Eine Mutter und das versunkene Heer
Es geht und wehet die Kunde durchs Land
es tragen die Heere am Moldaustrand,
sie haben ein Treffen geschlagen,
auf hölzerner Brücke, hoch über dem Fluss,
da trafen die Deutschen die Kinder des Huß,
die Kinder des Kelches erlagen.
Und unter dem Tritte der Pferde zerbrach
die hallende Brücke mit Donnergekrach,
es wichen die Pfeiler im Falle.
Die Reiter, das Fußvolk voll Wunden und Blut,
sie stürzten kopfüber hinab in die Flut,
da sanken, ertranken sie alle.
Die böhmische Mutter, sie höret die Mär,
ihr Sohn ist mit im versunkenen Heer,
ihr letzter geboren, verloren.
Es heulet der Sturmwind, die Nacht ist kalt,
sie flieht durch den sausenden, brausenden Wald,
ihr letzer geboren, verloren!
Durch starrende Felsen, so wüst und so leer,
kommt donnernd und brausend die Moldau daher
um sinkende Trümmer und Tore.
Am Saume des Strands, wo der Weidenbuch rauscht,
da sitzet die Mutter und lauscht und lauscht,
ein zerschossener Vogel im Rohre.
Und wie sie so lauscht mit dem Auge voll Glut,
da hebt sich und regt sich die grollende Flut,
es röten sich seltsam die Wogen.
Ist's Glühen des Morgens, das so sie bestrahlt?
's ist Herzblut der Edlen, das also sie malt -
und jetzt kommen die Leichen gezogen.
Viel Leichen mit bleichem erstarrtem Gesicht,
sie kommen daher wie zum Totengericht,
den Blutschaum auf offenem Munde.
Gewappnete Krieger, ein größlicher Knäul,
rings um sie die Wogen mit Klagegeheul,
aufrauschend vom Grunde, vom Grunde.
Die Leichen der Pferde, sie schleppen so schwer
an Zügeln und Bügeln die Reiter einher;
es grinsen die bleichen Gesichter,
mit gläsernen Augen, mit wallendem Haar;
so treibt auf der Flut die gespenstige Schar,
die Schar, sie wird dichter und dichter.
Die böhmische Mutter erfasset ein Graun:
"O, Herr des Himmels, den Sohn lass mich schaun,
ihn, den ich geboren in Schmerzen.
O Jesus Maria, da nahet er schon,
als blutige Leiche, der herrliche Sohn,
die klaffende Wunde am Herzen.
Was blickst mit metallenen Augen mich an,
du sollst nicht schwimmen zum Ozean,
mein wirst du, du herrliche Leiche."
Sie kämpft mit den Leichen, sie ringt mit der Flut,
sie trinket der Helden hellrotes Blut;
o, dass sie den Sohn nur erreiche. -
Vergebenes Ringen! nun ist es geschehn,
es weichet die Erde, die Sinne vergehn -
o Herr, und der Leichen kein Ende -
Die böhmische Mutter, der böhmische Sohn,
sie treiben auf jagenden Wellen davon,
im Krampfe verflochten die Hände.
Alfred Meißner (1822-1885)