Das Wachstum der Gesittung ist an den Frieden gebunden; es besteht in einer Umzüchtung der Triebe des Menschen durch die erhellende Macht des Bewusstseins und der Bewusstmachung. Damit sind alle sittlichen Kontrollen eingesetzt und der individuelle Mensch wird das Maß aller Handlungen; was von ihm verlangt wird, wird von allen verlangt. Im Kriege umgekehrt wird vom sittlichen Menschen verlangt, was von allen verlangt wird: Billigung und Bestätigung des unbedingten Gehorsams und der unbedingten Zerstörung. Das erste lässt den Menschen in den Zustand vor der Pubertät zurück fallen, das zweite in den ganz primitiven des Kleinkindes, das seinen Trieben freien Lauf lassen kann, auch den antisozialen. Gehorchen und Zerstören sind also die beiden allgemeinsten Kennzeichen des Kriegszustands. Arnold Zweig (1887-1968), "Krieg und Kriegsfolgen"