Die seltsamen Leute vom Planeten Hortus
Auf dem Planeten Hortus lebten die Apfelleute, die Pflaumenleute, die Birnenleute und die Himbeerleute. Die Apfelleute lebten von Apfelmus, Apfelkompott, Apfelmarmelade und Apfelkuchen. Die Pflaumenleute lebten von Pflaumenmus, Pflaumenkompott, Pflaumenmarmelade und Pflaumenkuchen. Und bei den Birnenleuten und den Himbeerleuten war es so ähnlich.
Das ging eine Zeit lang ganz gut, aber eines Tages hing den Birnenleuten die ewige Birnenmarmelade zum Hals heraus. Da sagte einer von den Birnenleuten: "Wisst ihr was! Wir sollten Räuber werden!"
"Räuber? Was ist denn das?"
"Ganz einfach: Wir schleichen uns in der Nacht an die Pflaumenleute heran, und wenn sie alle schlafen, fallen wir über sie her und verprügeln sie. Dann nehmen wir so viele Pflaumen, wie wir tragen können, und rennen davon. Und dann können wir endlich einmal Pflaumenmus und Pflaumenmarmelade, Pflaumenkompott und Pflaumenkuchen essen!"
"Bravo!" schrien die Birnenleute. "Das wird ein Spaß!"
Und sie schlichen sich an das Dorf der Pflaumenleute an, und als alle schliefen, fielen sie über das Dorf her, drangen in die Häuser ein und verprügelten die Pflaumenleute. Dann nahmen sie so viele Pflaumen, wie sie tragen konnten, und rannten davon.
Die Pflaumenleute waren ganz erschrocken und traurig. "Was war das?" sagte sie zueinander. "So etwas hat es noch nie gegeben! Vielleicht sind die Birnenleute verrückt geworden? Wir sollten die Frau Zwetschkenstiel zu ihnen schicken!"
Die alte Frau Zwetschkenstiel konnte nämlich aus Pflaumenkernen ein Öl machen, damit heilte sie alle Krankheiten außer gebrochenen Beinen.
Also machte sich die Frau Zwetschkenstiel mit ihrem Kännchen voll Pflaumenkernöl auf den Weg.
Aber am Abend kam sie wieder zurück. "Sie wollen sich nicht heilen lassen" sagte sie. "Sie haben mir Prügel angedroht und mich weggeschickt."
"Das ist schlimm!", sagten die Pflaumenleute traurig. "Was machen wir jetzt?"
"Wenn sie sich nicht heilen lassen wollen, dann sind sie nicht krank, sondern böse. Wir müssen sie bestrafen!"
"Ja, das machen wir! Wir überfallen sie, und nehmen ihnen ihre Birnen weg. Das ist nur gerecht!"
Und alle jubelten und schrieen durcheinander, und nur die Frau Zwetschkenstiel schüttelte besorgt den Kopf.
Also machten sich die Pflaumenleute auf den Kriegspfad, und in der Nacht fielen sie über die Birnenleute her und verprügelten sie. Dann nahmen sie so viele Birnen, wie sie tragen konnten, und liefen weg.
"Und was macht ihr, wenn sie morgen wieder über uns herfallen?" fragte die Frau Zwetschkenstiel.
Da schauten alle besorgt, aber der junge Herr Kern sagte: "Wir stellen einfach Wachen auf rund um das Dorf, mit langen Stangen, und wenn sie dann kommen, verprügeln wir sie."
Und das machten sie auch, und als die Birnenleute ein paar Nächte später wieder kamen, kriegten sie entsetzliche Dresche.
"Na, was hab ich gesagt! Wir haben es ihnen ordentlich gegeben!" sagte der Herr Kern stolz. "Die trauen sich so bald nicht mehr über uns herzufallen."
"Schön, schön", sagten die jungen Männer, die Wache gehalten hatten. "Aber weißt du was: "Wir haben zwei Wochen lang jede Nacht Wache gehalten, und am Tag haben wir geschlafen. Inzwischen haben wir allen unseren Pflaumenkuchen und alle unsere Pflaumenmarmelade aufgegessen, und wir haben keine Zeit gehabt zu kochen oder zu backen!"
"Dann sollen euch alle etwas geben!", sagte der Herr Kern, "denn ihr habt ja für alle Wache gehalten!"
Da gaben alle Pflaumenleute den Wächtern etwas, und der Herr Kern kriegte am meisten. "Denn ich muss mich ja um alles kümmern!", sagte er. "Ich trage die Verantwortung!"
