heute in ungleich höheren Maße als bisher bedrohen, Sicherungen ganz anderen Ausmaßes sowohl national wie international vorgesehen werden. Diese Sicherungsmaßnahmen aber müssen einsetzen, bevor der bewaffnete Zusammenstoß der Streitkräfte erfolgt ist und bevor die Gewalt auf die Generäle über gegangen ist.

Hervorgehoben sei noch, dass bei den Verhandlungen des „Deutschen Friedenskartells“ Helmut v. Gerlach als einziger Bedenken Gagen den Absatz 2 äußerte, wonach Maßnahmen gemäß Art. 16 der Völkerbundsatzung nur durch Reichsgesetz, mit der bei Verfassungsänderungen erforderlichen Mehrheit, erfolgen könnten. Er sah darin eine Erschwerung der Durchführung, wenn nicht eine Sabotage der Art.16 der Satzung, und beantragte die Streichung des Absatzes 2. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass einerseits die Volksvertretung an die Verpflichtungen aus Art. 16 der Satzung gebunden ist und andrerseits eine Erschwerung des Beschlusses wegen der ungeheuren Tragweite militärischer Sanktionen nicht zu umgehen ist. Durch Streichung des Absatzes 2 würde man auch darauf verzichten, den Beginn eines Verteidigungskrieges von einem unter den erschwerenden Formen der Verfassungsänderung zu beschließenden Reichsgesetz abhängig zu machen.

 


§ 4. Bedingte oder bedingungslose Verfassungsänderung?


Es könnte nun die Frage gestellt werden, ob der Verzicht der Staaten auf das Recht der Kriegserklärung unbedingt erfolgen oder ob es nicht von einer entsprechenden Änderung der Verfassungen der anderen Mächte abhängig gemacht werden soll. Da der Krieg ein Verbrechen ist, so muss der Verzicht darauf, ein Verbrechen zu begehen, bedingungslos ausgesprochen werden. Wenn es sich um die Beschränkung der Rüstungen handelt, kann vielleicht ein Staat mit gewissen Rechte sagen, er könne diesen Schritt nur unternehmen, wenn auch der Nahbar das gleiche tue. Im Gegensatz hierzu aber bedeutet der Verzicht auf das Recht des Krieges keinerlei Gefahr. Vielmehr würde durch das Vorgehen jedes einzelnen Staates ein so starker moralischer Druck auf die anderen Mächte in der Richtung der Ächtung des Krieges ausgeübt, dass dadurch letzten Endes die Gefahr fremder Angriffe gemindert und die Sicherheit jedes einzelnen Staates erhöht würde.

Als das Deutsche Reich kürzlich den Waffenhandel nach China verbot, hat Reichsaußenminister Stresemann am 29. März 1928 im Reichstag erklärt: „Wir sind uns darüber klar, dass eine völlige Verhinderung des Waffenhandeln nach China nicht möglich ist, wenn nicht alle Staaten Maßnahmen gegen die Waffenfabrikation oder den Waffenhandel nach China ergreifen, soweit sie das noch nicht getan haben. Schließlich wird es ja wohl zu einer internationalen Lösung auch in dieser Frage kommen. Wir unsererseits sind bereit, daran mit zu arbeiten, wollen aber nicht darauf warten, bis der schwer fällige Apparat der internationalen Verständigung tätig wird, sondern wollen durch ein deutsches Gesetz … die Waffenlieferung verhindern“.


In ähnlicher Weise handelt es sich jetzt für alle Staaten darum, ob sie zwecks Ächtung des Krieges auf den „schwerfälligen Apparat der internationalen Verständigung“ warten oder durch ein verfassungsänderndes Gesetz auf den Krieg endgültig verzichten wollen.

Hans Wehberg (1885-1962), Vortrag an der Haager Völkerrechtsakademie in Genf, 1930