Frieden als Menschenrecht
von Robert C. Koehler (USA)
„Menschen und Völker haben ein Recht auf Frieden.“
Am Anfang war das Wort. OK. Das ist der Anfang, und das sind die Worte, aber sie sind noch nicht angekommen – zumindest nicht offiziell, mit der vollen Kraft ihrer Bedeutung.
Es ist unsere Aufgabe, nicht die Gottes, die neue Geschichte darüber zu erschaffen, wer wir sind, und Millionen – Milliarden – von Menschen wünschen inbrünstig, wir könnten das machen. Das Problem ist, dass der schlechteste Teil unserer Natur besser organisiert ist als der beste.
Die Worte bilden den Artikel 1 des Entwurfs der UNO-Erklärung über den Frieden. Was mich darauf hinweist, dass sie von Bedeutung sind, ist die Tatsache, dass sie umstritten sind, dass unter den Mitgliedsstaaten „kein Konsens besteht,“ so der Präsident des Menschenrechtsrats, „über das Konzept des Rechts auf Frieden als eines Rechts an sich.“
David Adams, ehemaliger ranghoher Programmexperte der UNESCO, beschreibt die Kontroverse mit etwas größerer Offenheit in seinem 2009 erschienenen Buch World Peace through the Town Hall (Weltfrieden durch das Rathaus):
„In den Vereinten Nationen gabe es 1999 einen bemerkenswerten Moment, als der Entwurf der Friedensresolution, den wir in der UNESCO vorbereitet hatten, während informeller Sitzungen beraten wurde. Der Originalentwurf hatte ein ‚Menschenrecht auf Frieden’ erwähnt. Laut den Notizen eines UNESCO-Beobachters ‚sagte der Delegierte der Vereinigten Staaten von Amerika, dass Frieden nicht in den Rang des Menschenrechts erhoben werden sollte, weil es sonst sehr schwer sein würde, einen Krieg zu beginnen.’ Der Beobachter war so überrascht, dass er den Delegierten der Vereinigten Staaten von Amerika bat, seine Bemerkung zu wiederholen. „Ja,“ sagte dieser, „Frieden sollte nicht in den Rang des Menschenrechts erhoben werden, weil es sonst sehr schwer sein wird, einen Krieg zu beginnen.’“
So stellt sich eine auffallende Wahrheit heraus, eine, über die zu sprechen oder die in Zusammenhang mit nationalen Angelegenheiten zu erwähnen nicht höflich ist: Auf die eine oder andere Weise herrscht der Krieg. Wahlen kommen und gehen, sogar unsere Feinde kommen und gehen, aber Krieg herrscht. Diese Tatsache ist kein Thema für Debatten oder, da sei Gott vor, demokratische Gedankenspiele. Auch die Notwendigkeit und der Wert des Kriegs – oder dessen endlose selbstperpetuierende Mutation – werden nie mit scharfsichtiger Verwunderung in den Massenmedien überlegt. Wir fragen uns nie selbst in einem nationalen Zusammenhang: Was würde es bedeuten, wenn in Frieden zu leben ein Menschenrecht wäre?
„Die wahre Geschichte der Entstehung von ISIS zeigt, dass die Interventionen der Vereinigten Staaten von Amerika im Irak und in Syrien von zentraler Bedeutung waren bei der Schaffung des Chaos, in dem die Gruppe gediehen ist,“ schreibt Steve Rendall in Extra! („Addicted to Intervention“ – süchtig nach Einmischung). „Aber diese Geschichte kommt in den Konzernmedien der Vereinigten Staaten von Amerika nicht vor ... Der informierte Einsatz von Experten, welche die Region tatsächlich kennen, die nicht im Schulterschluss mit Washingtons Eliten marschieren, könnte eine Hemmschwelle aufbauen gegen die Unterstützung des Kriegs durch die Öffentlichkeit, eine Unterstützung, die weitgehend beruht auf der Information durch kriegsgeile Experten und Reporter und die üblichen pensionierten hohen Militärs – oft mit Verbindungen zum militärisch-industriellen Komplex."
„Während Experten reflexartig mehr Angriffe fordern,“ so Rendall, „gibt es praktisch niemanden, der schreibt, dass die Kriege der Vereinigten Staaten von Amerika für die Menschen in den angegriffenen Ländern katastrophal waren – von Afghanistan über Irak bis Libyen.“
Das ist ein bemerkenswertes System, das keinen Sinn macht vom Standpunkt des Mitgefühls und der planetaren Solidarität, und es würde sicher abgeschafft in einer ehrlichen Demokratie, in der es immer darum geht, wer wir sind und wie wir leben. Aber das ist nicht die Art, wie Nationen-Staaten funktionieren.
„Der Staat repräsentiert Gewalt in einer konzentrierten und organisierten Form,” wird Gandhi von Adams zitiert. „Das Individuum hat eine Seele, aber weil der Staat eine seelenlose Maschine ist, kann er nie loskommen von der Gewalt, der er seine Existenz verdankt.“
Und diejenigen, die für den Nationen-Staat sprechen, verkörpern die Abhängigkeit von Gewalt und Furcht und sehen immer Gefahren, auf die mit Nachdruck reagiert werden muss, und denken weder an den Horror, den Gewalt über die bringt, die ihr im Weg stehen, noch an den langfristigen (und oft genug auch kurzfristigen) Bumerangeffekt, mit dem sie verbunden ist.
Wie Rendall schreibt, sagte Senator Lindsey Graham zu Fox News, dass „wir alle sterben müssen, wenn ISIS nicht mit einem ausgewachsenen Krieg in Syrien gestoppt wird: ‚Dieser Präsident muss sich der Lage gewachsen zeigen, ehe wir hier im eigenen Land alle umgebracht werden.’“
„Sich der Lage gewachsen zeigen“ – so reden wir über das Vorgehen mit konzentrierter Gewalt gegen zufällig anwesende, gesichtslose Menschen, die wir nie in ihrer vollen Menschlichkeit kennenlernen werden, außer in dem gelegentlichen Bild von ihrem Leiden, das in den Kriegsberichten auftaucht.
Betreffend die Anhäufung von Feinden kündigte Verteidigungsminister Chuck Hagel vor kurzem an, dass das Militär begonnen hat, die Vereinigten Staaten von Amerika zu verteidigen ... gegen die Klimaveränderung.
Kate Aronoff weist in ihrem Artikel in Waging Nonviolence (Gewaltlosigkeit wagen) auf die außerordentliche Ironie angesichts der Tatsache hin, dass das Pentagon der größte Umweltverschmutzer auf dem Planeten ist. Im Namen der nationalen Verteidigung ist keine Umweltschutzregelung so wichtig, als dass sie nicht völlig ignoriert werden kann, und kein Flecken Erde ist so rein, als dass er nicht für alle Ewigkeit verdreckt werden kann.
Aber das ist es, was wir machen, so lange nationale Identität die Grenzen unserer Vorstellung definiert. Wir ziehen in den Krieg gegen jedes Problem, mit dem wir zu tun haben, von Terrorismus über Drogen bis zum Krebs. Und jeder Krieg schafft Kollateralschaden und neue Feinde.
Der Anfang einer Änderung könnte vielleicht einfach die Anerkennung sein, dass Frieden ein Menschenrecht ist. Die UNO-Mitgliedstaaten – zumindest die größeren mit stehenden Armeen und Lagern voller Atomwaffen – sind dagegen. Aber wie sollte man einer solchen Erklärung vertrauen, wenn die nicht mitmachten?
Übersetzt aus dem amerikanischem von Klaus Madersbacher und veröffentlicht auf seiner Webseite http://www.antikrieg.com