Aber nach einiger Zeit murrten die Pflaumenleute, denn bisher hatte es immer gerade für alle gereicht. Aber jetzt, wo all die jungen Männer Wache hielten, statt sich um die Pflaumenbäume zu kümmern und zu kochen und zu backen, jetzt reichte es nicht mehr.
"Ja" sagte der Herr Kern, "wer ist schuld, dass unsere jungen Männer nicht arbeiten können, sondern Wache halten müssen? Die Birnenleute! Also müssen die Birnenleute dafür bezahlen!"
Und er marschierte mit seinen Männern zum Dorf der Birnenleute, um sie wieder auszurauben. Aber die Birnenleute hatten auch Wachen aufgestellt, und es gab eine fürchterliche Prügelei in der Mitte zwischen den beiden Dörfern, und die Pflaumenleute kamen nicht an die Birnen heran.
Da sagte der Herr Kern: "Wir müssen Netze knüpfen, und sie über die Wachen der Birnenleute werfen. Dann können wir sie besiegen und das Dorf ausrauben!"
Also mussten alle Pflaumenleute Netze knüpfen, und diesmal gelang der Raubzug.
Stolz kam der Herr Kern an der Spitze seiner Truppen zurück, und jeder der jungen Männer trug einen Sack Birnen auf den Schultern. Der Herr Kern trug auch etwas, nämlich die Verantwortung.
In der Mitte des Dorfs ließ der Herr Kern die Birnen zu einem großen Haufen aufschütten. Dann teilte er den Haufen in drei kleinere Haufen. "So" sagte er: "Ein Haufen wird unter alle Dorfbewohner verteilt, damit alle genug zu essen haben. Ein Haufen wird unter meine Soldaten verteilt, weil sie so tapfer gekämpft haben. Und einen Haufen bekomme ich, weil ich die Verantwortung für alles trage."
Und alle jubelten und klopften dem Herrn Kern auf die Schulter. Nur die alte Frau Zwetschkenstiel schüttelte besorgt den Kopf, und sagte: "Und wenn sie jetzt auch Netze knüpfen, die Birnenleute?"
"Ich weiß schon!", sagte der Herr Kern. "Wir bauen eine Mauer rund um das Dorf, dann können sie uns nie mehr überfallen"
Und so mussten die Pflaumenleute eine Mauer rund um das Dorf bauen.
Aber die Birnenleute wollten ihre Niederlage nicht auf sich sitzen lassen. Und als ihre Kundschafter berichteten, dass die Pflaumenleute eine Mauer um ihr Dorf bauten, da bauten die Birnenleute auch eine Mauer um ihr Dorf. Und sie knüpften Netze, um die Wachen fangen zu können. Und außerdem bauten sie sich Leitern, um über die Mauer der Pflaumenleute klettern zu können. Und eines Nachts überfielen sie mit ihren Leitern das Pflaumendorf und raubten es aus.
"Jetzt ist es genug!" sagte da der Herr Kern. "Wir müssen diesen weichen Birnen endlich eine Lektion erteilen, von der sie sich nie wieder erholen!"
Und er befahl den Pflaumenleuten, einen großen Turm auf Rädern zu bauen. Den wollte er zu der Mauer des Birnendorfs schieben und dann von oben Feuer auf die Häuser der Birnenleute werfen. Aber die Birnenleute bauten inzwischen eine gewaltige Steinschleuder, mit der sie die Mauer des Pflaumendorfs zusammenschießen wollten.
Und eines Nachts schlich die Armee der Pflaumenleute auf das Dorf der Birnenleute zu, und die Armee der Birnenleute schlich auf das Dorf der Pflaumenleute zu. Und weil die Nacht dunkel und neblig war, schlichen die Armeen aneinander vorbei, ohne es zu bemerken. Als die Pflaumenleute ihren Turm vor der Mauer der Birnenleute aufgestellt hatten, stieg der Herr Kern hinauf und brüllte: "Macht das Tor auf, und ergebt euch, sonst zünden wir euer ganzes Dorf an."
Und weil die Armee der Birnenleute fort war, machten die Dorfbewohner die Tore auf und ließen die Pflaumenleute herein. Und als die Birnenleute ihre Steinschleuder vor die Mauer des Pflaumendorfs geschoben hatten, schrieb ihr Anführer auf einen Zettel: "Ergebt euch, sonst wird euer ganzes Dorf zerschossen!" Und den Zettel wickelte er um einen Stein und ließ ihn über die Mauer schießen. Und die Pflaumenleute machten auch die Tore auf und ließen die Birnenleute herein.
