Ich glaube nicht an das Recht des Stärkeren, an die Sprache der Waffen, an die Macht der Mächtigen. Doch ich will glauben an das Recht des Menschen, an die offene Hand, an die Gewaltlosigkeit. Ich will nicht glauben an Rasse oder Reichtum, an Vorrecht und Privilegien, an feststehende Ordnungen. Doch ich will glauben, dass alle Menschen wirklich Menschen sind und dass die Ordnung des Unrechts wirklich Unordnung ist. Ich glaube nicht, dass ich Unterdrückung bekämpfen muss, wenn ich irgendein Unrecht bestehen lasse. Doch ich will glauben, dass das Recht ungeteilt ist, hier und dort und dass ich nicht frei bin, solange noch irgendein Mensch Sklave ist. Ich glaube nicht, dass Liebe Selbstbetrug, Freundschaft unzuverlässig und alle Worte Lügen sind. Doch ich will glauben an die Liebe, die erträgt, an die Offenheit und das Vertrauen zueinander und an ein Wort, das wirklich sagt, was es sagt.
Hildegard Goss-Mayr (*1939), aus dem Buch "Der Mensch vor dem Unrecht" 1981