Von Enten und Helden
Erste Beobachtung. Im Teich die Gänse, die Haubenenten, die Brautenten, die gemeinen Enten und die zwei Schwäne haben Ruhe gehalten den ganzen Vormittag. Sie schwimmen aneinander vorüber, wackeln mit den jeweiligen Steißen, stecken die Köpfe ins Wasser und tun sonst so nach Art der Wassergeflügels.
Da bricht ein Streit aus zwischen dem großen braunen Enterich und dem weißen Enterich. Der braune fährt auf den weißen los, der flieht und es gibt mit großen Geschrei eine Jagd durch den Teich und rund herum. Sie reißen einander Federn aus, sie verbeißen sich, sie tauchen unter und balgen sich unter der Oberfläche weiter, so dass das Wasser wallt und kocht. Dann kommen sie wieder herauf und mit einem scharfen Schnabelschlag fasst der braune Enterich den Weißen an den Hals, dass das Blut herauskommt.
In diesem Augenblick aber ist der Streit aus. Der siegreiche, braune Enterich rudert ganz friedlich zu seinem verwundeten Gegner hin und schmeichelt und gackelt freundlich an ihm herum und dann schwänzeln sie kameradschaftlich nebeneinander durch den Teich.
Moral der ersten Beobachtung: Es ist etwas Sonderbares um die Enten.
Zweite Beobachtung. Am Fronteinskoop die beiden Buren Piet und Abimelech hatten den ganzen Vormittag auf Vorposten gelegen, ohne dass sich etwas von den Engländern gezeigt hätte. Erst gegen Abend regte sich etwas am Wege und da duckten die beiden Buren sich hinter einen Stein. Es war ein englischer Offizier zu Pferde von Bullers Armee. Er wollte wohl auskundschaften oder hatte sich verirrt und stand nun still gegen den Abenshimmel und war ein ganz prachtvolles Schussobjekt.
Da sagte hinter dem Steine der Bure Piet leise zu seinem Gefährten: "Ich knalle ihn herunter wie einen Spatzen."
Abimelech antwortete:"Nein, du nicht, sonder ich. Du hast gestern den dicken Major geschossen. Jetzt bin ich an der Reihe."
Und sie stritten sich lange hin und her und weil sie sich nicht einigen konnten, beschlossen sie aus zu losen, wer den Schuss tun sollte. Zu diesem Zwecke holte Abimelech seine Bibel aus dem Sack und sie verabredeten die Auslosung so, das jeder den Finger beliebig in die Bibel stecken sollte. Und wer dann mit dem Finger den größeren Vers gefasst hätte, der sollte gewonnen haben und den Schuss tun. So taten sie den auch und Piet als der Ältere steckte zuerst den Finger in die Bibel und fasste den Vers "Deine zwo Brüste sind wie junge Rehzwillinge, die unter Rosen weiden."
Dann steckte Abimelech den Finger in das Buch und faßte den Vers:"Und Lea ward schwanger und gebar einen Sohn; den hieß sie Ruben und sprach: Der Herr hat angesehen mein Elend; nun wird mich mein Mann lieb haben."
Das war ganz offenbar der längere Vers. Abimelech hatte gewonnen. Er nahm die Büchse und legte an.
"Sechzig Schritte sind's" flüsterte Piet, "ziele hoch, dann geht es ihm in die Gedärme." Der Schuss krachte, das Pferd bäumte sich hoch und der Engländer fiel herunter wie ein Sack.
Die beiden Buren warteten einen Augenblick hinter den Steinen. Aber als sie sahen, wie der verwundete Engländer sich im Grase krümmte und mit den Beinen schlug, da standen sie auf und liefen hin, um ihn zu pflegen.
Sie knöpften ihm die Weste auf und untersuchten die Wunde und fanden, dass sie bedauerlicherweise recht schwer sei. Danach holten sie Verbandszeug hervor, stopften Watte in den Schusskanal, wuschen ihn mit Karbolwasser und waren sehr besorgt. Und trugen den Engländer vorsichtig davon und klagten sehr, dass er leider so schwer verwundet sei.
Moral der zweiten Beobachtung: Es ist etwas Sonderbares auch um die Menschen.
Victor Auburtin (?), aus der satirischen Wochenzeitschrift "Simplicissimus", Jahrgang 16 (1911) Heft 9, Seite 144