Aber als die Armeen anfangen wollten zu rauben, da war fast nichts mehr da. Nur ein paar Töpfchen Marmelade, ein paar vertrocknete Kuchen, und ein Rest Kompott, aber das war schon schimmlig geworden.
"Es ist nichts mehr da" sagten die Birnenleute zu den Pflaumensoldaten. "Wir haben keine Zeit gehabt zu kochen und uns um die Bäume zu kümmern, es ist alles für den Krieg aufgegangen."
"Wir haben nichts mehr" sagten die Pflaumenleute zu den Birnensoldaten, "wir haben keine Zeit gehabt, die Bäume zu pflegen und Kuchen zu backen, es ist alles für den Krieg aufgegangen."
"Mist!" sagte der Anführer der Birnensoldaten, und kehrte wieder um.
"Verdammt!" sagte der Herr Kern und führte seine Armee wieder zurück. Im Morgengrauen trafen sich die beiden Armeen in der Mitte zwischen den beiden Dörfern und vor lauter Zorn fingen sie eine Prügelei an. Aber die beiden Feldherren prügelten sich nicht. Sie standen jeder auf einem kleinen Hügel, schauten einander böse an und grübelten.
Als sie fanden, dass die Armeen sich genug geprügelt hatten, kommandierten sie Abmarsch, und zogen mit ihren Armeen heim.
Am nächsten Tag rief der Herr Kern die Pflaumenleute zusammen und sagte: "So, jetzt müssen wir schleunigst an die Arbeit gehen und schnell ein paar Pflaumenkuchen backen. Wir müssen schneller backen als die anderen, damit wir früher als sie für die nächste Schlacht gerüstet sind!"
Aber die Frau Zwetschkenstiel sagte: "Das geht nicht. Es sind nämlich keine Pflaumen da, weil sich niemand um die Bäume gekümmert hat. Die Pflaumen sind alle am Boden verfault. Und Mehl für Kuchen ist auch keines mehr da. Und überhaupt geht das so nicht mehr weiter. Was für einen Sinn hat es, dass wir uns gegenseitig ausrauben? Wenn wir genug zu essen haben wollen, muss ein jedes den ganzen Tag arbeiten, die Birnenleute genauso wie wir. Vom Rauben wachsen keine Pflaumen und auch keine Birnen. Wir müssen mit den Birnenleuten Frieden schließen!"
Und die Pflaumenleute, die sich endlich wieder um die Pflaumenbäume kümmern und Kompott machen wollten, stimmten ihr zu.
Nur der Herr Kern war sauer. Denn wenn kein Krieg war, konnte er nicht kommandieren und die Verantwortung tragen, und es gab keine Beute, von der er sich den größten Teil nehmen konnte.
Er wanderte ins Dorf der Himbeerleute und sagte zu ihnen: "Hört zu. Die Birnenleute haben nichts mehr zu essen, sie haben alles für den Krieg ausgegeben. Also besteht die große Gefahr, dass die Birnenleute als nächstes euch ausrauben werden!"
Die Himbeerleute kratzten sich hinter den Ohren und sagten: "Wir haben ihnen doch nichts getan!"
"Das ist egal" sagte der Herr Kern, "sie sind Räuber und holen sich ihre Beute, wo sie sie kriegen können."
"Das ist schrecklich!" sagten die Himbeerleute. "was sollen wir denn da machen? Wir verstehen nichts vom Kriegführen."
"Aber wir!" sagte der Herr Kern. "Ich habe einen Vorschlag: Gebt uns ein paar Kübel Himbeeren - wir sind nämlich zufällig gerade etwas knapp mit Obst - und wir helfen euch gegen die Birnenleute."
"Na schön", seufzten die Himbeerleute, "was bleibt uns denn anderes übrig!"
Und dann ging der Herr Kern wieder zurück ins Pflaumendorf, und sagte zu den Pflaumenleuten: "Bis nur nächsten Pflaumenernte dauert es noch fast ein Jahr! Wovon wollt ihr denn in der Zwischenzeit leben? Wenn wir Frieden schließen, müssen wir ein ganzes Jahr hungern. Aber wenn wir uns mit den Himbeerleuten verbünden, um gegen die Birnenleute zu kämpfen, dann kriegen wir jetzt gleich Himbeeren von ihnen."
"Ja, das ist besser" schrieen die jungen Männer, die sich schon ans Kämpfen gewöhnt hatten. "Kämpfen können wir besser als Pflaumen züchten."
Die anderen Pflaumenleute kratzten sich hinter den Ohren und sagten: "Ein ganzes Jahr hungern, wer soll denn das aushalten?" und stimmten auch dem Herrn Kern zu. Nur die Frau Zwetschkenstiel schüttelte besorgt den Kopf.
