Die Ursache des gegenwärtigen Krieges (a.d.R.1. Weltkrieg) finde ich darin, dass Militarismus gegen Militarismus stand. Unter Militarismus verstehe ich die Anschauung , die die Macht über das Gesetz stellt. Beherrscht eine solche Denkungsart ein Volk, so ist der Krieg unvermeidlich. Krieg aber ist nichts als die Aufhebung aller Gesetzte, die Verneinung aller Gerechtigkeit. Militärische Rivalität führt mit Naturnotwendigkeit zum Krieg. Ich vermag daher nicht einzusehen, wie man Gesetzlosigkeit durch Gesetzlosigkeit oder Militarismus durch Militarismus austreiben will. Erst wenn die Völker der Erde gelernt haben werden, den Verkehr untereinander nach denselben sittlichen Gesetzen zu regeln, nach denen jedes Volk das Verhältnis der eigenen Staatsbürger regelt, erst wenn sich die Staaten, ob nun groß oder klein, als gleichberechtigt annehmen, erst dann wird der Militarismus verschwinden. Jedes Volk muss also aus sich selbst heraus den eigenen Militarismus überwinden. Das wird langsam gehen. Erst nach dem Krieg wird der wirkliche Kampf gegen den Militarismus in den einzelnen Nationen ausgefochten werden. David Starr Jordan (1852-1931), Brief an Alfred Hermann Fried, April 1915