Holder Friede
Nun senkt sich auf die Fluren nieder
der süße Tran der Vorkriegszeit;
es kehren Ruh und Stille wieder,
getretener Quark wird weich und breit.
Und alle atmen auf hienieden:
Jetzt haben wir Frieden.
Nun ist es Herbst. Die Storchenpaare
stehn klappernd, und der Eichbaum schwankt.
Das ist ja wohl die Zeit im Jahre,
wo Engel sich mit Brechten zankt.
Die Ehe wird noch oft geschieden.
Jetzt haben wir Frieden.
Wir wollen nur das eine wissen,
weil uns das wirklich interessiert:
Premierenknatsch in den Kulissen –
ob Kortner Jeßner engagiert?
Baut Laemmle pappene Pyramiden?
Jetzt haben wir Frieden.
Wir geben einer müden Masse
zum Ansehn, was sie niemals hat.
»In Schiffskabinen erster Klasse
gibt es jetzt Radio, Turnsaal, Bad ... !«
Vergessen sind die Invaliden –
jetzt haben wir Frieden.
Verrauscht ist Lärm und Trommelfeuer,
verweht das Leid der Inflation.
Wir hassen jedes Abenteuer –
wir wollen nicht mehr. Wir haben schon.
Wir pfeifen auf dem ersten Loche.
Nun liegt schon alles weit entfernt ...
Wir spielen Metternich-Epoche
und haben nichts dazugelernt.
Kurt Tucholsky (1890-1935), Theobald Tiger, Die Weltbühne, 24.09.1929, Nr. 39, S. 490.