Der Feldherr der Birnenleute aber hatte sich inzwischen mit den Apfelleuten verbündet. Und so fing alles wieder von vorne an: Die Himbeerleute und die Apfelleute mussten auch Mauern um ihre Dörfer bauen, Netze knüpfen, Leitern und Schleudern und Belagerungstürme bauen, und außerdem noch ihren Beschützern die Hälfte von ihrem Obst abgeben. Und als das Jahr um war, gab es auf dem ganzen Planeten nichts mehr zu essen und nichts mehr zu rauben.
Da rief die Frau Zwetschkenstiel alle Frauen des Planeten zusammen - das ging, weil es ja nur vier Dörfer waren - und sagte zu ihnen:
"So geht das nicht weiter. Vom Rauben und Kriegführen wachsen keine Pflaumen und keine Himbeeren, keine Äpfel und keine Birnen. Irgendwer muss die Arbeit machen, sonst gibt es auch keine Beute. Und weil es nur gerade reicht, wenn ein jedes seine Arbeit macht, können wir uns die ganze Räuberei einfach nicht leisten! Netze und Leitern und Steinschleudern und Mauern und Belagerungstürme kann man nicht essen!"
"Richtig!" sagten die Frauen.
"Also, dann sagt euren Männern, dass sie sich die Hand geben sollen und schleunigst in die Gärten zurückkommen. Sonst werden wir alle verhungern!"
"Gut!" sagten die Frauen.
Und so wurde ein Vertrag geschlossen, und die Männer gaben sich alle die Hand und murmelten: "Entschuldigung, wird nicht mehr vorkommen" und dann war wieder Frieden auf dem Planeten Hortus. Und nach zwei, drei knappen Jahren hatten alle wieder genug zu essen, und die Frau Zwetschkenstiel schickte in alle Dörfer Töpfe mit Pflaumenmarmelade, und die Frauen aus den anderen Dörfern schickten Apfelkuchen und Birnenmus und Himbeerkompott.
Und weil solange Frieden herrschte, hatten die Leute Zeit, auch ein bisschen nachzudenken und etwas zu erfinden. Da erfand einer eine Apfelpflückzange, mit der man die Äpfel pflücken konnte, ohne auf die Bäume zu klettern. Und einer züchtete Himbeersträucher ohne Dornen. Und einer erfand ein Gerät, mit dem man die Pflaumen ganz leicht entkernen konnte. Und einer erfand ein Spezialmesser zum Birnenschälen.
"Fein" sagten die Frauen, "jetzt braucht ein jedes nur mehr den halben Tag zu arbeiten, und es reicht trotzdem für alle"
Aber eines Tages stand der Herr Kern auf, und sagte zu den Pflaumenleuten: "Das geht nicht, dass wir den halben Tag auf der faulen Haut liegen, nur weil die Arbeit mit dem neuen Pflaumenentkerner jetzt leichter geworden ist. Was ist, wenn den Birnenleuten einfällt, über uns herzufallen und uns zu zwingen, die andere Hälfte des Tages für sie zu arbeiten? Die Birnenleute haben ein neues Birnenschälmesser erfunden. Das ist eine große Gefahr. Denn wenn sie nicht mehr den ganzen Tag arbeiten müssen, damit sie genug zu essen haben, dann haben sie jetzt Zeit, neue Belagerungstürme und Steinschleudern zu bauen! Also dürfen wir nicht den halben Tag mit Spielen und Geschichtenerzählen vertrödeln: Mit unserem neuen Pflaumenentkerner haben wir jetzt Zeit genug, um an unsere Verteidigung zu denken. Statt dass wir alle nur den halben Tag arbeiten, sollte lieber die eine Hälfte von uns den ganzen Tag arbeiten, und die andere Hälfte sollte Steinschleudern bauen und exerzieren. Denn jetzt können wir es uns endlich leisten, eine ständige Armee zu erhalten. Nur so können wir uns davor schützen, dass die Birnenleute wieder über uns herfallen, und uns am Ende noch versklaven!"
Und so hätte beinahe wieder alles von vorne angefangen, wenn nicht. . .
. . . wenn nicht die Frau Zwetschkenstiel aufgestanden wäre, und vor aller Augen dem Herrn Kern ein runtergehaut hätte. Da setzte er sich ganz still hin und sagte nie wieder ein Wort.
Eine Geschichten entnommen aus dem Buch "Der seltsame Krieg" von Martin Auer -
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